Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE: Unverzüglicher und vollständiger Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan

01.02.2013
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Deutscher Bundestag Drucksache 17/12186
17. Wahlperiode 29. 01. 2013

Der Bundestag wolle beschließen:
1. Die Bundeswehr wird unverzüglich und vollständig mitsamt dem deutschen Kriegsgerät aus Afghanistan abgezogen.
2. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für eine neue Afghanistan-Resolution einzusetzen, die einen umfassenden zivilen Aufbau in Afghanistan unter Koordination der Vereinten Nationen unterstützt und den Abzug der ausländischen Truppen voraussetzt. Die Mitnahme des gesamten militärischen Materials soll hierbei gegenüber der UNO dokumentiert werden.
Berlin, den 29. Januar 2013
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Bilanz des bereits 11 Jahre dauernden Krieges in Afghanistan ist erschreckend. Dieser Krieg hat mehr als 70.000 Menschen (IPPNW 2012) das Leben gekostet und Hundertausende verwundet. Im ersten Halbjahr 2012 kamen nach Angaben der UN-Mission für Afghanistan bereits 3.149 Zivilistinnen und Zivilisten ums Leben. Bis Oktober 2012 wurden bereits wieder rund 20.000 Sicherheitsvorfälle registriert.

Im Jahr 2011 sind laut der IPPNW-Studie „Body Count“ wieder mindestens 9.717 Menschen ums Leben gekommen. Darunter 2.262 Zivilistinnen und Zivilisten, 1.155 afghanische Sicherheitskräfte, 566 ISAF-Soldatinnen und -Soldaten, 270 Angehörige ausländischer Sicherheitsfirmen, 31 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und 5.703 Afghaninnen und Afghanen, die den Taliban zugerechnet werden. 2,7 Millionen Menschen aus Afghanistan sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, UNHCR, auf der Flucht. Hinzu kommen rund 200.000 Binnenflüchtlinge. Bis Ende 2013 wird der deutsche ISAF-Einsatz 7,5 Milliarden Euro gekostet haben.
Der Global Peace Index 2012 wertet Afghanistan nach Somalia immer noch als das zweitunfriedlichste Land der Welt. Das von der Bundesregierung vorgelegte Mandat führt nicht zu einem Abzug, sondern setzt den Krieg fort. Die Reduzierung der Obergrenze der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten von 4.900 auf 3.300 ist nicht im Mandat festgeschrieben und soll nur unter dem Vorbehalt umgesetzt werden, dass die Sicherheitslage dies zulässt. Die Höchstgrenze der einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten ist im Mandat auf 4.400 festgelegt, dies entspricht nur einer Reduzierung um 500 Soldatinnen und Soldaten im Vergleich zum Vorgängermandat. Damit sind noch immer mehr als dreimal so viele deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan im Einsatz, als das Ursprungsmandat festlegte.
Da die Bundesregierung selbst davon spricht, dass sich die Sicherheitslage nur geringfügig verbessert hätte, ist eine tatsächliche Reduzierung der eingesetzten Truppen auch nicht absehbar. Mit der Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, die US-amerikanische Führungsrolle in Afghanistan abgeben zu wollen, zeigt sich erneut, dass zahlreiche NATO-Partner beginnen eigene Strategien im Umgang mit dem Afghanistan-Krieg zu entwickeln, die nicht im Bündnis abgestimmt sind.
Das von der Bundesregierung vertretene Motto „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“ hat seine Gültigkeit verloren. So sind Kanada und die Niederlande bereits weitgehend abgezogen, Frankreich hat bereits auf 1300 Soldatinnen und Soldaten reduziert und wird ab Mitte 2013 nur 500 Soldatinnen und Soldaten im Land lassen. Zahlreiche weitere Länder wie Groß Britannien, Belgien, Dänemark und Norwegen haben ihren Abzug angekündigt.
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass nach Informationen der USA nach 2014 noch ca. 18000 Soldaten in Afghanistan bleiben sollen. Deutschland soll sich nach demWillen der Bundesregierung auf ähnlichem Niveau wie jetzt am Einsatz beteiligen. Das bedeutet, dass sich auch nach 2014 noch rund 1.500 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan befinden werden. Die Auftragsbeschreibung des Mandates umfasst neben Beiträgen zur Ausbildung des afghanischen Militärs und der zivil-militärischen Zusammenarbeit weiterhin die Aufrechterhaltung der Sicherheit, die Sicherung des Arbeitsumfeldes des afghanischen Militärs, die Mitwirkung an der Führung von ISAF und der Erstellung eines Lagebildes und die Mitwirkung an der boden- und luftgestützten Koordinierung des afghanischen Luftraumes. Hierfür bleiben auch die AWACS-Flugzeuge und Recce-Tornados weiter im Einsatz. Die mit ihrer Hilfe erfassten Daten können auch für Drohnen-Angriffe und gezielte Tötungen genutzt werden. Die Neu-Verlegung von vier Tiger-Kampfhubschraubern, die bei Bodenoperationen eingesetzt werden, verweist auf weitere Kampfeinsätze der Bundeswehr. Das Mandat schließt Offensivoperationen eindeutig nicht aus. D.h. auch, dass kein Strategiewechsel eingeläutet wird. NATO und Bundesregierung
halten sich für Afghanistan weiterhin alle Kriegsoptionen offen.
Nach 11 Jahren Krieg sind sich zahlreiche poltische Akteure und Vertreterinnen der afghanischen Zivilgesellschaft darüber einig, dass unter den Bedingungen der Besatzung des Landes kein Friedensprozess und keine zivile Entwicklung möglich sind. Die Beendigung des Einsatzes ausländischer Truppen in Afghanistan ist zum zentralen Punkt für eine politische Lösung des Konfliktes geworden. Für die Zeit nach 2014 bedarf es einer neuen Resolution des Weltsicherheitsrates. Diese Resolution muss ausschließlich zivil sein und auf den Wiederaufbau in Afghanistan gerichtet sein. Eine solche Resolution des Weltsicherheitsrates bedarf vorheriger Verhandlungen mit allen Konfliktparteien und erfordert deren Einverständnis. Die NATO verfolgt jedoch nach wie vor die Strategie, alle „Aufständischen“ militärisch so zu schwächen, dass diese zu Verhandlungen unter den Bedingungen der NATO gezwungen werden können. Diese Strategie ist bisher erfolglos geblieben. Deshalb ist eine politische Lösung des Konfliktes in Afghanistan in weite Ferne gerückt. Weder die Einrichtung der Friedensjirga noch der aus ihr hervorgegangene Hohe Friedensrat konnten den innerafghanischen Friedensprozess voranbringen. Nach dem Scheitern des „Katar-Prozess“, bei dem Deutschland geheime Gespräche zwischen Taliban und US-Regierung vermittelt hatte, konnten keine aussichtsreichen Verhandlungsfäden aufgenommen werden. Die drei Hauptakteure der Aufstandsbewegung Taliban, Islamische Partei (Hezv-e Islami Gulbuddin) und Haqqani Netzwerk verständigten sich im November 2011 darauf, dass die Bedingung für einen Waffenstillstand der Abzug aller ausländischen Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan sei (Stiftung Wissenschaft und Politik 2012). Statt weiterhin mit der Bundeswehr militärisch in Afghanistan zu agieren, sollte die Bundesregierung endlich Anstrengungen zu einer politischen Lösung des Konfliktes aufnehmen.