Europa und der Nahe Osten – Vorschläge für eine andere Politik

06.12.2013
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Sicherheit kann nur Sicherheit miteinander und nicht gegeneinander sein. Wer garantierte Sicherheit für Israel will, und das ist ein Grundanliegen deutscher Politik, muss auch anderen Staaten Sicherheit garantieren. Sicherheit braucht der Iran, braucht Libanon, braucht Syrien. Eine Zerschlagung des Staates Syrien wird die Sicherheit im Nahen Osten zerstören, auch die Sicherheit Israels.

 

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Referat auf der Internationalen Konferenz für einen von Atom- und Massenvernichtungswaffen freien Nahen Osten - Haifa, 5. und 6. Dezember 2013

Liebe Freundinnen und Freunde,

es war fünf Minuten vor einem erneuten großen Krieg, als die Vereinbarung zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen die Weichen in eine andere Richtung stellte. Darauf folgte die Übereinkunft mit dem Iran zur besseren Kontrolle der iranischen Nuklearanlagen. Seit langer Zeit „siegte“ endlich einmal wieder die Diplomatie über militärische Gewalt.

Es wäre im europäischen Interesse – und ich füge hinzu auch im deutschen Interesse als handelnde Mittelmacht -, wenn es international zu bindenden Vereinbarungen für Abrüstung kommen würde. Ein Rückgriff auf Kernelemente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist nicht von Übel. Solche Kernelemente für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten könnten sein:

1. Sicherheit kann nur Sicherheit miteinander und nicht gegeneinander sein. Wer garantierte Sicherheit für Israel will, und das ist ein Grundanliegen deutscher Politik, muss auch anderen Staaten Sicherheit garantieren. Sicherheit braucht der Iran, braucht Libanon, braucht Syrien. Eine Zerschlagung des Staates Syrien wird die Sicherheit im Nahen Osten zerstören, auch die Sicherheit Israels.

2. Abrüstung, besonders die Ächtung von Atom- und Massenvernichtungswaffen, wird es geben, wenn einzelne Staaten vorangehen. Die Entscheidung in Syrien sollte entsprechende Schritte in anderen Staaten der Region nach sich ziehen. Ich denke, dass Israel nicht in einem ersten Zug seine Atomwaffen zur Disposition stellen wird. Aber – ein Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag und die Bereitschaft zur Kontrolle der israelischen Atomanalagen wären ein wichtiger Schritt. Eine Erklärung aller Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, Massenvernichtungswaffen nicht als „Erstschlag“ einzusetzen, kann die Dynamik aus der syrischen Entscheidung fortführen.

3. Eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten ist wirklich wünschenswert – aber derzeit wenig wahrscheinlich. Sie muss das Ziel sein. Möglicherweise ist ein Netzwerk einzelner Regionen, Städte, Gemeinden, die frei von Massenvernichtungswaffen sind und sich frei von Massenvernichtungswaffen erklären, ein nächster Schritt in diese Richtung.

4. Ohne vertrauensbildende Maßnahmen gibt es keinen Weg zu Sicherheit. Ohne einen eigenständigen, lebensfähigen palästinensischen Staat auf der Grundlage der Grenze von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt gibt es kein Vertrauen in der Region. Die israelische Besatzung Palästinas muss beendet werden. Israels Sicherheit ist organisch mit dieser Frage verbunden. Europa darf die Besatzung Palästinas und auch syrischer Gebiete nicht anerkennen.

5. Ein Zerfall Syriens liegt nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Syriens, nicht im Interesse der Region und auch nicht im Interesse Europas. Die Internationale Syrienkonferenz im Januar muss zu einem Erfolg geführt werden, das heißt, in Genf müssen alle Voraussetzungen für einen Waffenstillstand geschaffen werden. Die Gewalt, das Morden in Syrien muss aufhören. Das ist der nächste, wichtigste Schritt. Eine internationale Garantie für die Unantastbarkeit der Grenzen im Nahen Osten, mit der Bedingung, dass Israel die besetzten Gebiete frei gibt, wäre ein Fortschritt.

6. Ein wichtiger Fortschritt wäre es auch, wenn über die UNO eine Verpflichtung, keine Waffen in den Spannungsraum Naher Osten zu liefern und kein Geld für Waffenkäufe zur Verfügung zu stellen, ausgearbeitet und verabschiedet würde.

7. Kulturelle Vielfalt, soziale Gerechtigkeit, Religionsfreiheit, säkulare Staatsverfassung und Gewaltverzicht – das können wichtige Vertragspunkte sein, zu deren Einhaltung sich die Länder des Nahen Ostens verpflichten. Sie verpflichten sich auch, Bürgerrechte, Freizügigkeit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu achten.

8. Auf einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit erkennen sich alle Staaten im Nahen Osten gegenseitig an und vereinbaren einen Gewaltverzicht. Vereinbarungen über Handelsfreiheit, Verteilung von Naturressourcen einschließlich des Wassers sind zu treffen. Europa muss seine Grenzen für Bürgerinnen und Bürger des Nahen Ostens öffnen.

Die Idee einer solchen Konferenz muss in den Staaten und in den Zivilgesellschaften der Länder des Nahen Ostens wachsen. Die UNO kann das Dach einer solchen Umgestaltung abgeben. Europa als Heimat der alten Kolonialmächte, die vieles im Nahen Osten zerstört haben, muss seine Schuld gegenüber den Menschen in diesem Raum abtragen. Gleiches gilt auch für die Vereinigten Staaten von Amerika. Condoleezza Rice formulierte nach dem verkündeten „Ende des Irakkrieges“, sie sähe einen neuen Nahen Osten heranwachsen. Ich sehe im Irak die Apokalypse der Zerstörung; nicht Demokratie und Freiheit, sondern Gewalt und Vernichtung dominieren zur Zeit in Syrien.

Liebe Freundinnen und Freunde,

im kommenden Jahr jährt sich der Beginn des 1. Weltkrieges, der Europa von 1914 bis 1918 in einen Strudel der Gewalt und Vernichtung riss, zum 100. Mal. Der deutsche Militarismus hat in der Welt eine Blutspur hinterlassen bis hin zur millionenfachen Vernichtung jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Europa. Auch daraus wächst die Verpflichtung, unter Beweis zu stellen, das von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen wird. Lernend aus der eigenen Geschichte hat sich die Fraktion Die LINKE im Deutschen Bundestag entschlossen, keinem deutschen Militäreinsatz im Ausland zuzustimmen. Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, den Militärdienst zu verweigern. Viele taten dies. Eine Partei wie DIE LINKE hat das Recht, Militärdienst abzulehnen. Aber wirklich neu wäre es, wenn ein Staat den Kriegsdienst verweigern würde und für sich entscheidet: Wir gehen einen ganz anderen Weg. Einen Weg der Abrüstung, auch der einseitigen, den Weg gegenseitiger Sicherheit, des Verbots von Rüstungsexporten. Das hat DIE LINKE vorgeschlagen. Dafür arbeiten und kämpfen wir.