Nur zuschauen ist zu wenig

11.10.2014
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Ich verneige mich vor den kurdischen Kämpferinnen und Kämpfern, die die Stadt Kobane gegen die Gewalt, das Mittelalter der Mörderbanden des IS verteidigen. Ich verneige mich vor den Opfern dieses Kampfes, die für Demokratie, für die Rechte der Kurdinnen und Kurden ihr Leben gegeben haben. Die ganze Welt schaut auf Kobane, aber viele in dieser Welt schauen zu. Nur zuschauen ist zu wenig.

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Wolfgang Gehrcke
auf der Kundgebung zur Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden in Rojava / Kobane
Samstag, 11. Oktober 2014 in Düsseldorf

(Manuskript vorab – Sperrfrist: 11. Oktober 2014, 15 Uhr - es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich verneige mich vor den kurdischen Kämpferinnen und Kämpfern, die die Stadt Kobane gegen die Gewalt, das Mittelalter der Mörderbanden des IS verteidigen. Ich verneige mich vor den Opfern dieses Kampfes, die für Demokratie, für die Rechte der Kurdinnen und Kurden ihr Leben gegeben haben. Die ganze Welt schaut auf Kobane, aber viele in dieser Welt schauen zu. Nur zuschauen ist zu wenig.

Ich bin empört über die Bundesregierung. Ihre Heuchelei übersteigt das Maß des Erträglichen angesichts der furchtbaren Situation an der türkisch-syrischen Grenze. Die Bundesregierung traut sich nicht, die türkische Politik und den türkischen Präsidenten ernsthaft zu kritisieren. Der deutsche Außenminister scheint abgetaucht zu sein. Die deutsche Verteidigungsministerin sucht nach den nächsten PR-Möglichkeiten, sich fotografieren zu lassen. Der deutsche Innenminister denkt überhaupt nicht daran, eine Initiative zur Aufhebung des PKK-Verbotes in Gang zu setzen. Sieht so Hilfe und Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden aus? Nein! Was die Bundesregierung betreibt, ist das Gegenteil von Solidarität. Ich fordere, dass das PKK-Verbot sofort aufgehoben wird. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich auch öffentlich für die Freilassung von Abdullah Öcalan einsetzt. Die Bundesregierung argumentiert mit den Verhandlungen zwischen Erdogan und Öcalan. Wer das tut, muss sich auch für die Freilassung von Öcalan einsetzen.

Ich fordere von der Bundesregierung, dass sie gegenüber der Türkei eine einfache Losung an allen Orten vertritt: Grenzen für Flüchtlinge öffnen. Grenzen für IS-Kämpfer schließen. Das möchte ich lesen in den deutschen Vorschlägen für die EU, das will ich sehen in den Debatten des NATO-Rates, das muss im Europarat vertreten werden. Und ein deutscher Vorstoß in der UNO mit diesem Gedanken würde nicht nur meine Zustimmung, sondern die Zustimmung der ganzen Fraktion der LINKEN im Bundestag finden.

Die Türkei betreibt ein mieses doppeltes Spiel. Sie setzt ihre Kraft nicht ein, um den IS zu stoppen, sondern sie will Assad stürzen und bei dieser Gelegenheit die PYD zerschlagen. Eine autonome, demokratisch verfasste kurdische Selbstverwaltung in Rojava, ein demokratisches, sozial orientiertes kurdisches Gebiet im Irak und Autonomierechte für die Kurdinnen und Kurden in der Türkei – das ist nicht das Ziel der türkischen Regierung. Ich werde im Bundestag immer wieder aufgefordert, mehr Verständnis für die Probleme der Türkei zu zeigen und Präsident Erdogan zu loben, der so viele Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei aufgenommen hat. Ich bin dankbar, dass Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei, in Jordanien, im Libanon Aufnahme gefunden haben. Ich bin aber auch empört darüber, dass die reiche EU nur völlig unzureichend ihre Grenzen für Flüchtlinge öffnet.

Es muss deutlich ausgesprochen werden, dass der Westen inklusive USA, Frankreich und Großbritannien, die Golfmonarchien ISIS aufgebaut haben, um den Bürgerkrieg in Syrien in ihre Richtung zu entscheiden. Das Geld für Waffen kam aus Katar, die strategische Schulung aus den USA und der Türkei und bislang war die Türkei ein sicherer Rückzugsraum für die IS-Kämpfer. Erinnern Sie sich, dass es die USA waren, die mit dem Irak-Krieg das ganze Elend gestartet hat. Erinnern Sie sich daran, dass es Condoleezza Rice, die damalige US-Außenministerin war, die im Irak einen neuen Nahen Osten heranwachsen sah.

Liebe Freundinnen und Freunde, das dürfen wir alle nicht wollen! Wenn die USA von Sicherheit sprechen, dann meinen sie den Zugriff auf Bodenschätze und Märkte. Wenn die türkische Regierung von Demokratie spricht, meint sie eine Staatsverfassung, wo Kurdinnen und Kurden nichts zu sagen haben. Wenn Deutschland von Verbündeten spricht, dann meint die Regierung auch Saudi Arabien, wohin schon wieder Panzer geliefert werden.

Ich bitte Sie um Verständnis, dass die LINKE keinerlei Waffenlieferungen zustimmt. Ich bitte Sie auch um Toleranz, dass die LINKE sich dem Anspruch der Türkei, deren Panzer an der syrischen Grenze stehen und die eine Pufferzone verlangen, widersetzen wird. So naiv, die Sicherheit der Kurdinnen und Kurden gerade in die Hände der Türkei und der USA zu legen, kann man doch wirklich nicht sein. Die Kurdinnen und Kurden, die noch immer in Kobane kämpfen, haben jedes Recht, sich zu verteidigen. Es wäre toll, wenn es einen weltweiten Aktionstag zur Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden gäbe. Weltweit muss sichergestellt werden, dass der IS kein Öl verkaufen kann, keine Waffen erhält, Gelder eingefroren werden und auch Staaten wie die Türkei, Katar, Saudi Arabien gezwungen werden, auf ihren Territorien dafür zu sorgen, dass IS und andere islamistische Organisationen keine Unterstützung mehr erhalten.

Ich wünsche mir ein Deutschland an der Seite der Kurdinnen und Kurden, mit einer legal arbeitenden PKK-Organisation und vielleicht wird Öcalan einmal Staatsgast in diesem Deutschland sein.