Abbau aller staatlichen Subventionen, Ende der kostenlosen Schulbildung, Erhöhung des Renteneintrittsalters bei Frauen um drei, bei Männern um zwei Jahre, Erhöhung des Gaspreises um 100 Prozent, des Strompreises um 40 Prozent, Wegfall des Kindergeldes, Abschaffung aller staatlichen Subventionen - die Liste der sozialen Grausamkeiten, die der stellvertretende Vorsitzende der ukrainischen KP, Ihor Aleksejew, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke und dem Ukraine-Experten Andrej Hunko bei ihrem Besuch in Kiew vorliest. Diese Kürzungen seien die Bedingungen des IWF an die Ukraine für weitere Kredite. Und der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk habe vor Wirtschaftsführern die Erfüllung dieser Bedingungen zugesagt. „Es droht der soziale Kollaps“, so der KP-Funktionär gegenüber den Linken-Abgeordneten. Auch seine Partei geht schweren Zeiten entgegen. Das Verbotsverfahren läuft, und Präsident Poroschenko, der am gleichen Tag von einem „totalen“ Krieg mit Blick auf Russland gesprochen hat, brüstete sich nach dem Scheitern der Kommunisten an der Fünf-Prozent-Hürde bei den Parlamentswahlen, es sei für ihn ein Erfolg, diese Partei erstmals nach 96 Jahren aus der Rada ferngehalten zu haben. Trotzdem mache man weiter, die KPU werde sich wieder zurückmelden.
Bei einem Treffen von Vertretern weiterer linker Gruppen mit Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko zeigte sich auch, dass es keine einheitliche linke Strömung in der Ukraine gibt. Verschiedene Gruppen mit sehr unterschiedlichen Einschätzungen zur aktuellen Entwicklung machen es der deutschen LINKEN schwer, feste Kooperationspartner in diesem Spektrum zu finden. Das Treffen konnte aber einige gezielt gestreute Gerüchte über die Politik der LINKEN in Deutschland entkräften. Umgekehrt wurde jedoch auch klar, dass es bei der Ukraine-Debatte nicht nur um Geopolitik, sondern auch um die konkrete soziale und wirtschaftliche Lage der Menschen in der Ukraine gehen muss.
Unterkühlt war die Stimmung während des Besuches der beiden Parlamentarier beim deutschen Botschafter in Kiew. Während Andrej Hunko und Wolfgang Gehrcke versuchten, auch Grautöne im ukrainisch-russischen Konflikt zu finden und Ideen für politische Lösungen vorschlugen, bediente Christof Weil die Klaviatur des Kalten Krieges im Stile der deutschen Konzernmedien. Wladimir Putin, so der Botschafter, habe zwei Völker (Russen und Ukrainer) auf Generationen entzweit, mit Realitätsverweigerung (bei Putin) lasse sich schwer verhandeln, die ukrainische Armee sei durch russische Agenten bis ins Mark zersetzt, die Ukraine befinde sich im Krieg, im Krieg gegen diese Figuren, so werden die Separatisten-Führer in Donezk und Lugansk vom obersten deutschen Diplomaten in der Ukraine bezeichnet.
Ins gleiche Horn blies auch Oleksandr Alexandrowytsch. Die Rhetorik des Leiters der ersten europäischen Abteilung im Ukrainische Außenministerium war allerdings noch um einiges schärfer als die des Herrn Weil. Kennzeichen russischer Politik sei der Export von Korruption, Banditismus und Krieg. Auch werde Russland künftig auch über die deutsche Regierung solche Lügen wie jetzt über die ukrainische verbreiten. Russland sei nicht nur für die Ukraine sondern für ganz Europa eine Bedrohung, so der Abteilungsleiter. Man müsse Putin stoppen, solange es noch geht. Verständlicherweise sieht Alexandrowytsch sein Land als Hort der Verlässlichkeit und Friedfertigkeit. Die Ukraine habe sich bislang zu hundert Prozent an das Minsker Abkommen gehalten. Es habe seit dessen Unterzeichnung etwa 700 Todesopfer bei Kampfhandlungen in der Ostukraine gegeben und an keinem seien ukrainische Truppen schuldig. Schuld daran seien natürlich die regulären russischen Soldaten im Donbass, für deren Existenz man hundertprozentige Beweise habe. Seine Schlussfolgerung: „Kein Vertrag mit Russland ist das Papier wert, auf dem er geschrieben steht.“
Positiv hingegen sieht der Abteilungsleiter die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes, wenn es sich Europa zuwende und die Wohltaten der EU und des IWF entgegennähme: „Zwei bis drei Jahre wird die Ukraine etwas leiden, dann haben wir mehr Vorteile“. Damit man die dafür notwendigen Reformen auch effektiv umsetzen könne, bedürfe es auch einer größeren Verfassungsänderung. Und dabei will der Europarat der Ukraine unter die Arme greifen. Das bestätigte Olena Lytwynenko, die stellvertretende Leiterin des ukrainischen Europarat-Büros in Kiew, den Linken-MdB. Sie begrüßte auch die Thematisierung und die Aktivitäten der LINKEN zur Aufklärung der Todesschüsse auf dem Maidan und des Massakers im Gewerkschaftshaus in Odessa.
Der mit Abstand Entspannteste aller Gesprächspartner der LINKE-Parlamentarier an diesem Montag in Kiew ist Alexander Hug. Der Schweizer ist stellvertretender Leiter der OSZE-Mission in der Ostukraine. In dieser Eigenschaft hat er das Krisengebiet mehrfach bereist. Für ihn sind die Donbass-Führer auch keine „Figuren“, sondern Gesprächspartner. Aufgrund seiner Gespräche und Reisen in den Donbass hat er ein genaues Bild von der Lage. So könne man auch nicht davon ausgehen, dass es eine homogene Separatistenarmee gäbe. Nein, es gäbe viele verschiedene Gruppierungen, auch ganz kleine Trupps, die sich auch schon einmal gegenseitig bekämpften. Ähnlich, nicht ganz so krass, sei die Situation bei der ukrainischen Armee. Hier gäbe es ein Nebeneinander zwischen Freiwilligenbataillonen und ukrainischer Armee. Und speziell einige der radikaleren Freikorps hätten nach seinen Beobachtungen öfter Probleme, sich den ukrainischen Heerführern unterzuordnen.
Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko waren sich nach den eindrucksvollen Ausführungen von Alexander Hug einig, dass die OSZE-Mission erweitert und der streng zivile Charakter gewahrt werden müsse. Auch die Überwachung der russisch-ukrainischen Grenze im Donbass müsse intensiviert werden. Das sei ein wichtiger Beitrag, damit das Minsker Abkommen letztendlich doch noch Erfolg haben könne.