Wider denunziatorische Kommunikation - Volksfront statt Querfront

16.01.2015
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Wolfgang Gehrcke & Christiane Reymann

Wir widersprechen und wir wollen Widerspruch provozieren. Wir brauchen eine kritische Auseinandersetzung mit Aktionen der Friedensbewegung, ihren Schwächen, ihren Forderungen und Trägern, Trägerinnen. Wir wenden uns ganz entschieden gegen denunziatorische Züge, mit der diese Auseinandersetzung auch in linken Kreisen geführt wird, denn Denunziation zehrt (potenzielle) Bewegungen von innen auf. Reden wir also miteinander.

Wer im Kampf um politische Hegemonie mitmischen will, muss rechts von links, populistisch von populär unterscheiden lernen und vor allem genau hinschauen und hinhören. „Etwas platt zusammengefasst“ nennt Wolfgang Storz, ehemals Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, am 19.12. 2014 im Neuen Deutschland die aktuell in verschiedenen Protesten verbreiteten Meinungen:„Deutschland ist nicht souverän. Die USA sind das Gegenteil eines Vorbildes. Die Massenmedien lügen und manipulieren. Deutsche dürfen die israelische Regierung nicht kritisieren. Die EU-Bürokratie ist undemokratisch, der Euro ein Irrweg. Die Finanzmärkte beherrschen alles.“ Der Autor fragt, sind das Wahrnehmungen und Argumente von „Irren“ oder weichen sie „nur von Normalität und Mainstream“ ab?

Kritikern des Friedenswinters scheint eine ähnliche Nachdenklichkeit abhold. Für sie ist die Sache klar. „Seit’ an Seit’ mit den Weltverschwörern“ titelt ZEIT ONLINE am 1. Dezember 2014 den Artikel zu „Überzogene Israelkritik, Putin-Verständnis und abstruse Friedensdemo: Die Linke hat die offene Flanke zu Montagsdemonstranten und rechtspopulistischen Positionen.“ In dem Artikel charakterisiert Stefan Liebig, LINKEN-Politiker und Mitglied in der Atlantik-Brücke die Montagsmahnwachen als „eine neue Bewegung der Rechten“. Klaus Lederer, LINKEN-Vorsitzender von Berlin, ergänzt im Interview mit der taz (30.11.14) mit ihrer „rechten Kapitalismuskritik“ bereiteten sie „nahtlos den Boden für Rechtspopulismus, Antisemitismus und Rassismus.“ Ausgewiesenen Friedensblättern wie Spiegel, FAZ oder taz berichten und werten gleichlautend. Der Friedenswinter steht also unter zweifachem Beschuss, um diesen militaristischen Begriff zu verwenden: Von den Mainstreammedien und von links; beide Seiten geben sich gegenseitig die Stichworte und Argumente.

Besonders attackiert werden Ken Jebsen und Lars Mährholz, die, aus dem Montagsmahnwachen kommend, den Aufruf zum Friedenswinter unterschrieben haben. Sie werden aber nicht nur von Linken in die rechte Ecke gestellt, sondern auch von Rechten in die linke. So schreibt Jürgen Elsässer, früher Redakteur der Zeitungen ND, junge welt, Mitgründer der jungle world, jetzt erfolgreich als Herausgeber und Chefredakteur des rechten Blatts Compact, am 17. September 2014: „Die großen Berliner Montagsdemonstrationen wurden von Linksglobalisten wie Pedram Shayan und Ken Jebsen übernommen und von jedem, der die nationale Souveränität Deutschlands verteidigen will, gesäubert.“

Ken Jebsen, Pedram Shayan, Lea Frings und andere hatten am 24. Mai 2014 in einem offenen Brief an die Montagsmahnwachen geschrieben: „Unser humanistischer Grundkonsens geht von der Überzeugung aus, dass die Menschen grundsätzlich fähig sind, gemeinsam zu einer solidarischen Art des Wirtschaftens, Austausches und Zusammenlebens zu finden. Die freie Entfaltung des Einzelnen ist dabei die Voraussetzung für die freie Entfaltung aller.“ Der letzte Satz stammt fast wörtlich aus dem Kommunistischen Manifest und findet sich in allen Parteiprogrammen der PDS und der LINKEN. Jebsen, Shayan, Frings unterstrichen weiter: „Organisierte Neonazis, braune Kameradschaften und faschistoide Praktiken haben auf unseren Mahnwachen nichts verloren. Darin sind wir uns sicher einig.“

Diese hier zitierten Positionen sind seit Monaten öffentlich und konnten von allen, die sich kritisch zu den besagten Personen geäußert haben, in die Debatten einbezogen werden. Doch das geschah nicht. Stattdessen stetige Wiederholung gleichlautender Vorwürfe, auf die wir jetzt im Einzelnen eingehen:

Holocaust-Leugner und Nazi-Nähe?
Der Aufruf zum Friedensherbst ist in den Kontroversen innerhalb der LINKEN nicht Gegenstand der Kritik, aber Personen! So wird Katja Kipping von der Süddeutschen (02.12.2014) mit der Frage wiedergegeben, “ob Wagenknecht und ihre Fraktionskollegen gewusst hätten, wer sonst alles den Aufruf unterstütze“. Wir können sie beruhigen: Sie wussten es. Klaus Lederer schreibt am 29.11.2014 auf seiner Website zu “DIE LINKE und der ‘Friedenswinter’”, der Aufruf sei im Großen und Ganzen in Ordnung, nicht aber die Unterzeichnenden, namentlich Mährholz und Jebsen. Die Nähe von Lars Mährholz zu Nazis belegt Lederer mit diesem Zitat: “Wie will man denn gegen die Nazis was machen, in Anführungszeichen, wenn man nicht mit ihnen redet? Wir können doch nicht weiter in dem Gedanken feststecken bleiben, wir müssen die Nazis bekämpfen oder sowas.” Soweit so wahr. Und trotzdem eine Fälschung. Denn das Zitat endet nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Komma (einem gehörten, es handelt sich um ein Telefon-Interview: https://www.youtube.com/watch?v=50LXefSCFBU) und geht so weiter: “wenn, dann müssen wir die Gedanken in den Köpfen der Nazis bekämpfen.” Das unterstreicht er gleich noch einmal: “Wir können doch nicht die Menschen bekämpfen, wir müssen das Denken bekämpfen.” Anhand dieser Äußerungen mag man Lars Mährholz des Plagiats an dem PDS- und LINKEN-Plakat Nazis raus aus den Köpfen bezichtigen. Wer ihm aber so Nazi-Nähe nachweisen will, lügt. Das trifft auch auf Lederers Beweisführung zu, dass Jebsen den Holocaust relativiere. Dazu zitiert Lederer: “Konzentrationslager der Moderne gibt es ja trotzdem. Da gibt es Lager, da wird etwas konzentriert“. Es fehlt der Satz danach “Das ist schrecklich” und vor allem der Satz unmittelbar davor: “Der Holocaust in seiner Brutalität und seiner Planung und alldem ist einmalig und ich hoffe, dass es so bleibt.” Kurzes Nachdenken. “Man weiß es nicht”. Dann die Bemerkung zu den KZ’s der Moderne, direkt danach noch einmal, detaillierter, Beschreibungen der Einzigartigkeit des industriemäßig betriebenen Massenmordes. (https://www.facebook.com/friedensdemowatch/photos/a.644425858945007.1073741828.644416022279324/662257743828485/?type=1)
Wieder ist der vermeintliche Beleg eine Lüge – durch Weglassen. In den Massenmedien und vielen Köpfen aber setzt sich fest: Friedensbewegung und Linke demonstrieren mit Antisemiten und Holocaust-Leugnern.

Russlandfreunde und Nationalisten
Stefan Liebig stört, dass die Demonstration im Dezember 2014 vor dem Bundespräsidialamt “einseitig die USA, die Bundesregierung und Israel kritisieren wolle, Russland als Kriegstreiber aber außen vor gelassen werde“. (ZEIT ONLINE, 01.12.14). Alles einseitig bemängelt auch die Süddeutsche (03.12.2014). Zwar werde „ausführlich die Nato, Bundespräsident Joachim Gauck, deutsche Rüstungsexporte und eine ‚Politik der Konfrontation gegen Russland’ kritisiert“, aber: „Über die Rolle Russlands im Ostukraine-Konflikt steht dort nichts.“ Stattdessen: "Frieden in Europa heißt: Partnerschaft und Kooperation mit Russland und anderen Ländern“. Ein Fauxpas, wissen doch alle: „Putin ist der Kriegstreiber, nicht die EU“. Unter diesem Titel bilanziert der ehemalige GRÜNEN Europaabgeordnete Werner Schulz in der Welt v.14.12.2014: „Putin der Schirmherr einer restaurativen nationalistischen Sammlungsbewegung in Europa...“ Der Weg vom Putin-Versteher zum Nationalisten ist ganz kurz, auch in der Kritik an Montagsmahnwachen aus der LINKEN. Schulz setzt sich allerdings mit dem Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen“ auseinander, unterschrieben von 60 namhaften Politikern, Künstlern und Menschen des öffentlichen Lebens. Auch sie trifft der Bannstrahl, einen „intellektuell dürftigen Aufruf“ (Werner Schulz), „ein Dokument der Geschichtsvergessenheit, ein Sammelsurium“ (Karl Schlögel, DW 08.12.14), „ohne Realitätssinn“ (Ruprecht Polenz, ZEIT ONLINE, 08.12.14) geschrieben zu haben; dabei sehen die Autoren, Autorinnen des Appells Amerikaner, Europäer und Russen gleichermaßen verantwortlich dafür, dass der Gedanke verloren gegangen ist, „Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen.“ Doch sie warnen davor, Russland aus Europa herauszudrängen. Das bringt ihnen aus dem Lager der Kalten Krieger ebenso den Vorwurf der Einseitigkeit ein, wie dem Aufruf zum Friedenswinter aus Kreisen der LINKEN. Wo ist da links, wo rechts? „Wenn Ken Jebsen in Sachen Russland-Politik Positionen wie Helmut Schmidt und Helmut Kohl vertritt...- wo verlaufen da die Grenzen? Ist die eine Position mit Nationalismus und Ressentiments beladen und die andere nicht?“ fragt Wolfgang Storz in seiner bereits erwähnten Kolumne im Neuen Deutschland.

Verschwörungstheoretiker
Unter der Überschrift „Verschwörungstheoretiker kapern Friedensdemo in Berlin“ berichtet die Berliner Zeitung von der Demonstration am 13.12., und macht unter den Teilnehmenden „reichlich Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Neurechte und Paranoiker“ aus. Belege liefert das Blatt nicht; dafür springt die taz (14.12.14) ein:„Es wurden Plakate mit Karikaturen verteilt und ausgelegt, auf denen eine Hand zu sehen war, der Ärmel mit USA-Fahne und Davidstern, an jedem Finger eine kleine Puppe: al-Qaida, die Taliban, IS, die syrische Al-Nusra-Front und die saudischen Wahhabiten. Die Dschihadisten dieser Welt als Marionetten, aufgebaut von den USA und Israel, um die islamische Welt bombardieren und unterwerfen zu können, so lautete der Subtext.“ Dass sie die islamische Welt unterwerfen sollen, geht aus der Bildbeschreibung nicht hervor; aber die Gründung und Förderung der Dschiadisten durch den US- und andere Geheimdienste ist, beginnend in Afghanistan, fortlaufend belegt. Wenn bereits das der taz als „Verschwörungstheorie“ gilt, dann wird das eigentliche Problem klarer: Die inflationäre Beschuldigung „Verschwörungstheorie“ kann zu einem Knüppel gegen unabhängige und unbequeme Recherche werden: Wer sich mit unbewiesenen Schuldzuweisungen nicht zufrieden gibt, etwa zum Absturz der MA-Maschine über der Ostukraine: Verschwörungstheoretiker! Wer die äußerst einflussreichen Netzwerke aus Denkfabriken, Stiftungen, Vorständen der Großkonzerne, Banken, Versicherungen, staatlichen Institutionen, die die eigentliche Macht ausüben erforscht: Verschwörungstheoretiker!
Seit dem entsetzlichen Anschlag auf Charly Hebdo sind wir das Land der vorbildlichen Pressefreiheit. Da stört nicht, dass Zeit-Herausgeber Josef Joffe gegen die ZDF-Sendung Anstalt klagt, nur weil sie seine Verbindung zu sieben transatlantischen Organisationen öffentlich gemacht hat. Seitdem Pegida ihren Schmähruf „Lügenpresse“ ausstößt, bestätigen sich alle großen Medien gegenseitig ihrer Seriosität., umso mehr, seit „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres wurde, weil, so die Jury, die „pauschale Verurteilung“ fundierte Medienkritik verhindere und somit „einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit“ leiste. Presse- und Medienkritik, eine ur-linke Tugend, gerät in eine bedrängte Lage. „Lügenpresse“ gehört nicht zu unserer Denkungsart und unserem Wortschatz, aber wir haben 1968 Springer blockiert unter dem Motto „BILD lügt“. Das gilt heute noch und nicht nur für BILD.
Davon unbenommen bleibt, dass es abstruse und abwegige Erklärungsmuster der Welt als Ganzen und einzelner Ereignisse gibt, auch in Bewegungen, in denen auch Linke aktiv sind.

Falsche Kapitalismuskritik
Die „platte Art von ‚Kapitalismus- und ‚Imperialismus’-Kritik...die immer dort auftaucht, wo Rechte versuchen, linke Themen zu besetzen“ und „die Ablehnung des ‚Zinssystems’, das angeblich den Kern des Kapitalismus ausmacht“ gehören zu den Gründen, warum der Bundesausschuss der VVN mit Beschluss vom 04.12.14 die Beteiligung am Friedenswinter ablehnt. Dieser Beschluss betrübt uns in seiner Gesamtheit und in seinem einzelne Personen stigmatisierenden Ton. Zum Zinssystem: Die Kritik des Zinssystems und der FED spielt in den Montagsmahnwachen eine Rolle. Wahrscheinlich würde bei einer Umfrage unter Teilnehmenden an Friedens-, antifaschistischen oder Aktionen der Linken zum „Kern des Kapitalismus“ auch nicht eine Mehrheit prompt und unbeirrt antworten: Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung. Sehr viele würden eher über die Macht der Banken und des Finanzkapitals sprechen.
Aber gemeint ist ja die spezielle Gegenüberstellung von unproduktivem Börsen- und Leihkapital und produktivem Industriekapital, die von Gottfried Feder, dem führenden NSDAP- Wirtschaftspolitiker, auf das Begriffspaar vom „raffenden und schaffenden Kapital“ gebracht wurde und wichtiger Baustein des Antisemitismus war und ist. Auch Silvio Gesell, Volksbeauftragter für das Finanzwesen der Münchner Räterepublik, hatte den Urzins für das Nichtfunktionieren des freien Wettbewerbs verantwortlich gemacht und sich auf den französischen Ökonomen und Anarchisten Pierre-Joseph Proudon bezogen, mit dem sich Karl Marx im dritten Band des Kapitals kritisch auseinandersetzt. Das „Zinssystem“ für den Dreh- und Angelpunkt der Systemkritik zu halten, ist nicht marxistisch, aber es ist per se auch nicht rechts. Es KANN rechts werden, wenn noch andere Faktoren dazu kommen, namentlich Rassismus.

Querfrontstrategen
Im Frühjahr und Sommer haben sich in fast 90 Städten Tausende in Montagsmahnwachen für Frieden engagiert, Menschen mit ganz unterschiedlichen Weltbildern. Mancherorts haben Rechte versucht, diese Bewegungen zu beeinflussen, auch zu dominieren. Das kennen wir von den Hartz IV-Protesten. Umso erstaunlicher, dass der Parteivorstand der LINKEN bereits im Mai 2014 genau wusste, dass sich in den Montagsmahnwachen „Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretiker und Antisemiten“ tummeln, die „rechtspopulistische Welterklärungsmuster und ‚Querfront’-Strategien salonfähig“ machen wollen. Das ganze Programm also an Anklagepunkten, die aus der Geschichte kommunistischer Bewegungen nur allzu bekannt sind, aktualisiert um „Antisemitismus, Rassismus und Homo-/Transfeindlichkeit.“ (Beschluss-Nr: 2014/215 v. 25./26.Mai 2014). Besonders populär wird in den folgenden Wochen der Begriff Querfront. Er bezeichnet den Versuch, rechte Inhalte in linke Bewegungen zu schleusen. Der Querfrontpolitik verdächtigt zu werden, konnte unter Stalin tödlich enden. Karl Radek, dem galizisch-polnisch-russisch-deutschen Revolutionär und Mitbegründer der KPD, wurde im 2. Moskauer Schauprozess 1937 Querfrontpolitik vorgeworfen, in der Haft wurde er erschlagen. Auf diesem Hintergrund sollten Linke den Vorwurf mit Bedacht verwenden. Aktuell aber wird er inflationär und als Stigma benutzt, auch indirekt, wie im Kommentar von Christian Bommarius zum Friedenswinter-Demonstration in der Berliner Zeitung v.12.12.14, der mit einer Bemerkung zu Wolfgang Gehrcke persönlich endet: „Er und seine Gesinnungsgenossen sorgen dafür, dass der rechte Mob nicht alleine bleibt.“
Sachlicher mit rechten und linken Positionen in den Montagsmahnwachen setzt sich der Forschungsbericht „’Occupy Frieden’, eine Befragung von Teilnehmer/innen der ‚Montagsmahnwachen für den Frieden’“ von einer Forschungsgruppe an der TU Berlin auseinander. Der sehr erhellende Bericht ist im Internet zugänglich. Danach ordnen sich nur zwei Prozent der Befragten rechts von der Mitte ein, 38 Prozent links, 22 Prozent sehen sich in der politischen Mitte – und 39 Prozent wollen sich nicht in das rechts-links-Schema einordnen. Bei der letzten Bundestagswahl 2013 hatten von den Befragten 42% DIE LINKE gewählt, 15,5% die Piraten, 12,8% AfD, 12,2 % Grüne. Besonderes Augenmerk verwenden die Autorinnen, Autoren darauf, rechte Positionen zu erfassen. Ihr Ergebnis: Die Mahnwachenbewegung ist „in weiten Teilen klar links“ orientiert, zugleich gäbe es ein starkes Bestreben, sich der rechts-links-Einordnung zu entziehen; deutlich werden organisierte Nazis abgelehnt. Zugleich dies: „Besonders antiamerikanische und verschwörungsideologische, aber auch antizionistisch-antisemitische und autoritäre Einstellungen haben eine Teils große Verbreitung“. Eine Widersprüchlichkeit, die verunsichert, aber sicher nicht Resultat einer „Querfrontstrategie“, d.h. einer bewussten Aushöhlung linken Gedankenguts durch rechtes.

Der Hintergrund
Aktuell haben die herrschende Klasse und die politische Linke das gleiche Problem, nur aus unterschiedlichen Gründen. Seitdem sie (wieder) eingeführt wurden, lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung internationale Militäreinsätze der Bundeswehr grundsätzlich und kategorisch ab. Und: Es mehren sich Zweifel am Wahrheitsgehalt der Berichterstattung über die Ukraine-Krise, Afghanistan, Russland, auch über die Rolle von Industrie und Banken in der Politik. Die politische Linke und Friedensaktive ermutigt diese kritische, eigenständig denkende Meinungsmehrheit, den herrschenden Kräften bereitet sie große Sorge. Um ihren Kriegskurs zu verstetigen und auszuweiten, muss sie diese Meinungsmehrheit knacken. Linke und Friedensaktive hingegen wissen: Sie wird nur dann stabil bleiben und Regierungspolitik beeinflussen, wenn sie sich öffentlich artikuliert und zu einem politischen Druckfaktor wird. Druck für eine anti-Kriegspolitik ist dringend nötig. Deutschland, die NATO, zu viele Willige spielen nicht Krieg, sie führen Krieg - mit Waffen, Waren, Währungen, Wirtschaft. Siebzig Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ist auch in Europa ein großer Krieg nicht mehr ausgeschlossen; nicht unbedingt heute, doch die Vorbereitungen nehmen Fahrt auf etwa in einer aggressiven Politik gegenüber Russland und einer ganz neuen Stufe des (atomaren, Drohnen-) Wettrüstens. Wer diesen Zug aufhalten will, hat ein elementares Interesse am Wiedererstarken der Friedensbewegung; wer ihn aufs Gleis gesetzt hat, will mit aller Macht ein Wiedererstarken im Keim zu ersticken. Das ist ein klarer Interessenwiderspruch.

Warum diese Unversöhnlichkeit?
Doch auch in der Linken wird die Kontroverse zum Friedenswinter mit harten Bandagen geführt. Die Strömung Sozialistische Linke spricht in ihrer Erklärung v.10.01.15 „Sachlich bleiben: Friedensbewegung stärken statt diffamieren, um Hegemonie kämpfen“ von „regelrechtem Hass, der Genossinnen, die den Friedenswinter unterstützen, in sozialen Netzwerken und eMail-Verteilern entgegenschlägt. ‚Querfrontler’ ist hierbei noch der harmloseste Vorwurf. Es hagelt persönliche Beleidigungen und es werden Bilderserien mit dem Konterfei von GenossInnen gepostet, die schnellstens aus der LINKEN zu entfernen seien. Das überschreitet jedes Maß.“ Warum dieser Hass, warum Fälschungen statt Argumente, Diffamierungen statt sachlicher Auseinandersetzung?
Es ist kein Geheimnis: Grüne und SPD knüpfen ihre Bereitschaft, über eine Regierungsteilhabe der LINKEN überhaupt nur nachzudenken an die Bedingung, dass DIE LINKE ihre friedenspolitischen Grundsätze verlässt und „mehr Verantwortung“ übernimmt als Teil der Allparteienkoalition der Kriegsbefürworter. Doch damit würde sich DIE LINKE überflüssig machen, weil austauschbar. Bestärkt durch die Meinungsmehrheit gegen Krieg, kann DE LINKE jetzt ihrerseits Druck ausüben auf SPD und GRÜNE, die dramatisch falsche Weichenstellung in der Außenpolitik zu korrigieren und zu ihren Wurzeln zurückzukehren, zu Karl Liebknecht und Willy Brandt, zur Friedensbewegung der 80er Jahre.

Charakter der Friedensbewegung
Frieden muss durchgesetzt werden gegen die real stattfindenden Kriege. Papst Franziskus spricht vor dem Hintergrund, dass täglich 57 000 Menschen verhungern, von einem III. Weltkrieg auf Raten. Kriegsursachen sind die ungerechte Verteilung von Armut und Reichtum, Land und Ressourcen, Macht, Wissen, Bildung, Gesundheit. Insofern wird das Spektrum dessen, was Frieden braucht, breiter und bezieht globale Gerechtigkeit ein, Völkerrecht, Abrüstung und eine Art und Weise der Produktion, Reproduktion und Verteilung, die die natürlichen Lebensgrundlagen schützt und menschliche Würde bewahrt. D.h. aus Interesse an Frieden wird die Friedensbewegung immer politischer und „linker“, weil sie auf die Veränderung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse zielt. Doch sie ist keine Bewegung der politischen Linken und darf es nicht werden. Denn Frieden als Grundlage für die Sicherung des Überlebens der Menschheit ist eine Gattungsfrage; sie stellt sich klassenübergreifend. In der Friedensbewegung sind auch Unternehmerinnen und Unternehmer willkommen und eine große Breite politischer Richtungen. Die Fragestellung „Wie links ist die Friedensbewegung“ ist genau die falsche. Gemeinsam ist der Friedensbewegung ihr Friedenswille, Antifaschismus, Antirassismus und Gewaltfreiheit als Weg und Ziel. Das ist genug an Trennschärfe und die Plattform für Mitmachen und Zusammenarbeit. Auf ihr kann eine bunte Front des Volkes wachsen.
Wir nähern uns dem 70.Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus. Die Rückbesinnung kann zu einer großen Kraft werden, den Schwur von Buchenwald neu zu beleben und in der Gesellschaft zu verankern: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!