Aufklärung und Entspannung das Gebot der Stunde

04.03.2015
Printer Friendly, PDF & Email

...Ich möchte gern, dass die Bürgerinnen und Bürger in Russland verstehen, dass diese Aktuelle Stunde nicht gegen sie gerichtet ist, sondern dass wir im Rahmen dieser Aktuellen Stunde Trauer und Nachdenken mit ihnen teilen wollen. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger Russlands nicht belehren, sondern wir möchten mit ihnen zusammen auf eine Veränderung des politischen Klimas hinwirken. Das ist mir sehr wichtig...

* * * *

90. Sitzung des Deutschen Bundestages am Mittwoch, dem 4. März 2015 - Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Auswirkung der Ermordung des russischen Politikers Boris Nemzow auf die Politik Russlands

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Danke sehr, Herr Präsident. - Ich glaube, dass es gestattet sein muss, zu Beginn dieser Debatte ein Wort über die eigenen Gefühle zu sagen. Die Nachricht vom Mord an Boris Nemzow - ich denke, dass man den Begriff „Mord“ benutzen muss

(Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Ja, welchen denn sonst?)

und nicht nur von „Tod“ reden darf - hat bei mir Entsetzen, Nachdenklichkeit, den Versuch, etwas innezuhalten, Fassungslosigkeit und Trauer ausgelöst. Ich denke, es war richtig, dass sich der Bundestag entschlossen hat, heute eine Aktuelle Stunde dazu durchzuführen, damit wir darüber reden.

Ich möchte gern, dass die Bürgerinnen und Bürger in Russland verstehen, dass diese Aktuelle Stunde nicht gegen sie gerichtet ist, sondern dass wir im Rahmen dieser Aktuellen Stunde Trauer und Nachdenken mit ihnen teilen wollen. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger Russlands nicht belehren, sondern wir möchten mit ihnen zusammen auf eine Veränderung des politischen Klimas hinwirken. Das ist mir sehr wichtig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will sehr deutlich sagen, was ich von der russischen Regierung und vom russischen Präsidenten erwarte. Präsident Putin muss das einlösen, was er gestern in der Öffentlichkeit gesagt hat. Er sagte, dass dieser Mord eine Schande ist. Ich erwarte von ihm und von der russischen Regierung - das würde ich von jeder Regierung in der Welt erwarten -: Es muss aufgeklärt werden, und zwar rasch und mit rechtsstaatlichen Mitteln - das betone ich ausdrücklich: mit rechtsstaatlichen Mitteln -, und es müssen Transparenz und Öffentlichkeit geschaffen werden. Das ist das, was man von der russischen Regierung und von Präsident Putin erwarten muss. Ich möchte, dass der Deutsche Bundestag zu einer Entwicklung in diese Richtung beiträgt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist bestimmt nicht entscheidend, was wir dazu meinen. Es ist entscheidend, dass in Russland verstanden wird, dass es um die Verfasstheit des Landes geht, dass es um die Verfasstheit Europas geht, dass es um die Zukunft Russlands geht. Wenn man das betont, dann bleibt es dabei: Wenn dieser Mord nicht aufgeklärt wird, dann behält Russland eine offene Wunde. Eine offene Wunde sollte Russland aber nicht behalten. Deswegen müssen dieser Mord und all seine Umstände aufgeklärt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien - noch nicht einmal dann, wenn sie in meiner eigenen Umgebung verbreitet werden -,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil sie meistens überhaupt nichts erklären.

(Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Ja, ja! Nur von Ihren eigenen!)

Ich finde auch alle Verschwörungstheorien rund um diesen Mord unnütz. Ich bin der Auffassung, dass es, wenn man die Ansprüche stellt, die Sie gestellt haben, nicht klug ist, ein Klima zu bereiten, in dem von Anfang an feststeht, dass am Ende Putin schuld ist, nur er und kein anderer.

(Beifall der Abg. Heike Hänsel (DIE LINKE))

Das ist keine Aufklärung und sorgt nicht für ein Nachdenken über das gesellschaftliche Klima.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte Aufklärung und aufklärerisches Wirken. Aufklärerisches Wirken muss nach vorne gerichtet sein. Ich will Ihnen einige Punkte nennen, die für mich unverzichtbar sind. Angesichts der aktuellen Situation möchte ich betonen: Man muss zur Entspannung zurückkehren, auch wenn das heute fast unmöglich erscheint. Man braucht innenpolitische Entspannung in Russland, und man braucht politische Entspannung in Europa. Das wäre ein vernünftiger Weg. Wir sollten darauf hinwirken, dass alle Vereinbarungen von Minsk umgesetzt werden.

Im Krieg um die Ukraine und in der Ostukraine darf es nicht wieder zu offener Gewalt kommen, weil Gewalt immer auch staatliche Gewalt in den entsprechenden Ländern zeitigt, und das war die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie der Mord an Boris Nemzow in Russland passieren konnte. Entspannung ist heute denkbar, und die Ergebnisse von Minsk könnten ein Weg zur Entspannung sein.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Da können Sie die Bundesregierung ja mal loben!)

Ich denke sehr darüber nach und bitte Sie, sich in diese Richtung auch ein Stück weit selbst zu überprüfen: Die Isolation und die Selbstisolation Russlands müssen dringend aufgehoben werden. Isolation und Selbstisolation führen immer zu innenpolitischen Verschärfungen und Verengungen. Ich glaube, dass wir Russland einen Weg zurück nach Europa weisen und die Tore weit aufmachen müssen, weil das und nichts anderes demokratisiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte Ihnen in dieser Situation auch gerne sagen: Wenn der Deutsche Bundestag Verstand und Courage hat, dann müssen wir die Visafrage erneut auf die Tagesordnung setzen. Ich möchte, dass wir die russischen Bürgerinnen und Bürger einladen. Kommt in unser Land! Kommt nach Europa! Wir haben eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe in Europa. Wir müssen eine neue Ostpolitik und eine europäische Entspannungspolitik entwickeln.

Wenn wir so damit umgehen, ein Stück weit innehalten und nicht immer mehr zuspitzen, dann könnte der Mord an Boris Nemzow ein Signal zur Umkehr werden. Diese Umkehr ist in Europa dringend notwendig.

Das wollte ich Ihnen sagen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)