Bei der scheinheiligen Forderung nach einer Flugverbotszone geht es gar nicht zuerst um die vielbeschworenen humanitären Beweggründe (wie in dem ganzen Stellvertreterkrieg nicht). Für sinnvolle humanitäre Zwecke, die Geiseln des IS in Aleppo in sicherere Gebiete fliehen zu lassen, hätte die Durchsetzung und Einhaltung einer Waffenruhe oder eines Waffenstillstands auch seitens der von den USA unterstützten „Rebellen“ genügt, wie ihn Russland mehrfach vorgeschlagen und Anfang September mit den USA vereinbart hatte. Die nun herausposaunte Forderung nach einer Flugverbotszone hat doch bei etwas Geschichtsbewusstsein sehr durchsichtig einen ganz anderen Grund als die angebliche humanitäre Sorge:
Da eine Flugverbotszone bedeutet, dass in dem betreffenden Luftraum aus militärischen Gründen sämtliche Flugbewegungen von Luftfahrzeugen verboten sind, greift solch ein Verbot von Luftbewegungen zutiefst in die Souveränitätsrechte des jeweiligen Staates ein, wenn sie nicht in Abstimmung mit ihm verhängt wurden. Daher ist die Errichtung einer Flugverbotszone ohne Einsatz ausländischer militärischer Mittel gar nicht zu haben. Denn falls ein Staat über seinem eigenen Hoheitsgebiet Lufträume zeitweilig für die Nutzung beschränken möchte (z. B. wegen militärischer Operationen, aus Sicherheitsgründen, bei politischen Anlässen oder im Rahmen eines bilateralen oder multilateralen Abkommens), so kann er das souverän tun und man bezeichnet dies – weltweit vielfach praktiziert – als Sperrung des Luftraums oder Flugbeschränkung. Das kann man im Falle Syriens natürlich anstreben, allerdings selbstverständlich nur in Absprache mit der syrischen Regierung.
Wenn man dieses völkerrechtlich vertretbare Zusammengehen mit einem souveränen Staat nicht erreichen kann, so gibt es nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen auch die Möglichkeit der Errichtung von Flugverbotszonen als eine der möglichen Interventionsmaßnahmen zur Erzwingung von Frieden. Allerdings stellen solche Interventionen aus Sicht des Völkerrechts natürlich schon einen schwerwiegenden Eingriff in die Souveränität eines Staates dar und müssen daher vom Sicherheitsrat der VN beschlossen werden. Nach der Charta der Vereinten Nationen können daher nur auf Beschluss des Weltsicherheitsrates Maßnahmen zur Erzwingung des Friedens getroffen werden.
Welche Gründe kann es für solche weitreichenden Beschlüsse geben? Schwerste, systematische Menschenrechtsverletzungen können laut der UN-Charta zu einer Bedrohung des Weltfriedens führen und dann ein militärisches Eingreifen des Sicherheitsrates begründen.
Gibt es Beispiele in der Geschichte? Durchaus: so hatte der Sicherheitsrat im Falle der Apartheidpolitik Südafrikas und Südrhodesiens eine Bedrohung des Weltfriedens bejaht. Auch Völkermord, also ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten kann mit einer Bedrohung des Weltfriedens einher gehen.
Dies trifft auf die Situation in Syrien sicherlich nicht zu, ausgenommen die terroristische Praxis des IS gegen sogenannte Ungläubige oder Andersgläubige. Der angebliche „Bürgerkrieg“ in Syrien reicht als Begründung für solche massive Beschneidung der Souveränität im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dagegen sicherlich nicht aus. Denn keine der in Art. 39 der UN-Charta genannten Voraussetzungen für militärische Maßnahmen des Sicherheitsrats liegt gegenwärtig in Syrien vor: Weder befindet sich Syrien in einem mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikt mit einem anderen Staat. Auch eine die Bedrohung des Weltfriedens darstellende Menschenrechtsverletzung (Genozid religiöser und ethnischer Minderheiten) kann der syrischen Regierung nicht angelastet werden, nur weil der IS (z.B. in Aleppo) die Zivilbevölkerung als Schutzschild in Geiselhaft nimmt. Folglich wären die Verhängung einer Flugverbotszone oder andere militärische Maßnahmen des Sicherheitsrats gegen Syrien daher nicht vom Völkerrecht gedeckt.
Vielmehr historisch belegt ist leider der Missbrauch angeblichen Völkerrechts zur Legitimation westlicher imperialistischer Machtpolitik (und es ist und bleibt ein Ammenmärchen, dass jemals eine Intervention westlicher imperialistischer Kräfte die fortschrittliche Entwicklung in einem Land befördert hätte):
Als erste militärische Flugverbotszone gilt der Irak im Jahr 1991. Die Vereinten Nationen forderten seinerzeit in der Resolution 688 den besseren Schutz der Zivilisten im Nordirak, wo sich die kurdische Bevölkerung Angriffen des Regimes von Saddam Hussein ausgesetzt sah. Wie dies geschehen sollte, benannte die Resolution damals nicht. In „großzügiger“ Deutung setzten die USA und Großbritannien daraufhin Kampfflugzeuge ein, um den Luftraum zu kontrollieren, als eindeutig kriegerische Maßnahme.
Die UN selbst sprachen erstmals eine offizielle Flugverbotszone 1993 im Bosnien-Krieg aus, auch zur Unterstützung der Bodentruppen. Im Zuge dessen schossen NATO-Kampfflugzeuge mehrfach serbische Kampfflugzeuge ab und griffen serbische Stellungen am Boden an, und auch die kroatische Armee nutzte die Luftschläge für ihre Offensive gegen die serbischen Gebiete.
Jüngstes schmachvolles Beispiel der Forderung nach einer illegitimen Flugverbotszone gab das Europaparlament im Jahre 2011 mit dem Gemeinsamen Resolutionsantrag aller Fraktionen (mit Ausnahme der föderalen Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke GUE/NGL) zur „Südlichen Nachbarschaft und speziell Libyen“. Diese Resolution unterstützte ausdrücklich die mögliche Entscheidung des UN-Sicherheitsrats über eine Flugverbotszone in Libyen. Gegen die Unterstützung des Antrags, der auch Erklärungen der Partei Die Linke widersprach, wandten sich Abgeordnete der GUE/NGL. Sie bezeichneten zu Recht die Unterstützung dieser Flugverbotszone als Autorisierung von Krieg gegen Libyen, der als Angriffskrieg betrachtet werden sollte, und verwiesen auf die Äußerung von US-Verteidigungsminister Robert Gates, wonach eine Flugverbotszone mit einer Attacke zur Zerstörung der libyschen Luftabwehr beginnt, d. h. mit einer militärischen Intervention. Die Resolution demonstrierte erneut die doppelten Standards in Bezug auf humanitäre Krisen oder kriminelle Handlungen von Staaten. So hatten die Aggression Israels gegen Libanon oder die Massaker an der Zivilbevölkerung in Gaza zu keinem Zeitpunkt die internationale Gemeinschaft veranlasst, eine Flugverbotszone in Israel einzurichten.
Worum geht es nun in Syrien? Die USA können es offenbar nicht verwinden, dass ihnen in diesem „Bürgerkrieg“, den sie jahrelang nach Kräften mit ihren Verbündeten vor Ort zum Zwecke der Erweiterung ihrer Einflussgebiete eskaliert haben, nunmehr seit einem Jahr durch Russland - auf legitimen Wunsch der syrischen Regierung hin - zumindest im Luftraum die Grenzen ihrer Allmacht-Träume gezeigt werden. Der Wunsch nach einer Flugverbotszone für Syrien wäre ja offenbar nur gegen den ausdrücklichen Willen Syriens und Russlands realisierbar und nur mit militärischen Mitteln durchsetzbar. Was das heißt für den Weltfrieden heißt, sollte mittlerweile jedem klar sein: Zwischenfälle oder gar die direkte Konfrontation von NATO und Russland in Syrien – sei es „nur“ im Luftraum – bergen zweifellos die Gefahr eines weltweiten Krieges.
Als angeblich humanitäre Maßnahme hätte eine Flugverbotszone ohnehin nur Sinn, wenn sie eben ausschließlich Zivilisten schützen würde und nicht von Terroristen als Erholungsraum, zur Umgruppierung oder als Ausgangsbasis für weitere Angriffe genutzt werden könnte. In Aleppo würde das den vorherigen Abzug der aufständischen Verbände aus der Stadt voraussetzen, ebenso eine lückenlose Bewachung der Grenzen dieser Zone am Boden durch Truppen unter neutralem UN-Mandat, um das erneute Einsickern von Aufständischen und Terroristen zu verhindern. Sollte dies nicht geschehen und sollten dennoch Kämpfer Zuflucht und Geiselnahme in der Zone weiter praktizieren, wäre diese Überwachung eben nicht neutral, sondern de facto wiederum eine weitere Konfliktpartei in diesem schändlichen Krieg.