Sozialstaat oder Rüstungsstaat

Rede von Wolfgang Gehrcke in der Bundestagsdebatte zum Thema Abrüstungspolitik am 29. Juni 2017
29.06.2017
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Wolfgang Gehrcke

Wolfgang Gehrcke, DIE LINKE: Sozialstaat oder Rüstungsstaat (Fraktion DIE LINKE. im Bundestag)

 

Danke sehr, Frau Präsidentin! - Die eigentliche Frage, die man sich stellen muss, lautet: Wollen wir einen Sozialstaat und alles, was wir leisten können, einbringen, um einen Sozialstaat aufzubauen, oder wollen wir einen Rüstungsstaat? Beides zusammen geht nicht. Kanonen und Butter hat es zusammen nie gegeben, man hat sich immer entscheiden müssen. Meine Entscheidung und die Entscheidung meiner Fraktion ist völlig klar: Wir wollen alle Kräfte im Sozialen verstärken, und deswegen wollen wir raus aus der Spirale der Rüstung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte gerne, dass die Frage der Abrüstung eine der wahlentscheidenden Fragen wird. Ich glaube, es gibt auch eine gute Chance, sie dazu zu machen. Deswegen sage ich zu SPD und Grünen: Lassen Sie uns doch im Wahlkampf konkurrieren, wer die besten Vorschläge zur Abrüstung einbringt. Wenn Ihre besser sein sollten, hätten Sie mich fast überzeugt. Wenn unsere besser sind - wir haben Ihnen ja etwas vorgelegt -, dann hoffe ich, dass ich Sie überzeugen kann. Ein Wahlkampf, der sich um die Frage der Abrüstung dreht, ist für mich etwas Konstruktives in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Mein Wunsch war es immer, persönlich und in der Fraktion dazu beizutragen, dass um Frieden weltweit gekämpft wird - in den Parlamenten, aber auch auf den Straßen und Plätzen, auf internationalen Treffen. Es hat immer eine Chance gegeben, aus Gewalt und Krieg herauszukommen und eine Friedenspolitik zu entwickeln. Eine Friedenspolitik braucht unser Land. Da kann man sehr viel bewegen, wenn man anderen Ländern Ängste nimmt und Vertrauen aufbaut.

Man baut eben kein Vertrauen auf, wenn man dabei bleibt, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben - ein komisches Ziel, für dessen Beibehaltung sich Volker Kauder ausgesprochen hat. Um es einmal deutlich zu sagen: Das wären ungefähr 70 Milliarden Euro im Jahr, die dafür herausgeschmissen würden, um Leben zu vernichten, wenn man sich auf dieses Ziel festlegt. Das halte ich für eine Katastrophe. Deswegen erwarte ich von der CDU/CSU nicht sehr viele Vorschläge, was wirkliche Abrüstung angeht.

Meine Hoffnung ist, dass man nicht mehr auf die Gewalt der Waffen setzt. Ich bin sehr froh, dass es in unserem Land eine große Mehrheit gibt, die ein vernünftiges Verhältnis zu Russland will, die keine Auslandseinsätze der Bundeswehr will, die auf Abrüstung setzt. Ich wäre sehr froh, wenn man endlich aus den Menschheitsverbrechen des Faschismus lernen würde. Das heißt für mich: 6 Millionen Jüdinnen und Juden sind unter deutscher Verantwortung ermordet worden und 27 Millionen Bürger der Sowjetunion, die heute ja auf mehrere Staaten aufgeteilt ist. Vor diesem Hintergrund muss man aber etwas solider, kameradschaftlicher, zugeneigter mit diesen Ländern umgehen, mit Russland ebenso, wie es mit Israel geschieht. Wir können unsere Schuld nicht auf den Schultern der Palästinenser abladen, und wir können unsere Schuld auch nicht mit einem antirussischen Reflex wettmachen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe die Bundesregierung immer wieder gebeten: Macht uns die Russen nicht zu Feinden! Ich bin dafür, dass die Bundeswehr sofort aus Litauen abgezogen wird. Bundeswehr an der Westgrenze Russlands war für mich immer unvorstellbar.

Ich bin auch dafür und bitte Sie, darüber nachzudenken, wie man es hinbekommt, die Atomwaffen der USA aus Deutschland abzuziehen. Das, was ich bei Ihnen gelesen habe, läuft auf den berühmten Sankt-Nimmerleins-Tag hinaus. Diese Atomwaffen müssen jetzt raus aus unserem Land. Das wäre eine Antwort an Trump, und das wäre ein politisches Signal.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte Sie sehr, auch die Debatten über Kampfdrohnen nicht auf die Frage zu reduzieren, welches System man nimmt oder welches man nicht nimmt. Ich bin dafür, dass sich dieses Parlament entscheidet, dass generell keine Kampfdrohnen von der Bundeswehr angeschafft werden dürfen. Das ist die nichtmilitärische Antwort.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich würde sehr gerne über die Möglichkeit reden, gleiche Sicherheit in Europa herzustellen. Gleiche Sicherheit heißt: Man braucht kein Raketenabwehrsystem. Das schafft gespaltene Sicherheit.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich bin dafür, dass wir uns klarmachen, dass Abrüstung Vertrauen braucht. Vertrauen ist die Währung der Abrüstung. Wenn man Vertrauen aufbauen will, muss man erst einmal selbst vorangehen, bevor man es anderen abfordert. Das heißt: Die NATO-Osterweiterung und die Sanktionen haben aus meiner Sicht Vertrauen in Russland zerstört.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Krim-Besetzung hat das Vertrauen in Russland zerstört!)

Über eine gemeinsame europäische Sicherheit ist eigentlich nie ernsthaft verhandelt worden. Ich möchte, dass ernsthaft über ein europäisches Sicherheitssystem, das nichtmilitärisch ist und Russland einschließt, verhandelt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da das wahrscheinlich - man weiß ja nie, ob wir nicht noch zu einer Sondersitzung bei dieser Lage zusammenkommen - meine letzte Rede im Bundestag ist, sage ich: Ich vertraue mehr auf die Bevölkerung unseres Landes, die sich weiser erwiesen hat als dieses Parlament.

Ich bin aber auch der Auffassung, dass im Parlament Veränderungen denkbar sind. Man kann doch, wenn man sich zusammennimmt, sagen: Es werden keine 2 Prozent der Ausgaben für Aufrüstung verwendet. Kauder irrt sich, wenn er fordert, dass wir 70 Milliarden Euro verschleudern sollen. Es wird eine Hinwendung zu einer besseren kollektiven Sicherheit in Europa geben, wenn wir es nichtmilitärisch machen.

Wir hätten gern, dass die NATO aufgelöst wird und dass sich die Europäische Union nicht militarisiert. Darüber sind die Meinungen sicherlich gespalten. Eine vernünftige Debatte dazu wäre es mir allemal wert.

Ich habe mich gerne gestritten; das wissen Sie. Das ist mein Lebenselixier. Herzlichen Dank dafür.

Ich hoffe, dass am Ende eine vernünftige Politik im Interesse unseres Landes und Europas in Form einer weltweiten Friedensbewegung, die wir brauchen, zustande kommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Staatsministers im Auswärtigen Amt Michael Roth)