Der Beschluss der Ukraine zur Verlängerung des Sonderstatus des Donbass ist eine Brüskierung

07.10.2017
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junge Welt, 07.10.2017 / Ausland / Seite 2

Gespräch von Claudia Wrobel mit Wolfgang Gehrcke

Das Kiewer Parlament hat am Freitag beschlossen, den Sonderstatus der Region Donbass zu verlängern. Bevor wir darüber sprechen, was diese Entscheidung bedeutet, wie hat sich die Situation in den vergangenen zweieinhalb Jahren verändert?

Die Außenministerin der Volksrepublik Donezk, Natalja Nikiforowa, ist ganz klar und deutlich in ihrer Aussage: Die Volksrepublik will den ukrainischen Staatenbund nicht verlassen, sondern eine klare und eindeutige Autonomieregelung. In dieser Deutlichkeit hatte ich das zuvor noch nicht gehört. Das entspricht völlig dem Minsker Abkommen. Ihre Position ist, dass sie – mit Russland zusammen – Minsk verfechten, während andere, insbesondere der ukrainische Staat, versuchen, das Abkommen zu verfälschen.

Haben Sie weitere Hinweise für diese Einschätzung?

Die Armee der Volksrepublik hat die klare Anweisung, nicht zurückzuschießen, selbst wenn sie getroffen werden. In dieser Entscheidung wird die Militärführung von Russland gestützt. Die Armee will keinen Vorwand liefern, die militärischen Auseinandersetzungen erneut beginnen zu lassen. Sie befürchtet, dass die Ukraine sonst direkt gegen die Volksrepublik vorgeht. Mit der Außenministerin habe ich außerdem über ihre Einschätzung der Blauhelm-Initiative von Wladimir Putin gesprochen. Sie begrüßt es, dass er diese an der Grenze zwischen beiden Ländern einsetzen will, auch wenn natürlich klar ist, dass das Land selbst für das eigene Gebiet zuständig ist. Es geht aber nicht um eine neue Grenzziehung, sondern darum, die Sicherheit der OSZE-Beobachter zu gewährleisten.

Der Beschluss der Rada enthält unter anderem die Formulierung, die Sonderregelung sei »an den Abzug aller gesetzwidrigen, bewaffneten Formationen (…) vom Territorium der Ukraine« verbunden. Wie muss man damit nun umgehen?

Man wird auf zwei Ebenen über die Zukunft der Volksrepublik Donezk weiter verhandeln müssen: In Minsk muss man über die Umsetzung des Abkommens reden, und über die Blauhelme muss in New York bei den Vereinten Nationen gesprochen werden – mit allen Konfliktparteien, also auch der Volksrepublik selbst. Ich befürchte aber, dass der heutige Beschluss der Rada, der in vielen Teilen noch unklar ist, eine eindeutig kriegerische Sprache spricht. Dies könnte auf die Zerstörung all dessen hinauslaufen, was man in Minsk ins Trockene gebracht hat.

Aber es wird doch als Verlängerung des Sonderstatus für den Donbass dargestellt. Bringt das nicht erst einmal eine Beruhigung in der aktuellen Situation?

Es kann sein, muss aber nicht. Wie immer sind solche Texte von gerissenen Leuten gemacht worden und dadurch so oder so zu lesen. Wenn ich es positiv wende, ist es eine Weiterführung des Donbass-Status und bedeutet Stabilität. Wenn ich es negativ lese, gibt es Kiew ein Recht zu intervenieren, wenn es diesen Status verletzt sieht. Das ist aber nicht genauer definiert. Völlig außen vor sind die drei Signatarmächte Deutschland, Frankreich und Russland. Die müssen klären, was es mit diesem Beschluss auf sich hat.

Haben Sie Hinweise darauf, dass es eben doch negativ gemeint ist, wie Sie ja vermuten?

Der deutlichste betrifft die angesprochenen Signatarstaaten: Wenn man ernsthaft die Verständigung will, hätte man einen solchen Text mit ihnen besprochen. Schon allein, dass man so was ins Parlament einbringt, ohne mit diesen Staaten zu verhandeln, ist eine Brüskierung. Wozu hat man die denn? Außerdem hätte man mit guten Absichten den Text in Minsk der anderen Seite doch mal vorgelegt und angekündigt, dass das Parlament das beraten möchte.

Sie haben Minister und Abgeordnete der Volksrepublik Donezk in Moskau getroffen. Teilen die Ihre Einschätzung?

Wie immer trifft man Leute, die es ganz gelassen nehmen, und andere, die sagen, nun sei endgültig das Ende der Fahnenstange erreicht. Das bringt der Parlamentarismus mit sich. Ich habe hier aber noch niemanden getroffen, der einschätzen mag, wie die USA auf den Beschluss reagieren werden. Aber eines muss klar sein: Wer Waffen in die Ukraine liefert, der provoziert eine neue militärische Auseinandersetzung. Dabei sind die Leute, die in Donezk das Sagen haben, keine Abenteurer. Da sitzen Leute, die es geschaft haben, Menschen in Funktionen zu bringen, die bisher in den korrupten ukrainischen Staatsapparat nicht eingebunden waren.