Heute wenden wir uns mit der Bitte an Euch, den neuen Antrag an den LINKEN-Parteitag im Februar 2019 in Bonn Für friedliche Beziehungen zu Russland – der Vergangenheit und der Zukunft wegen weiter zu verbreiten und zu unterzeichnen, unabhängig davon, ob Ihr Delegierte seid oder nicht, Mitglieder der LINKEN oder nicht.
Die Rolle Russlands in der Friedensfrage ist zu einem Streitpunkt innerhalb der LINKEN geworden. Wir möchten ihn gern positiv aufheben, deshalb befassen wir uns noch einmal mit dem letzten Parteitag der LINKEN vom Juni 2018 in Leipzig, wo die Kontroverse erst richtig aufgebrochen ist. Wir dokumentieren sie teils in Ton und Bild, immer in Schrift anhand des am meisten umstrittenen Antrags und dem pro und contra in der Antragsdebatte, damit sich jede und jeder ein eigenes Bild vom Inhalt unserer Differenzen machen kann.
Der in Leipzig unterlegene Antrag hatte den Titel Frieden in Europa – Schluss mit der Gewalt in Syrien und im Nahen Osten – Abrüstung in der Welt. Es ging also nicht um das Verhältnis der LINKEN zur Russischen Föderation, ihren Staatsorganen oder um den Zustand der dortigen Demokratie, sondern um eine Analyse der Kräfteverhältnisse und deren Dynamik: Aufgrund welcher Interessen und Konstellationen drängen welche Kräfte auf Konfrontation und welche auf Ausgleich; wer strebt weltpolitisch warum nach Bomben, wer nach Dialog? Wer ist in der Friedenspolitik Partner, wer Gegner. Das waren die entscheidenden Fragen, die der Parteitag aber nicht erörtert hat.
Der Parteivorstand und Vorsitzende polarisieren
Für den Antrag warben in der Debatte Wolfgang Gehrcke und Harri Grünberg. Für Wolfgang Gehrcke (Wortlaut und Video) hatte „...das Ganze hat auch etwas mit Moral zu tun. Ich habe immer verteidigt, dass es ein besonderes Verhältnis zu Israel angesichts von sechseinhalb Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden geben muss; ein solches Verhältnis gilt aber auch zu Russland bei 27 Millionen ermordeter russischer, sowjetischer Bürgerinnen und Bürgern. Das muss die Botschaft dieses Parteitages sein.“
Und Harri Grünberg (Wortlaut und Video) fragte: „Kreist Russland die NATO ein oder findet seit über zehn Jahren eine Einkreisung der NATO gegen Russland und zum Teil auch gegen China statt? Werden Raketen von Russland stationiert oder von der NATO gegen Russland? Darauf müssen wir eine Antwort geben. Und ich denke – es macht mich richtig wütend – dass hier in dieser Partei diese Unterschiede nicht verstanden werden auch nicht deutlich ausgesprochen wird, wer ist Aggressor und wer ist Opfer von Aggressionen.“
Doch der Antrag wurde mit 274 Stimmen Gegenstimmen bei 157 Fürstimmen und 65 Enthaltungen abgelehnt.
Dagegen hatte Jan van Aken (Wortlaut und Video) um Ablehnung des Antrags geworben, ausdrücklich als Redner „für den Parteivorstand“: „Um nur zwei Punkte zu sagen: Zum einen schreibt ihr zurecht: das Völkerrecht, wir sind die Partei des Völkerrechts, und ja, der Angriff der Amerikaner, Briten und Franzosen auf Syrien war völkerrechtswidrig, aber genauso völkerrechtswidrig war die Einverleibung der Krim durch Russland. Man kann das richtig oder falsch finden, aber es ist völkerrechtswidrig und das muss man so benennen. Und das zweite, und da werde ich richtig wütend. In dem Antrag steht drinnen, es ist bis heute unklar, ob in Syrien Giftgas eingesetzt worden ist. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Tausende von Menschen, die in Chan Scheichun, in Ghuta, in Duma ermordet worden sind. Nachweislich, durch die Vereinten Nationen nachgewiesen - mit Giftgas - und deswegen kann man diesem Antrag nicht zustimmen.“
Wenigstens die Fakten müssen stimmen
An dieser Stelle ein Verweis auf Fakten:
Die Formulierung in dem diskutierten Antrag, „ob Giftgas in Syrien eingesetzt worden ist“ , auf die sich Jan van Aken anspielt, bezieht sich auf den (tatsächlichen oder behaupteten) Einsatz von Giftgas durch die syrische Armee, nachdem Syrien 2013 dem Vertrag über das Verbot und die Vernichtung von chemischen Waffen beigetreten war, und im zeitlichen Zusammenhang des Leipziger Parteitags auf Duma/Ost-Ghuta. Dort soll laut Weißem Haus und Weißhelmen, am 7. April 2018 von Regierungstruppen Giftgas eingesetzt worden sein. Die Vergeltung folgte am 14. April. Nachdem kurz vorher noch Präsident Trump den Rückzug der USA aus Syrien bekannt gegeben hatte, zerstörten nun die Militärs der USA, Frankreichs, Großbritanniens mit ihren Bomben und Raketen eine vermeintliche Chemiewaffen-Produktionsstätte in Barzeh, Damaskus. Dabei handelte es sich aber um das der Universität von Damaskus angeschlossene Syrische Zentrum für wissenschaftliche Studien und Forschung, das von den Fachleuten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) regelmäßig kontrolliert wird. In deren erstem Berichtheißt es kurz und bündig: „Das Team stellte keine Aktivitäten fest, die den Verpflichtungen aus dem Übereinkommen nicht entsprachen.“
Ihren vorläufigen Bericht über den behaupteten Einsatz von Chemiewaffen in Duma/Ost-Ghuta legten die Kontrolleure der OPCW am 6. Juli 2018 vor, Jan van Aken konnte ihn also auf dem Parteitag nicht kennen. Und doch ist es höchst leichtfertig – und das müsste er als ehemaliger Chemiewaffenkontrolleur am besten wissen - zu behaupten, dass in Ghuta, Duma oder Cham Scheichun „nachweislich, durch die UN nachgewiesen“ Giftgas eingesetzt wurde. Auf Duma/Ost-Ghuta trifft das nicht zu. In ihrem Zwischenbericht dazu sprechen die Chemiewaffenkontrolleure dann von ‚chlorierten organischen Chemikalien‘ (‚chlorinated organic chemicals’), die in zwei von vier untersuchten Bereichen Dumas gefunden worden seien. Die chlorierten organischen Chemikalien sind aber kein Synonym für Chlorgas, geschweige denn für Giftgas. Die erwähnten organischen Verbindungen treten fast alltäglich auf, etwa bei der Verbrennung bestimmter Plastik-Arten, in Lösungsmitteln oder auf mit gechlortem Wasser gereinigten Gegenständen.
Mit Behauptungen zu Giftgaseinsätzen in Syrien ist also äußerste Umsicht geboten. Denn in der zugespitzten militärischen und propagandistischen Situation in Syrien wird zu oft manipulativ über den Einsatz von Chemiewaffen, auch unter Bezug auf die OPCW-Kontrolleure, berichtet.
Fake: Russland will Syrien aufteilen
Die Kontroversen hatten schon vorher in der Diskussion um den Leitantrag des Parteivorstands Abrüsten! Deeskalation ist das Gebot der Stunde begonnen Zur Abstimmung stand dort diese Formulierung: „Mit den Bombardierungen von Syrien versuchen die USA, ihre Rolle als größte Militärmacht zu festigen. Ihre Verbündeten ringen darum, weltpolitisch eine bedeutendere Rolle zu spielen. Die Regionalmächte, Türkei und Russland kämpfen um Einfluss und die Aufteilung von Nachkriegs-Syrien.“
Die Kommunistische Plattform hatte beantragt, den Satz von „Die Regionalmächte...von Nachkriegs-Syrien“ zu streichen. In ihrer Für-Rede (Wortlaut und Video) wandte sich Christiane Reymann gegen, „Obama-Sprech“ von der „Regionalmacht Russland“ und sie verwies auf den völkerrechtlichen Unterschied, dass Russland, nicht aber die USA oder Frankreich, von der syrischen Regierung um militärischen Beistand gebeten worden sei und auf „die Geschichte Russlands in diesem Konflikt, die von Anfang an auf die Einheit Syriens gesetzt hat: Bei den Genfer Verhandlungen und, nachdem sie militärisch eingegriffen hat, hat sie parallel in Astana, in Sotschi und auch in Genf Verhandlungen mit allen Beteiligten geführt, mit der Zivilgesellschaft zur Erhaltung Syriens als einheitlichen säkularen Staat. Das ist nicht anzuzweifeln, wenn man sich die Fakten anschaut“.
In seiner Gegen-Rede (Wortlaut und Video) ging ein Genosse, er hatte sich nicht vorgestellt, zwar nicht auf die zur Abstimmung stehenden russischen Spaltungsgelüste in Syrien ein, dafür fand er andere Gründe zur Ablehnung der Streichung: „Wir müssen hier klar sagen, der Antrag ist abzulehnen, denn wir sind per se keine pro-russische Partei, wir sind eine Friedenspartei, eine anti-militaristische Partei. Und hier zu sagen, dass Russland eingeladen wurde zu bombardieren – das kann keine Rechtfertigung für zivile Opfer sein. Wir müssen sagen, Bomben schaffen keinen Frieden, egal ob amerikanische oder russische, also ablehnen und sagen: Wir stehen hier für den Frieden, egal von wem die Bomben kommen.“
Im verabschiedeten Antrag wurde nur „Die Regionalmächte“ gestrichen, es bleibt bei dem Fake, Russland kämpfe um die Aufteilung Nachkriegs-Syriens.
Bernd Riexinger: Antragsteller sind „außenpolitischer Arm“ ...Russlands
Interessant ist, dass Bernd Riexinger im Sommerinterview des ZDF am 29.7.2018 (Video: 1‘38‘‘-2‘25") die (konstruierte) Alternative „pro-russisch“ oder „Friedenspartei“ aufgreift und noch steigert. Explizit korrigiert er den fragenden Moderator: „Sie haben vielleicht nicht mitbekommen, dass wir wirklich eine Zäsur auf dem Parteitag hatten, dass ein sehr russlandfreundlicher Antrag nicht durchkam, weil gesagt wurde: Wir sind Friedenspartei, wir sind nicht ein außenpolitischer Arm von irgendjemand und wenn Russland eine falsche Politik macht oder jemand bombardiert, dann werden wir das auch kritisieren.“
Wir sind es gewohnt, als Putinversteher bezeichnet zu werden. Wir haben das nicht als Schimpfwort zurückgewiesen, denn wie soll man Politik machen, wenn man das Gegenüber nicht verstehen will. Anders der Titel außenpolitischer Arm ...Russlands – dass Bernd Riexinger den außenpolitischen Arm Russlands meint, ergibt sich eindeutig aus dem Zusammenhang. Dieser „außenpolitische Arm“ unterstellt, wir handelten nicht selbstbestimmt, sondern als Marionetten des Kremls. Früher nannte man das fünfte Kolonne Moskaus. Das ist kein Argument, sondern da verpasst der Parteivorsitzende Genossinnen und Genossen, die eine andere Meinung zu Russland vertreten, in denunziatorischer Absicht ein Kainsmal.
Das zeigt auch: Es ging in der Auseinandersetzung um den Antrag nicht um einzelne Formulierungen oder Präzisierungen, wie es gern kolportiert wird – daran wären die Antragsteller interessiert gewesen – sondern es ging um die Richtung des Antrags, die sollte verschwinden.
Zu Interessen und Motiven
Aber lassen wir das und versuchen eine Kurz-Analyse der Kontroverse aus unserer Sicht:
- Jene „Zäsur“ – das ist ein anderes Wort für: Einschnitt oder auch Bruch – war kein Zufallsprodukt, sondern ist bewusst durch die Leitung der Partei herbeigeführt worden. Dass dieser tiefe Einschnitt gegenüber der bisherigen Friedenspolitik unter Einbeziehung Russlands eine so große Mehrheit auf dem Parteitag gefunden hat, liegt auch daran, dass sich der Parteivorstand zum Pol der Auseinandersetzung gemacht und keine Vermittlung oder Brücken gesucht hat. Es ging nicht um Inhalte, sondern um Macht nach innen und Bekenntnisse nach außen.
- Neu durchgesetzt werden soll eine gleiche Ferne, eine gleiche Kritik an den USA wie an Russland. Diese sogenannte Äquidistanz verkennt die grundsätzlich unterschiedlichen Positionierungen in den Konflikten um Europäische Sicherheit, den Krieg in Syrien, den Ukraine-Konflikt und vor allem zu Aufrüstung bzw. Abrüstung. Hier stehen die USA und Russland doch nicht zufällig auf der jeweils anderen Seite. Auf keinen Fall ist das ein Ausweis für strukturell gleiche Interessen.
- Zugunsten dieser Zäsur wird hoch emotional argumentiert – wobei Fakten leicht unter den Tisch fallen. Die aufgeladene Emotionalität verschließt den Blick auf die Analyse von Interessen, Kräftekonstellationen und darauf, aus eigenem Interesse als Linke in Deutschland international Partner für den Friedenskampf zu gewinnen (und Vereinnahmungen zurückzuweisen).
- Die Haltung zu Russland als Partner für den Frieden ist eine frühe Warnung, bezogen auf die internationale Politik der LINKEN. Der Partei wird von außen „Russlandfreundlichkeit“ zugeschrieben, das ist abwertend gemeint, und dazu muss sie sich verhalten: Findet sie zurück zu einem eigenständigen, selbstbewussten Umgang - oder weicht sie aus? Die Haltung zu Russland als frühe Warnung heißt auch: Schon deutet sich an, dass dieser Zäsur weitere folgen können. Sollen die dann genauso konfrontativ bearbeitet werden?
Abschließend sei in diesem Zusammenhang an Egon Bahr und Willy Brandt erinnert. Auf ihren Initiativen wuchsen zwischen Russland und Deutschland strategische Partnerschaften. Diese Erfahrungen gilt es heute zu verteidigen.