Abgeordnetenwatch, Thema: Demokratie und Bürgerrechte

15.09.2008
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Sehr geehrter Herr Gehrcke,
noch eine Frage zum Thema Kuba, Die Linke und die Menschenrechte.
2006 sagte Herr Leutert im Bundestag: "wir aber führen diesen Dialog gemeinsam mit den Kubanerinnen und Kubanern" Ich würde gern wissen wer diese Kubanern sind. Mir ist nicht bekannt daß Mitglieder ihrer Partei sich mit kubanischen Oppositionellen getroffen haben. Auf Kuba gibt es auch politische Gefangenen und Oppositionellen die Linke sind. Als Oscar Lafontaine Castros Gefängnisinsel besuchte, sprach er nicht ein einziges Mal mit Mitglieder der kubanischen Menschenrechtsbewegung. Menschenrechtsdialog oder Monolog mit den Machthaber?

Antwort von Wolfgang Gehrcke:
Generationen von Lateinamerikanern wurden vom Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit, den Kuba führte, inspiriert. Auch heute noch spürt man diesen Freiheitswillen gegen ausländische Bevormundung unter den Kubanern und Kubanerinnen. Spanien, die alte Kolonialmacht, unterdrückte die Freiheitsrechte des kubanischen Volkes. Die USA wollten das Erbe Spaniens antreten. Die USA führten Ende des 19 Jahrhunderts einen Krieg gegen Spanien, um Kuba für sich zu erobern. Die USA kamen und besetzten die Insel. Sie hinterließen ein System mit demokratischer Fassade. Tatsächlich aber diktierten sie über Jahrzehnte hinweg den Kubanern, was sie zu tun haben. Es war den USA egal, ob in Kuba Demokraten oder Diktatoren an der Macht waren. Die Diktatoren wurden immer von den USA unterstützt. Es galt das Motto: „Es sind zwar Bastarde, aber unsere Bastarde“. Keiner Regierung der USA fiel es ein, über Menschenrechtsverletzungen auf Kuba zu klagen. Am schlimmsten war die Diktatur von Fulgencio Batista. Während in Havanna die US-Mafia zum wichtigsten Geschäftspartner (toleriert durch die US-Regierung) des Batista-Clans wurde und unsäglichen Reichtum aus Kuba abschleppte, lebten besonders die Menschen auf dem Lande in bitterster Armut. Widerstand regte sich dagegen und wurde brutal unterdrückt.

Gegen Batista und die US-Herrschaft erhob sich Fidel Castro und seine Rebellenarmee der Bewegung des 26 Juli. Das kubanische Volk schloss sich dem Aufstand an. 1959 brach mit dem Einzug Castros in Havanna das Batista Regime zusammen. Batistas Diktatur war die bis dahin brutalste, die es auf dem lateinamerikanischen Kontinent gegeben hat. In den Gefängnissen Batistas wurde gefoltert und gemordet.

Nach dem Sturz der Diktatur wurden die Anhänger Batistas, sofern sie nicht nach Miami geflohen waren, vor Gericht gestellt und bestraft. Die für das Foltern und Morden Verantwortlichen wurden oft zum Tode verurteilt. Viele wurden hingerichtet. Das Regime Batista war für den Tod von über 20.000 Menschen verantwortlich. Entsprechend war auch die Wut der Menschen in Kuba. Sie forderten die Vergeltung. Ich kann diese Wut nachempfinden und bin doch auch zu der Auffassung gelangt, die meine Partei heute vertritt: Wir lehnen die Todesstrafe ab – gleich, ob in Kuba, China oder in den USA. Das weiß die kubanische Führung.

Der Westen sprach damals von Menschenrechtsverletzungen und nicht rechtstaatlichen Schnellverfahren. Wo blieben aber die Proteste westlicher Regierungen, als Batista mit dem Morden und Foltern begann. Für das Foltern und Morden in Chile nach dem Sturz der Regierung Allendes 1973 gab es nur milde Ermahnungen von Seiten westlicher Staaten, insbesondere der USA, gegen das Terrorregime der chilenischen Militärs.

Kuba streitet jeden Vorwurf von Folter oder einer schlechten Gefangenenbehandlung ab. Dies entspreche nicht dem Ethos der Revolution. Bis heute haben sich Foltervorwürfe, die gegen Kuba erhoben wurden, nicht bestätigen lassen. Ganz in Gegensatz zu den USA, wo die Bush-Administration im Krieg gegen den Terror die Folter als legitimes Mittel wieder einführte. Selbst der pro-westliche Auslandsvertreter der Koordinationsstelle der Menschenrechtsorganisationen in Cuba, Ramon Cernuda, bestätigte in einem Interview: „Aber wir sind der Auffassung, dass es in Kuba keine offizielle Politik der Folter gibt. Die cubanische Regierung wendet die Folter nicht an.“

Das in es Kuba Einschränkungen demokratischer Rechte gibt, hat die Linke kritisiert und wird sie auch weiterhin Kritisieren. Aber – das hat auch mit der Entwicklung zu tun, mit der sich Kuba nach der Revolution konfrontiert sah. Sofort bekam die kubanische Revolution den Druck der USA zu spüren. Das Land befand sich in einer permanenten Verteidigungssituation, dies geht zu Lasten von innerer Freiheit. Die USA nahmen die Batista-Flüchtlinge aus Kuba in Miami auf und begannen schon früh, diese zu unterstützen. Mit Hilfe der CIA wurden sie bewaffnet und für einen Angriff auf Kuba trainiert. 1961 schließlich gaben die USA grünes Licht für eine Invasion der Exilkubaner auf Kuba. Die Invasion scheiterte am Widerstand der Kubaner. Die USA, die größte westliche Demokratie, war in den Augen der meisten Kubaner und Kubanerinnen damit restlos diskreditiert.

Die USA verhängten eine Wirtschaftsblockade über Kuba. Damit sollte das Land in die Knie gezwungen werden. Diese dauert heute, nach über 40 Jahren, immer noch an. Amnesty International macht die völkerrechtswidrige US-Blockade gegen Kuba mitverantwortlich für den Zustand der Menscherechte in Kuba. Erst wenn die Blockade beseitigt wird und sich normalisierte Beziehungen entwickeln können, d.h. wenn der Ring der Belagerung, der um Kuba gezogen wurde, aufgehoben ist, wird sich auch in Kuba eine andere Kultur der demokratischen Debatte entwickeln. Dabei muss Kuba das Recht haben, einen eigenen Weg zur Demokratie zu finden. Schon heute weist Kuba ein hohes Maß an demokratischer Partizipation der Bevölkerung bei der Mitgestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes auf. Eingeschränkt sind die Rechte insbesondere jener, die mit der Miami-Opposition zusammenarbeiten, die sich mit Kuba im Krieg befindet. In hohem Maße achtet Kuba darauf, dass elementare Menschenrechte in Kuba allen Menschen zur Verfügung stehen. Dazu gehören Bildung und Gesundheit. Hier hat Kuba im lateinamerikanischen Kontext Großes geleistet.

Sie irren mit Ihrer Behauptung, die Linke würde sich nicht mit kubanischen OppositionspolitikerInnen treffen. Sehr wohl hat es solche Treffen mit Bundestagsabgeordneten der Linken gegeben. Solche Treffen sind aufschlussreich. Sie helfen zu verstehen, was die Opposition in Kuba will. Und aus den Gesprächen ergeben sich noch viele Fragen. Es sind Fragen, die auch viele Kubanerinnen und Kubaner stellen.

Wohin will die Opposition Kuba führen? Welche Wirtschaftspolitik wird angestrebt? Soll die alte Oligarchie ihren Besitz wieder erhalten oder bleibt er öffentliches Eigentum? Was soll mit dem kubanischen Volksvermögen geschehen? Und schließlich von allergrößtem Interesse für alle Kubanerinnen und Kubaner die Frage: Was geschieht mit der kostenlosen Bildung und der kostenlosen Gesundheitsfürsorge in Kuba? Das sind zwei wichtige Errungenschaften, die im Alltag der Kubaner eine sehr große Rolle spielen. Man vernimmt von der Opposition, dass sie in Kuba eine Demokratie nach westlichen Vorstellungen anstrebt. Was heißt das? Demokratie heißt für die meisten Kubaner, dass die Bevölkerung neue Ebenen der Partizipation erhält. Demokratien westlichen Zuschnitts sind noch sehr weit davon entfernt, der Bevölkerung mehr Partizipation in allen Lebensbereichen zuzugestehen. Partizipative Demokratien entwickeln sich in der Nachbarschaft von Kuba in Venezuela, Bolivien, Ecuador. Und letztendlich die Frage an die kubanische Opposition: Tritt sie für die Stärkung der Wirtschaftsdemokratie ein, d.h. für die Erhaltung und die Ausweitung der Rechte der Arbeitnehmer in der Mitgestaltung und Kontrolle der Betriebe, die ja in Kuba schon sehr weit ausgeprägt ist?

Wolfgang Gehrcke