Ein Antwortschreiben zum Thema Kuba und seine Menschenrechte

03.08.2009
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Sehr geehrter Herr,
ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 15. März 2008. Ich verstehe Ihr Unbehagen, Ihre Kritik, kann sie dennoch nicht teilen. Wenn ich, wenn die LINKE nicht in die allgemeine Verurteilung Kubas als ständiger Missachter von Menschenrechten einstimmt, dann geschieht das nicht, weil wir „auf dem linken Auge“ blind wären. Wir betrachten in der Tat die Menschenrechte als universell, das heißt: für alle gültig - für Großmächte, für die Weltmacht USA, für kleine Länder.
Doch die Menschenrechte sind nicht vom Himmel gefallen. In Jahrhunderte langen Kämpfen – mit Schwerpunkt Europa – wurde ihnen zum Durchbruch verholfen. Das heißt: Sie wurden formuliert und als allgemeingültig postuliert. Die jeweiligen nationalen Ausprägungen der Klassen- und Befreiungskämpfe, der historischen Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft haben eine ungleichgewichtige, unterschiedliche Schwerpunktsetzung innerhalb des Menschenrechtskanons
bewirkt.
Ich möchte das an drei Beispielen skizzieren.

 

  • In der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika wird in der Präambel an erster Stelle zum Sinn der Verfassung gesagt, sie solle der „Vervollkommnung des Bundes“ dienen. An zweiter Stelle steht die Gerechtigkeit, an dritter die Sicherung der Ruhe im Innern, danach folgt die Landesverteidigung und erst an fünfter Stelle wird die Förderung des allgemeinen Wohles aufgeführt. Artikel 1 befasst sich mit der Gesetzgebenden Gewalt.
  • Die Präambel des französischen Verfassung hingegen sagt, dass es in der Verfassung um die Erklärung und Darlegung der „natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte“ der Mensche gehe, um die Mitglieder der Gesellschaft, Legislative und Exekutive an ihre Rechte und Pflichten zu erinnern. Artikel 1 formuliert, dass die Menschen frei und gleich an Rechten geboren werden und es bleiben.
  • Die Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland erklärt zur Hauptaufgabe, „dem Frieden in der Welt zu dienen“, und verpflichtet in Artikel „alle staatliche Gewalt“, die Unantastbarkeit der Würde des Mensche zu achten und zu schützen.


Die historischen Bedingungen für die unterschiedlichen Gewichtungen von Rechten und Menschenrechten in den Verfassungen kann auch der Nicht-Historiker nachvollziehen.
Auch die Gewichtung der einzelnen Menschenrechte ist unterschiedlich. Das Recht auf Leben wird in unserem Grundgesetz höher bewertet als z.B. das Recht auf Pressefreiheit. Auch das hat neben inhaltlichen auch historische Gründe.

Die universelle Gültigkeit der Menschenrechte impliziert also durchaus eine je unterschiedliche Gewichtung dieser Recht, die z.B. durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte, durch Geschichte und politisches System modifiziert sein können und deren Weiterentwicklung und Vervollkommnung eine ständige Aufgabe von Gesellschaft und Politik ist. Auch diese Anforderung ist universell. 

Wenn ich die Erklärung der Menschenrechte von 1948 betrachte und sie als Maßstab an die Realität jener Staaten anlege, die zur Herausbildung dieser Recht historisch einen großen Beitrag geleistet haben, erkenne ich eine tiefe Kluft zwischen Anspruch und Realität: Praktizierter Rassismus steht im offenen Widerspruch zum „Geist der Brüderlichkeit“, der in Artikel 1 der Menschenrechtserklärung gefordert wird. Das Recht auf Leben (Artikel 3) steht im Widerspruch zu Todesstrafe im Innern und Kriegspolitik nach Außen. Folter und erniedrigende Behandlung, die in Artikel 5 verboten werden, gehören zu den verabscheuungswürdigen Praktiken, die die US-Regierung nicht einmal in Abrede stellen.

Ich will nicht die Verletzung von Menschenrechten hier gegen jene dort aufrechnen. Aber es gebietet die Gerechtigkeit, immer auch die Wertigkeit von Menschenrechten mit im Auge zu behalten.
Entscheidender aber ist im Falle Kubas, dass die Gewaltpolitik der Weltmacht USA, ihre militärischen Drohungen, ihre Embargopolitik, das Menschenrecht der Kubanerinnen und Kubaner auf Nahrung gefährdet, beschneidet. Dies hat der UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler kürzlich (APA/dpa vom 12.03.09) festgestellt. 
„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Bert Brecht führt diesen Gedanken weiter aus:

„Erst muss es möglich sein auch armen Leuten
vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.“

Erst wenn die Grundbedürfnisse der Menschen annähernd befriedigt sind, sind sie in der Lage, sinnvoll und kreativ ihre gesellschaftlichen Lebensumstände, die Politik zu gestalten. Trotz der außerordentlich großen Wirtschaftsprobleme, die Kubas Entwicklung seit Jahrzehnten behindern, hat die kubanische Regierung Vorbildliches für die Entwicklung des Gesundheits- und Bildungssystems getan, Errungenschaften, fundamentale Menschenrechte, die das ganze Volk in Anspruch nimmt.

Ich bin davon überzeugt, dass die Aufhebung der feindseligen Sanktionen und Kriegsdrohungen seitens der USA den Weg zu Reformen in Kuba öffnen wird. Solange der feindselige Machtblock, - es sind ja auch die Verbündeten der USA, die diese aggressive Politik betreiben, - den antikubanischen Ton angibt, bin ich nicht bereit, in deren Chor mitzusingen.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Gehrcke