Frieden: Vom ersten Kapitel im Programm zur Fußnote im Wahlkampf

30.05.2019
Printer Friendly, PDF & Email

Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann

Am Wahlabend reden sich alle Beteiligten ihr Wahlergebnis schön; das macht die TV-Runden so gähnend langweilig. Dass sich jetzt auch die Leitungen der LINKEN ihr miserables Ergebnis bei den Wahlen zum Europäischen Parlament schönreden, macht uns mindestens genauso viel Sorgen wie das Ergebnis selbst. Linke Interpretationskunst kann übrigens skurrile Blüten treiben. So schreibt der Landesvorstand Brandenburg, die Wählerinnen und Wähler seien „deutlich pro-europäischer“ als die LINKE in ihrer Selbstdarstellung. Ist nicht in Brandenburg gerade die AfD stärkste Partei geworden? Im Übrigen hat Die LINKE in keinem ihrer Programme Zustimmung oder Freundlichkeit gegenüber dem real existierenden EU-Europa beschlossen. In ihrem Wahlkampf allerdings ist linke EU-Kritik untergegangen mit der Folge, dass diejenigen, die gegen die EU protestieren wollten, fast ausschließlich rechts gewählt haben. Das war einmal anders. Die PDS hat damals im Bundestag gegen die Einführung des Euro gestimmt. Mit guten Gründen, deren Berechtigung heute klarer zutage tritt, als sie damals vorauszusehen waren. Nun kann man das Rad nicht zurückdrehen, der Euro ist da, der Lissabon-Vertrag auch, Brüssel und Straßburg sind Horte der Lobbyisten, keine Orte der Demokratie, die Militarisierung der EU wird im Zeitraffer vorangetrieben usw. Indem die LINKE ihre Kritik an der Verfasstheit und den Zuständen der EU zurückgenommen hat, hat sie einen Platz geräumt, auf dem nun die Rechte Form und Inhalt von EU-Kritik bestimmt.

Zu EU und Europa herrscht eine große Begriffsverwirrung und die LINKE macht sie mit. Auch sie verwechselt weitgehend Europa mit der EU. Das ist eine sehr eingeschränkte Sichtweise, die im Handstreich große Teile Europas von der Landkarte wischt. Gerade wenn die Wahl zum Europäischen Parlament gemeinhin zu einer „Richtungswahl für Europa“ umetikettiert worden ist, hätte DIE LINKE über die Rolle der EU in Europa sprechen müssen. Der Parteitag hat die Friedenspolitik der LINKEN zum Ausgangspunkt des EU-Wahlprogramms gemacht, die politische Leitung dann aber in der Wahlkampagne zu einer Fußnote. Das ist nicht nur unter Gesichtspunkten der innerparteilichen Demokratie problematisch, es ist politisch falsch und hat dazu geführt, dass DIE LINKE mit ihren anerkannten Kompetenzen nicht punkten konnte.

Unter den für Wählerinnen und Wähler wichtigen Themen steht Frieden ganz oben. Mit dem Friedensthema wäre DIE LINKE bei sich gewesen, so wie die Grünen mit der Ökologie. Frieden kann DIE LINKE zudem glaubwürdig mit Klimaschutz verbinden. Das ist in der Frage der Atomkraft offensichtlich, ihre friedliche Nutzung ist gefährlich und die kriegerische kann die Menschheit und den Planeten vernichten. Es gibt aber noch weitere Verbindungen. Schließlich ist das US-Militär der größte Umweltverschmutzer weltweit. Täglich (!) werden auf den US-Militärbasen 320 000 Barrel Öl verbraucht (weitere Fakten und Quellen s.u.). Bei den Verhandlungen zum Klimaprotokoll von Kyoto hat die Bush-Administration erfolgreich gepokert: Sie hat sich zuerst die Zusicherung eingeholt, dass der Dreck, die Gifte, die Gase ihres Militärs nicht erfasst und angerechnet werden, um dann das ganze Protokoll doch nicht zu unterzeichnen. So sind die Umweltverbrechen durch das US-Militär international genauso straffrei gestellt wie die Verbrechen ihrer Soldatinnen und Soldaten.

Nein zur NATO – dabei muss es bleiben, nein zur Militarisierung der EU, nein zu Rüstungsproduktion und -exporten. Das ist ein glaubwürdiges linkes Profil. Warum wurde damit nicht geworben? Aus Gründen der Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung schleift DIE LINKE im vorauseilenden Gehorsam ihr Profil. Das Profil der Partei DIE LINKE ist im Parteiprogramm gezeichnet. Das ist ein gutes Parteiprogramm, es muss energisch wiederbelebt werden.

Unser Nachdenken über das Friedensthema im EU-Wahlkampf spricht natürlich nicht gegen die Themen soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz oder Bildung; genauso wenig erheben die folgenden Punkte den Anspruch eine vollständige Wahlanalyse.

In den Wahlauswertungen aus Gremien der LINKEN spielt die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Erfolgen der AfD eine sehr geringe Rolle. Anders in der Kommunistischen Plattform, auf deren Erklärung Neustart – ein Begriff, zwei Interpretationen wir zustimmend ausdrücklich hinweisen: https://kpf.die-linke.de/erklaerungen/news/neustart-ein-begriff-zwei-interpretationen/

In seinen Thesen zum Wahltag schreibt Bernd Riexinger, dass im monatelangen Richtungsstreit „Zweifel an unseren Positionen in Migrationsfragen aufkamen“ und die Grünen „sich als weltoffener Gegenpart zur rassistischen AfD profilieren“ konnten. In anderen Worten: Sahra Wagenknecht habe zum schlechten Wahlergebnis mit beigetragen. Vielleicht lohnt ein zweiter Blick auf diese Sache. Wir sind doch sicherlich nicht die Einzigen, denen Leute erzählt haben, dass sie dieses Mal nicht mehr DIE LINKE ankreuzen, weil sie den Umgang der Partei mit Sahra nicht in Ordnung finden.

Katja Kipping schreibt zum Warnsignal, das ernst zu nehmen sei: Nach jahrelanger Dominanz rechter Themen, stünden jetzt dank Bewegungen für Klimaschutz oder Seenotrettung progressive im Vordergrund. Deshalb müsse zur nächsten Bundestagswahl Kurs auf eine Linksregierung genommen werden. Diese Analyse der Kräfteverhältnisses scheint uns doch sehr gewagt. Die in Wahlergebnissen abgebildeten Kräfteverhältnisse in EU-Europa und Deutschland jedenfalls sprechen dagegen. Unter diesen Bedingungen die Partei mit einem „Fahrplan“, den Kipping aufstellt, innerhalb kurzer Zeit auf Regierungsübernahme zu trimmen, räumt den Platz von gesellschaftlicher Opposition und sozialistischer Perspektive. DIE LINKE sollte besser das Godesberg der SPD nicht wiederholen. Es war kein Erfolgsrezept.

Nicht nur Erfolge, auch Niederlagen haben Verantwortliche. Für das Ergebnis der Wahlen zur Europäischen Parlament sind nicht die Spitzenkandidaten verantwortlich, sie haben das getan, was sie konnten; verantwortlich ist nicht die Werbeagentur, sie war nur Ausführende. Verantwortlich ist die politische Leitung, sind die Vorsitzenden und der Wahlkampfleiter. Mit ein bisschen Anstand nimmt man diese Verantwortung wahr und macht Platz für Genossinnen und Genossen, die die Partei hoffentlich besser motivieren und profilieren können.