(Wirtschafts-)Krieg gegen Russland – Nawalny, NATO, Northstream

06.09.2020
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Christiane Reymann & Wolfgang Gehrcke

Für Angela Merkel ist zweifelsfrei nachgewiesen, dass Alexej Nawalny Opfer eines versuchten Mordes mit einem Nowitschok-Gift ist. Die 30 NATO-Mitglieder, die sich am 4. September zum Fall Nawalny berieten, sprachen daraufhin von einem „eklatanten Völkerrechtsbruch“. Generalsekretär Stoltenberg: "Die NATO sieht jeden Einsatz von chemischen Waffen als eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit". Diese Formulierungen entsprechen Kapitel VII der UN-Charta, das sich mit „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens...“ befasst; wenn der Weltsicherheitsrat eine solche Situation feststellt, kann er gegen den Verursacher alle möglichen Formen von Sanktionen beschließen - bis hin zum militärischen Eingreifen. Nun ist die NATO nicht der Weltsicherheitsrat, aber wenn sie die Begriffe aus der UNO-Charta benutzt, platziert sie sich in dessen Nähe oder an dessen Stelle. Derzeit pochen die NATO-Mitglieder wie auch die EU-Staaten noch auf Aufklärung durch Russland und eine internationale Untersuchung, noch sind sie auf der Suche nach einer, wie es heißt, „angemessenen gemeinsamen Reaktion“; vielleicht auch, weil sie untereinander dazu (noch?) nicht einig sind? Das dicke Ende kommt nach.

 

Zweifelsfrei erwiesen?

Andrej Nawalny ist auf dem Flug vom sibirischen Tomsk nach Moskau im Flugzeug zusammengebrochen. Noch bevor er den Ural erreicht hatte, landete seinetwegen der Flieger in Omsk. Die Ärzte im dortigen Krankenhaus hatten bei ihrem Notpatienten eine schwere Stoffwechselerkrankung diagnostiziert. In Deutschland sprachen die Ärzte der Charité von einer „mutmaßlichen Vergiftung“, erst das Labor der Bundeswehr präsentierte ein „zweifelsfreies“ Ergebnis: Es war Nowitschok! Ausgestattet mit dieser Wahrheit, werden die Ärzte in Omsk und ganz Russland als unfähig oder als willfährige Vollstreckungsgehilfen des Kreml klassifiziert. Da blitzt er wieder auf, der Dünkel von Herrenmenschen.

Das Nervengift wurde in der Sowjetunion entwickelt. Entsprechend der Konvention über die Ächtung von Chemiewaffen wurde Russland im Jahr 2017 chemiewaffenfrei – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, die bis heute Chemiewaffen besitzen. An drei von sieben russischen Vernichtungsanlagen war übrigens der Böblinger Anlagenbau Eisenmann beteiligt. Dass ausgerechnet der Staat, der den entscheidenden Beitrag geleistet hat, dass Syrien 2013/14 seine Chemiewaffen international beseitigen ließ, selbst welche gebunkert hat, ist eher unwahrscheinlich.

Ab hier wird jetzt alles etwas spekulativ: Für wie blöd halten die Putin eigentlich? Wer hat Interesse an einer vergifteten Atmosphäre,? Warum jetzt? Beginnen wollen wir mit: Wer war der, wer waren die Täter? Woher stammt das mögliche Gift? War es wirklich Nowitschok?

Das mag sein. Aber eine so schwerwiegende Vergiftung kann doch erst ohne jeden Zweifel festgestellt werden, wenn mindestens eine zweite, besser: mehrere Untersuchung von zweifelsfrei unabhängigen Laboren stattgefunden haben. Bei jeder mittleren Operation holen sich Patientinnen, Patienten eine zweite Meinung ein, das soll für einen „Völkerrechtsbruch“ nicht gelten? Warum stellt das Labor der Bundeswehr die Proben dann nicht auch den russischen Ärzten zur Verfügung, die darum gebeten haben? Warum hat das Bundesjustizministerium bis heute (am 05.09.2020) das Rechtshilfeersuchen der russischen Generalstaatsanwaltschaft vom 27. August 2020 in Sachen der Krankenhauseinlieferung von Alexej Nawalny unbeantwortet liegen lassen?

Angesichts dieser Fragen von einem „zweifelsfreien“ Beweis zu sprechen, ist zumindest leichtfertig (Dietmar Bartsch: „Die selten harte Reaktion der Bundesregierung ist angemessen“), wenn nicht interessengeleitet, das gilt für Angela Merkel, NATO, EU und allemal für die US-Administration.  

 

weiterlesen im Ça ira Nr. 182