Zu Hause in Frankfurt am Main

24.08.2009
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Frankfurt und die Braut im Schnee
Ich habe mich auf den Weg gemacht, Frankfurt zu erkunden. Das ist mir wichtig, eine Stadt aufzunehmen, zu ertasten, zu erfühlen, Widersprüche sinnlich zu erfahren. Bislang führten meine Wege rasch auf linke Trampelpfade: Leipziger Straße, Kleine Hochstraße (Club Voltaire), Gewerkschaftshaus, Haus der Jugend am Deutschherrenufer, Ökohaus und Uni – Stadtentdeckung von Kongressen, Treffen und Parteitagen diktiert. Einseitig und nicht besonders kreativ.

Hilfe war nötig und Lesen half. Stürzt euch auf zwei Bücher von Jan Seghers alias Matthias Altenburg:

Ein allzu schönes Mädchen (rororo Taschenbuch)

Die Braut im Schnee (Rowohlt Verlag GmbH)

Der Frankfurt-Krimi ist geboren. Kriminalromane sind ja längst schon gesellschaftskritische Literatur. Ich weiß, der wahre Krimi ist die Wirtschaft, und wer über Wirtschaft und Banken redet, landet unweigerlich in Frankfurt. Dieses Geflecht von Wirtschaft, Politik und Kriminalität findet sich auch in den beiden Romanen.

Matthias Altenburgs Figuren leben. Der Kriminalkommissar Marthaler, vereinsamt, nur in der Arbeit lebend, oder besser aus dem Leben in die Arbeit flüchtend, beziehungsunfähig, findet den Zugang zum Leben – tastend, Rückschläge schwer verdauend, Alter durch Jogging bekämpfend - in Achtung vor Menschen. Meine Lieblingsfigur allerdings ist Carlos Sabato, der Kriminaltechniker im Keller. Dickleibig, Katzenfreund, Bastler, dem gutem Essen und deftiger Liebe zugetan – zweifellos in der Linken zu Hause. Ein Linker, wie er mir gefällt.

Hier eine kurze Szene aus Die Braut im Schnee:

„Die Stimmung hier war so ausgelassen und fröhlich, wie Marthaler es lange nicht erlebt hatte. Irgendetwas ist anders an diesen Menschen, dachte er. Vielleicht fehlt uns Deutschen etwas. Vielleicht ist es ein Gen, vielleicht ist es auch nur die Sonne. (…)‚Ja, weißt du denn nicht, dass hier fast nur Linke versammelt sind. Kommunisten, Sozialisten, sogar ein oder zwei Anarchisten. Der ganze Saal ist voller Staatsfeinde. Nun stell dir mal hier unseren Chef vor. Der würde doch gleich den Verfassungsschutz rufen.’ Als er Marthalers ungläubigen Gesichtsausdruck sah, brach Sabato in ein dröhnendes Lachen aus. ‚Keine Angst’, sagte er. ‚Das Essen ist nicht vergiftet. Komm, und jetzt setzen wir uns. Ich habe einen Bärenhunger.’“ (S. 251 f.)

Die Leserin und der Leser erfahren, warum das Gallus-Viertel Kamerun heißt, sie lernen Gaststätten, Restaurants und Spazierwege am Mainufer kennen, erheischen neue Einsichten in Geschichte und Gegenwart.

Und spannend sind die beiden Bücher, das nicht ganz nebenbei. Dabei werden die Geschichten ruhig erzählt.

Matthais Altenburg stellt in seinen Romanen Frauen in den Mittelpunkt. Frauen als Opfer und Frauen, die sich wehren. Die Brutalität der Verbrechen schockiert, aber hier hat Altenburg zwar Handlungen erfunden, um Realität zu treffen, wie ein Blick in Untersuchungen zu Umfang und Art männlicher Gewalt gegen Frauen zeigt; die Gesellschaft wird gewalttätiger.

Meine Krimi-Sammlung ist umfangreich; Jan Seghers alias Matthias Altenburg ist eine wunderbare Neuentdeckung, die ich gerne auch Frankfurterinnen und Frankfurtern empfehle. Vielleicht sehen sie ihre Stadt nach diesen Büchern anders – und ich entdecke weiter Frankfurt.

Wolfgang Gehrcke