Klassenkampf heute und die Aufgaben der LINKEN.

08.12.2008
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Eine Skizze zum Meinungsstreit
Beitrag auf der Bundeskonferenz der Sozialistischen Linken am 8. Dezember 2008 in Hannover


Liebe Genossinnen und Genossen,

die Krise hat uns im Wesentlichen unvorbereitet getroffen. Das merkt man an unserem Agieren und an unserer Schwäche, wirkliche Gegenbewegungen zu entwickeln.

Die Ursachen für unsere Schwäche in der Krise sind vielfältig. Die Linke hat sich in den letzten 20 Jahren vor allem mit ihrer eigenen Krise und mit der Suche nach Auswegen befasst. Uns sind das analytische Handwerkszeug, Kategorien der politischen Ökonomie abhanden gekommen. Ihre Rück- und Neugewinnung könnten es möglich machen, die Wesenszüge des modernen Kapitalismus, seine Widersprüche und Gegenkräfte klarer zu erfassen. Das ist Voraussetzung dafür, sie in praktische Forderungen und Bewegungen umzusetzen. Dazu einige Überlegungen.

Zum Charakter der Krise

Mit dem Begriff „Krise der Finanzmärkte“ ist das, was heute vor sich geht, nur unzureichend beschrieben. Es handelt sich um eine Krise der Produktion und des Absatzes, eine Krise der Beschäftigung, der Politik und Moral, eine Krise der Demokratie und ihrer Institutionen. Es verbinden sich eine konjunkturelle Krise und die weltweite Krise der Finanzmärkte zur schwersten kapitalistischen Weltwirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Sichtbar stößt ein in den letzten 25 Jahren weltweit dominanter Entwicklungstyp des Kapitalismus an seine Grenzen. Aber Vorsicht, das bedeutet noch lange nicht, dass der Kapitalismus als System, als gesellschaftliches Verhältnis, an seine Grenzen gestoßen ist. Der Übergang zu einer neuen Phase der Entwicklung der kapitalistischen Welt deutet sich an.

Wie dieser Übergang aussehen kann - antidemokratisch und autoritär oder demokratisch, offen für eine antimonopolistische Demokratie – wird nicht zuletzt von den Entwicklungen sozialer Kämpfe abhängig sein. Um uns alle zu enttäuschen: Der Sozialismus als gesellschaftliche Alternative steht heute nicht auf der Tagesordnung!

Wirtschaftliches Wachstum unter kapitalistischen Bedingungen ist identisch mit Akkumulation des Kapitals, d. h. mit fortwährender Verwandlung des Mehrwerts in hohe Renditen.

Diese Gesetzmäßigkeit, die Realisierung von hohem Profit, die von den kapitalistischen Metropolen ausgeht, konnte auf der Ebene der tatsächlichen Warenproduktion nur „unzureichend“ befriedigt werden. Der Finanzsektor wuchs auf der spekulativen Ebene schneller als die reale Ökonomie. Der Finanzsektor hat Gelder aufgesogen, die durch die Auflösung der Sozialsysteme, Lohndruck und Lohnsenkung sozusagen frei wurden.

Derzeit bewegt sich auf der Ebene des Finanzkapitals viermal mehr Geld als im produktiven Bereich rund um den Erdball. Mit einem Euro, so Elmar Altvater, werden oftmals mehr als 100 Euro bewegt. Und weiter Altvater: „Renditen von 20 % und mehr auf das Eigenkapital bei Wachstumsraten von 2 % sind nicht tragfähig. Die finanziellen Forderungen des Finanzsektors können real nicht mehr bedient werden. Sie erweisen sich daher als wertlos.“ Das gehört zum Wesen der Krise.

Es tritt der Zustand ein, über den Marx und Engels im Kommunistischen Manifest schrieben: Die kapitalistische Produktion und Verkehrsmittel gleichen dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschworen hat.

Im Kommunistischen Manifest untersuchten Marx und Engels auch die Wege, die der Bourgeoisie für die Krisenlösung offen stehen.

„Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ Wer wollte den beiden Alten in Kenntnis der „Krisenbewältigung“ von Merkel und Steinbrück widersprechen?

Und doch sind der Analyse von Marx und Engels mindestens zwei Momente hinzuzufügen:

Krisen sind zugleich der Ausgangspunkt für Erneuerung des Kapitals und für die weitere Konzentration und Zentralisation. Unter dem Nebel der heutigen Entwicklung deutet sich schon an, was klar erkennbar sein wird, wenn sich die Schwaden verzogen haben: Durch den Untergang schwächerer, schlechter ausgestatteter, nicht vollständig konkurrenzfähiger Kapitalien wird der alte Kreislauf durch machtvollere, den Weltmarkt beherrschende Banken und Konzerne neu in Gang gebracht werden. Die reaktionäre Bewältigung der Krise wirft die Schatten der neuen Krise voraus.

Wenig untersucht - auch von der marxistischen Linken - ist der Zusammenhang von Krise, Hochrüstung und Kriege. Die Vernichtung eine Masse von Produktivkräften ist eine historische Erfahrung, die es zu bedenken gilt. Der Kampf um den Zugriff auf Naturressourcen, um die Vorherrschaft und die Sicherung von Märkten und Handelswegen, geopolitische Konkurrenzen zwischen den Metropolen des Kapitals sind heute bereits die tatsächlichen Ursachen für die Kriege nach dem Ende der Systemkonkurrenz.

Die weltweiten Ausgaben für Rüstung betragen heute schon über 1 Billion US-Dollar. Die Kapitalverwertung in der Rüstungsproduktion ist eine höchst profitable und sichere Anlage. Staaten garantieren sichere Abnahme. Die Rüstungsindustrie ist hoch konzentriert. Produzierte Rüstung fällt aus dem Verwertungskreislauf heraus. Rüstung – einmal produziert – unterliegt Verschleiß, Erneuerung, Verbreitung und Aufwuchs. Rüstung ist aber nicht geeignet, neue Güter zu produzieren und die Warenmenge zu erhöhen. Fast unbemerkt in der Krise blieb die Nachricht über die Steigerung der deutschen Rüstungsproduktion. Die Krise dämpft nicht die Gefahr von Kriegen, sondern trägt zu einer wachsenden Kriegsgefahr bei.

Der moderne Kapitalismus

Auch die Entwicklung des modernen Kapitalismus bedarf gründlicher Analyse und politischer Schlussfolgerungen. Ich will zumindest einige Stichworte dazu liefern.

Herausgebildet hat sich ein dauerhaftes Verflechtungs- und Interaktionssystem von Monopolen und Staat, das alle Bereiche der Produktion, Reproduktion, Zirkulation und Verteilung umfasst. Der Staat hat unter diesen Bedingungen nicht nur die Aufgabe, die Eigentumsverhältnisse zu garantieren, die Beziehung zwischen differierenden Kapitalinteressen auszugleichen, sondern zu möglichst günstigen Kapitalverwertungsbedingungen beizutragen. Theoretisch hatten Linke dies unter den Begriff „staatsmonopolitischem Kapitalismus“ gefasst. Das ineinander Übergehen von Staat und Monopolen hat unter den Bedingungen des Neoliberalismus andere Formen angenommen, war aber prinzipiell erhalten geblieben. Der nationale Rahmen wurde gesprengt. Staaten, Monopole und Banken sind auf den Weltmärkten untereinander sowohl Konkurrenten als auch Kooperierende. Auf den Weltmärkten sind sie, anders als im nationalen Rahmen, nicht auch nur ansatzweise Aufsicht und Regulierungen unterworfen.

Die Welttendenz des Kapitals beschreiben Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnten Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen… Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem Bilde.“

Für den modernen Kapitalismus ist kennzeichnend:

Die Entwicklung der Produktivkräfte, die modernen Möglichkeiten der Kommunikation haben bestehende Grenzen eingerissen. Die Internationalisierung von Produktion, Reproduktion, von Absatz und Verteilung. Die Gewichte zwischen Finanzkapital und produktivem Kapital haben sich grundlegend verschoben.

Von diesem Prozess profitierte Deutschland. Hohe Exportüberschüsse sind auch importierte Arbeitsplätze aus anderen Ländern. Die Dominanz des Exports gegenüber dem Binnenmarkt und die Vernachlässigung der Erneuerung der Infrastruktur ist eines der Probleme, die die Wirtschaftskrise in Deutschland vertiefen.

Die Internationalisierung der Kapitalverwertung hat den Druck auf Löhne und soziale Standards real und ideologisch erhöht. Die angebliche Bedingung der Globalisierung ist das Zauberwort, mit der jede Schufterei begründet wird.

Unter neuen Beziehungen bilden sich neue wirtschaftliche Blöcke heraus. Die Konkurrenz zwischen den USA, der EU, Russland, China, Indien, Brasilien – um nur einige zu nennen – nimmt zu. Das trifft auf Deutschland mehrfach zu. Mit der EU ist ein gemeinsamer Wirtschaftsraum entstanden. Der Schwerpunkt der deutschen Interessen liegt in Europa. Mit dem Lissabon-Vertrag wird dieser Raum der Freiheit der Märkte und des Kapitalverkehrs unterworfen. Unter den Bedingungen der Krise brechen neue Konkurrenzen um Vorherrschaft auf. Aktuell: Zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland.

Umschlag von Produktivkräften in Destruktivkräfte

Immer rascher geht der Umschlag neuer Produktivkräfte in Kräfte der Zerstörung vonstatten. Gängige Beispiele sind die Gefahren der Atomindustrie, die Verwandlung von Lebensmitteln in Kraftstoffe und anderes mehr.

Das scheinbare Überangebot von Arbeitskräften hat zu einer Entwertung der lebendigen Arbeit geführt.

Schutz von Arbeit und die Einbeziehung von Natur und Boden, Klima als Lebensressource sind für eine linke Programmatik unverzichtbar.

Räumliche und zeitliche Entgrenzung von Arbeit, Aufhebung der Grenze zwischen Reproduktion und Produktion.

Der moderne Produzent wird aus einem räumlichen Ort (Fabrik usw.) herausgelöst. Seine Einbindung in einen nationalen Rahmen und in dessen Schutz wird aufgebrochen und seine Verwertung unbegrenzt möglich gemacht.

Unter diesem Ansturm entstehen Produzenten, die „rundum“ verfügbar sind. Es wird nicht zwischen Produktion und Reproduktion unterschieden, sondern der ganze Mensch mit all seinen körperlichen, geistigen und sinnlichen Fähigkeiten ist zur Ware geworden.

Länder rücken in das Zentrum der Begehrlichkeit, ihre Natur und menschlichen Ressourcen werden geplündert – und oftmals zieht dann die Karawane weiter, um über ein anderes Land herzufallen.

Gegenmächte wurden weltweit geschwächt und Kräfteverhältnisse verändert

Um günstige Verwertungsbedingungen zu schaffen, war es für das Kapital unverzichtbar, die Gegenkräfte zu minimieren, das System der sozialen Sicherheit zu verändern, die Rolle des Staates in der Wirtschaft neu zu definieren und Gewerkschaften und soziale Bewegungen zu schwächen.

Es ging in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nie um eine Zerschlagung der Gewerkschaften, sondern darum, sie zu schwächen und gleichzeitig als Ordnungsfaktor zu erhalten. Neben der Schwächung, die in den neuen Produktionsbedingungen wurzelt, auf die erst noch eine Antwort gefunden werden muss, erwies sich die Einbindung bzw. Selbsteinbindung der Gewerkschaften in Regierungspolitik als verhängnisvoll. Diese erreichte mit der Agenda 2010 ihren Höhe- und zugleich Bruchpunkt. Die Gründung der LINKEN und eine deutliche, auf soziale Konfliktaustragung gerichtete Gewerkschaftspolitik weisen heute in eine andere Richtung – zumindest aber auf die Möglichkeit einer anderen Entwicklung.

Höhere Lohnforderungen. Soziale Proteste, Alternativen in den Parlamenten versetzen Kapital und Kabinette in Unruhe.

Doch gerade unter den Bedingungen der Krise muss die Linke verstehen, dass Angst nicht automatisch nach links führt. Auch wenn die Akzeptanz neo-liberalen Denkens brüchig wird und die größten neoliberalen Deregulierer heute nach Staat und Regulierung rufen, ist die Verankerung neoliberalen Gedankengutes in der Welt und im Alltagsbewusstsein tief.

Soziale Kämpfe müssen in der Gesellschaft gewonnen werden. Das gilt für Streiks, Proteste und Wahlen. In der Gesellschaft sind soziale Kämpfe und Bewegungen dann erfolgreich, wenn Gegenmacht entsteht. Gegenmacht erfordert Bündnisse. Der Machtkonzentration und Zentralisation des Kapitals sollte die Zusammenarbeit aller unter den Bedingungen des Kapitals „unten“ gehaltener Kräfte – Arbeitslose, Prekariat (als Daseins- und Lebensform), kreative Mittelschichten und kleinen und mittleren Unternehmen – entgegengestellt oder bescheidener: entgegengedacht werden. Eine antimonopolitische Demokratie ist das, was heute als demokratischer Weg aus der Krise gedacht und angestrebt werden könnte.

Die Aufgaben der Linken

Die Auswirkungen der Krise stellt die Linke – und nicht nur uns als Partei – vor eine Bewährungsprobe. Auf diese sind wir nicht, zumindest bin ich es nicht, eingestellt. Wir müssen bilanzieren, dass wir bisher mit unseren Vorschlägen nicht durchgedungen sind. Das zu ändern, ist Aufgabe unserer Partei. Dazu liegen Vorschläge des Bundesprecherinnen-Rates vor. Ich teile diese. Mir ist aber wichtig, dass die Linke mit mehr Kraft und Klarheit die Forderungen und Vorschläge bündelt und sich auf wenige, deutliche Forderungen konzentriert. Eine Vielzahl von Programmen, Forderungen und Zahlen garantiert nur, dass wenig von uns aufgenommen wird. Zu den wichtigsten Forderungen gehören m. E.:

 

  • die Auflage eines Zukunfts-Investitions-Gesetzes,
  • die Schließung der Spielcasinos und die Forderung des DGB nach einer Zwangsanleihe von Vermögenden,
  • die Verbindung von wirtschaftlichen mit ökologischen und sozialen Forderungen. Opel muss nicht Autos bauen, wenn es eh schon zu viele gibt;
  • die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung, um Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, muss massiv in den Vordergrund gestellt werden.


Gerade jetzt in der Krise muss die Eigentumsfrage – sowohl was Verfügung über Eigentum, als auch was die Eigentumstitel angeht – auf die Tagesordnung. Aber: Wir müssen über die Verstaatlichung, das ist der Rechtsakt, hinausgehen in Richtung Vergesellschaftung. Die Deutsche Bahn ist noch in öffentlicher Hand, aber nicht populär. Alternative Eigentumsformen, genossenschaftliches Eigentum, Miteigentum von Betriebsbelegschaften – wie es Oskar Lafontaine vorschlägt –, kommunales Eigentum haben jetzt eine Chance, ins öffentliche Bewusstsein zu dringen. Exemplarisch sollten wir eine Kampagne „Deutsche Bank in öffentliche Hand“ in Gang bringen und dafür bekannt Persönlichkeiten gewinnen.

Wir brauchen Aktionen, Aktionen vor Ort, Mahnwachen, Demonstrationen, Kundgebungen, ggf. einen Frankfurter Appell, unter den Unterschriften gesammelt werden. Jede Gliederung der Linken, jede soziale Initiative muss jetzt in die Lage versetzt werden, etwas zu tun.

Theoretische Arbeit ist jetzt auch gefordert. Wir müssen uns und der Öffentlichkeit die Krise erklären. Auch unsere Programmarbeit steht unter einem neuen Vorzeichen. Darüber möchte ich mit Euch nachdenken und dafür Vorschläge entwickeln.