Mit Hamas verhandeln?

26.08.2009
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„Israel will Hamas eine Lektion erteilen.“ „Israel will Hamas vernichten.“ „Israel will die Bevölkerung von Gaza vernichten.“ – So oder so ähnlich klangen viele Schlagzeilen der deutschen Berichterstattung über den Gaza-Krieg am Jahreswechsel 2008/2009. Hamas mit ihren Raketenangriffen auf Israel und Anschlägen auf israelische Zivilisten ist nicht nur nach Auffassung der israelischen Regierung das entscheidende Hindernis für den Frieden.


Ein Ergebnis des Gaza-Krieges war, dass trotz der enormen militärischen Offensive Israels Hamas militärisch nicht besiegt wurde. Hamas hat sogar ihre Position innerhalb der palästinensischen Gesellschaft stärken können. Israel wird also nicht umhin können, Hamas in Verhandlungen einzubeziehen, wenn es eine dauerhafte Friedensregelung erzielen will. Denn unabhängig davon, ob Israel diese Organisation und ihre Ziele und Methoden gefällt oder nicht, ist Hamas eben ein nicht zu negierender politischer Faktor.

Diese radikale islamische Organisation ist heute stark in der palästinensischen Gesellschaft verankert. Dafür trägt Israel Mitverantwortung, denn es hat Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre die Hamas in den besetzten Gebieten gestärkt, um die PLO zu schwächen. Dies hat auch der konservative Historiker an der Bundeswehr-Universität in München Michael Wolffsohn so analysiert.
Die Ursachen der Stärkung von Hamas liegen aber auch im Scheitern des Osloer Friedensvertrages. Dieser beschleunigte den Niedergang des säkularen palästinensischen Nationalismus. Weit davon entfernt, ein eigenständiges Staatsgebilde mit einer sich entfaltenden Wirtschaft aufbauen zu können, wurden in der Folgezeit die PLO und insbesondere ihre wichtigste Komponente, die Fatah, immer stärker von Israel, Europa und den USA abhängig. Yasser Arafat, der damaligen PLO-Vorsitzenden, wollte durch eine rasche Verbesserung der Lebensumstände innerhalb der besetzten Gebiete die Auseinandersetzung gegen Hamas gewinnen. Doch sein Kalkül ging nicht auf. Hamas tat alles, um die Pläne Arafats zu vereiteln; Israel selbst betrieb eine Politik, die die PLO immer stärker von sich abhängig machte, ohne ihr gleichzeitig Zugeständnisse anzubieten, mit denen die PLO sich als Sachwalter der Interessen der Palästinenser hätte darstellen können. 

Heute hat Israel ein Interesse an der Spaltung der Palästinenser, um der eigenen Bevölkerung wie auch der Weltöffentlichkeit vorzuhalten und vorzuführen: Schaut her, es gibt auf palästinensischer Seite keinen ernsthaften Verhandlungspartner. Wir wollen ja den Frieden, aber mit den Palästinensern ist dies nicht möglich! Doch wer heute realistisch an die Frage einer Konfliktlösung in Nahost herangeht, kommt an der Hamas nicht vorbei. Das heißt nicht, dass man mit den Zielen und Methoden von Hamas übereinstimmen muss.

Hamas ist eine Massenorganisation innerhalb der palästinensischen Bevölkerung, ist auch politisch und sozial tätig. Ihr militärischer Arm macht nur einen Teil ihrer Aktivitäten aus. Wenig bekannt in den europäischen Medien sind die humanitären und sozialen Programme der Hamas für die große Zahl der Armen in der palästinensischen Bevölkerung. Diese Sozial- und Bildungspolitik ist eine wesentliche Voraussetzung für den Rückhalt von Hamas in der Bevölkerung insbesondere Gazas. Dort wo Hamas regiert, funktionieren die Verwaltungen noch ohne Korruption. Diese Stärken von Hamas sind Bedingung dafür, dass sie unter der palästinensischen Bevölkerung ihre fundamentalistischen, religiösen Vorstellungen verbreiten kann. Und diese Ideen zielen nicht auf die Befreiung - z. B. von ideologischer Bevormundung, von Emanzipation der Frauen aus patriarchalen Unterdrückungsverhältnissen oder von ökonomischer Ausbeutung. Dies alles spielt aber in der Kritik der deutschen Öffentlichkeit an Hamas keine Rolle. Es werden einseitig die terroristischen Aktivitäten von Hamas in den Vordergrund gestellt, die sich gegen die israelischen Zivilisten richten. Dass diese Aktivitäten Antworten auf die Verletzung von Völker- und Menschenrechten durch Israel darstellen könnten, wird in der Öffentlichkeit kaum in Erwägung gezogen. Die deutschen Medien nehmen überwiegend nur die hasserfüllten anti-israelischen und anti-jüdischen Parolen der Hamas-Anhänger in Deutschland wahr. Diese sind ebenso wie die Attentate und Bomben der Hamas auf Zivilisten in Israel zu verurteilen. Sie erschweren die Einleitung eines Friedensprozesses ungemein. Es ist aber auch unbestreitbar, und darauf weisen israelische Linke hin, dass die Hamas auch als Resultat von unnatürlichen, brutalen Okkupationsbedingungen durch Israel zu verstehen ist.

Die palästinensische Gesellschaft ist heute politisch tief gespalten - zwischen der säkularen nationalistischen Bewegung, verkörpert durch Fatah und PLO, und der fundamental islamischen Organisation der Hamas. Solange die innerpalästinensische Spaltung anhält, wird die palästinensische Gesellschaft blockiert bleiben und ihre spärlichen Ressourcen für innere Konflikte aufwenden. Damit die Palästinenser Verhandlungsmacht gewinnen können, ist eine innerpalästinensische Versöhnung von zentraler Bedeutung. Diese Versöhnung muss in einer Regierung der nationalen Einheit Gestalt annehmen, wie sie von Präsident Abbas, aber auch von der palästinensischen Linken gefordert wird. Das Problem Hamas muss die palästinensische Gesellschaft selbst lösen.

Ohne substantielle Erfolge in den Verhandlungen mit Israel werden die säkularen Kräfte innerhalb der Palästinenser weiter an Einfluss verlieren. Wenn Israel an einem säkularen politischen Verhandlungspartner interessiert ist, muss es alles vermeiden, was die Hamas weiter stärkt. Das gilt auch für die deutsche Politik. Sie hat die Hamas-Regierung, die aus den demokratischen Wahlen hervorgegangen ist, nicht anerkannt und in die Isolation getrieben. Das hat die ohnehin geringe Stabilität in der Region weiter untergraben. Eine weitere Stärkung der Hamas sowie anderer radikal islamischer Organisationen wäre fatal für die Region. Am Beispiel der Hamas kann verdeutlicht werden, dass der politische Islam in seiner Ideologie und politischen Praxis nicht auf Befreiung, sondern auf Unterwerfung des Individuums zielt. Daher ist der Frieden - und in dessen Folge - der soziale und politische Fortschritt der einzige Weg, um den Einfluss des Islamismus zurückzudrängen. 

Die verantwortlichen Politiker in Europa und in Deutschland sind den falschen Weg gegangen. Europa hat dem Druck der Bush-Regierung und Israels nachgegeben, die Hamas als terroristisch eingestuft und seither boykottiert. Diese Politik hat sich als kontraproduktiv erwiesen. Sie hat die Lage in der Region zugespitzt und das Leid der Bevölkerung um ein Vielfaches vermehrt. Unter der neuen US-Regierung wird über die Revision der bisherigen Politik gegenüber Hamas nachgedacht: Sollte Hamas sich von der Gewalt distanzieren und Israel anerkennen, so werde man mit Hamas reden, äußerte sich US-Präsident Obama. 
Es ist nicht völlig auszuschließen, dass man durch Verhandlungen Hamas zu einer Anerkennung Israels bewegen könnte. Dies kann nur ein Ergebnis, nicht aber Vorbedingung von Verhandlungen sein. 
Im April 2006 äußerte Chaled Meschaal, eine Schlüsselfigur innerhalb Hamas, dass Hamas einen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 durch Verhandlungen mit Israel erreichen wolle und bereit sei, auf dieser Grundlage mit Israel Frieden zu schließen. Als im April 2008 der frühere US-Präsident Carter während einer Nahostreise mehrere Stunden mit Hamas-Vertretern in Ramallah, Kairo und Damaskus sprach, darunter auch mit Chaled Meschaal selbst, gab Carter am Ende eine Erklärung ab, dass Hamas ihm versichert habe, „einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 zu akzeptieren und mit Israel in Frieden leben zu wollen. Die Hamas werde auch einer Zweistaaten-Regelung zustimmen, wenn die Mehrheit der Palästinenser dies wolle.“ Dies stelle die indirekte Zusage dar, so Carter, die Friedensbemühungen von Präsident Abbas nicht zu unterminieren. Abschließend erklärte Carter. „Die jetzige Strategie, Hamas auszuschließen, funktioniert einfach nicht.“

Auch in Europa findet ein Wandel statt; die Kräfte der Vernunft nehmen zu, die meinen, dass ohne Einbeziehung der Hamas eine vernünftige Friedensregelung nicht möglich sein wird. Wenn man Frieden will, muss man mit dem Feind reden; anders geht es nicht. Aber Europa ist nicht Deutschland. Hier werden nach wie vor linke Politiker durch die etablierten Parteien – SPD, Grüne, CDU/CSU - für ihre Forderung, Hamas in die Friedensgespräche einzubeziehen, verleumdet. Mit dieser Haltung blockiert die Bundesregierung auf europäischer Ebene den Nahostfriedensprozess. 

Für die Förderung von Friedensgesprächen wäre es produktiv, wenn sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag die - gar nicht so neuen - Veränderungen in Nahost zur Kenntnis nähmen. Statt die Hamas pauschal in die antisemitische und terroristische Ecke zu stellen und sie politisch zu isolieren, wäre es im Interesse des Friedens für alle Beteiligten sinnvoll, die Angebote der Hamas wenigstens auf ihre Ernsthaftigkeit zu prüfen und auch Israel dazu zu ermuntern.

 

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