Eine Frage in MeinVZ zur Biographie

10.09.2009
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Über MeinVZ wurde gefragt: Was hat dich dazu bewegt, von der DKP in die PDS zu gehen?
Wolfgang Gehrcke antwortet: Ich habe damals in der DKP keine Möglichkeit für die m.E. notwendige Erneuerung gesehen. Die Antworten der DKP auf die akuten Fragen der weltweiten gesellschaftlichen und politischen Umbrüche empfand ich als in hohem Maße unbefriedigend.
Wie ich mich mit meiner früheren Parteizugehörigkeit in KPD und DKP auseinandersetze, ist nachzulesen in dem Interview "Ich habe nichts zu ändern an meiner Geschichte".


„Ich habe nichts zu ändern an meiner Geschichte“
Von einem der auszog, die Welt zu verändern.
Sebastian Wormsbächer, Mitglied der linksjugend [‘solid] und Aktivist im Bundestagswahlkampf in Hessen, befragt Wolfgang Gehrcke nach seiner Biografie. Zwischen den beiden Gesprächspartnern liegen Erfahrungsdifferenzen, die mehr als eine Generation umfassen. 

Frage: Du warst Mitglied in der KPD und der DKP – und du distanzierst dich nicht von deiner Vergangenheit. Warum willst du nicht abschwören? Warum willst du nicht endlich „salonfähig“ werden? Behindert dich dieser schlechte Ruf nicht bei deiner Arbeit?
Antwort: Ich weiß sehr genau, dass der Kommunismus in Deutschland bei vielen – nicht bei allen – einen schlechten Ruf hat. Der Antikommunismus hat eben in Deutschland eine ganz lange, schlimme Tradition, aber selbstverständlich haben auch der Stalinismus, die DDR, auch konkrete Erfahrungen mit Kommunistinnen und Kommunisten ihre Spuren gezogen. 
Was mich selbst angeht, nehme ich nicht wahr, dass ich einen schlechten Ruf hätte. Im Gegenteil, auch Konservative haben durchaus Respekt davor, dass ich mit meiner Biografie offen, aber auch kritisch umgehe. Meine Geschichte macht mich für viele in den Reihen anderer Parteien, im Inland und Ausland und bei Bewegungen zu einem akzeptierten Gesprächspartner. 

Frage: Du hat bislang die Wahrnehmung des Kommunismus auf Deutschland bezogen – wie ist das im Ausland? Und wie wirst auch Du als Person dort aufgenommen?
Antwort: Der Antikommunismus ist in Deutschland besonders stark, diese Besonderheit geht nicht zuletzt auf den Faschismus zurück. Den verbohrten, oft auch hasserfüllten Antikommunismus erlebe ich in den letzten 20 Jahren fast nur noch in osteuropäischen Ländern. Völlig anders ist das in Asien oder Lateinamerika, aber auch in EU-Mitgliedsländern wie Zypern oder den Niederlanden. In vielen dieser Länder ist Kommunismus DIE Hoffnung und ich erinnere mich an viele Begegnungen mit Landarbeitern, Jugendlichen, Menschen aus Kooperativen, bei denen diese Hoffnung lebendig ist. 

Frage: Gibt es bei uns, in Deutschland, in Europa eine Tradition des Antikommunismus? 
Antwort: Das kann man so sagen. Mit dem Knüppel Antikommunismus sollten von jeher sozialistische Alternativen niedergemacht werden. Karl Marx und Friedrich Engels haben das sehr schön im Kommunistischen Manifest beschrieben: 
„Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet ... Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte?“

Frage: Wolfgang, du streitest in der Öffentlichkeit niemals deine politische Herkunft als Kommunist ab. Ich verstehe diese Haltung als „Flucht nach vorn“. Aber schlägst du damit nicht doch auch manche Tür zu Menschen zu, bevor du sie überhaupt geöffnet hast?
Antwort: Ich habe an meiner Geschichte nichts zu ändern und ich denke, ein respektvoller Umgang mit meiner und der Geschichte anderer Menschen kann dazu beitragen, das politische Klima in Richtung Offenheit zu verändern. Heimlichtuerei schafft Misstrauen. Oft war diese Heimlichtuerei erzwungen, z.B. in der Zeit des KPD-Verbots. Nachdem ich als 17jähriger aus der SPD ausgeschlossen worden bin – übrigens wesentlich wegen meines Engagements für die Ostermärsche – bin ich Mitglied der damals verbotenen KPD geworden. Wen es interessiert: Mein illegaler Deckname war Christian Hammerer. Diese Heimlichtuerei war Selbstschutz, um nicht im Gefängnis zu landen. Gegen 125.000 Kommunistinnen und Kommunisten wurden damals Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ab 1972 war es nicht das Gefängnis, das drohte, sondern der „Ministerpräsidentenerlass“, besser bekannt als „Berufsverbote“. Danach mussten als Kommunisten verdächtige Bewerber für den Öffentlichen Dienst „die Hosen runterlassen“ – politisch gesehen. Ein kommunistischer Briefträger, eine kommunistische Lehrerin, ein pazifistischer Bibliothekar wurden als akute Bedrohung für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und die FDGO (freiheitlich demokratische Grundordnung) angesehen und deshalb durften sie keine Beamten werden.

Frage: Aber auch heute noch bist du als Kommunist, und sei es als ehemaliger, und dann noch als einstiger Funktionär der DKP, in den Augen vieler Menschen verdächtig. Es sei denn, du hast öffentlich deinen Überzeugungen abgeschworen. 
Antwort: Verdächtig bin ich für das Bundesamt für Verfassungsschutz und für rechte Medien, für andere nicht. Wenn man genau hinschaut, geht es nicht um meine Vergangenheit, sondern um die Gegenwart und Vorstellungen für die Zukunft. Ansonsten ist man als ehemaliger Kommunist für die Salons ein gefragter Mensch. Richtig prickelnd, wenn der Gastgeber bei der Vorstellung sagen kann: Wir haben hier auch einen früheren Kommunisten. Ich kenne einen Haufen Leute, die so leben. Gefragt ist man auch, wenn man sich als Kronzeuge in der FAZ oder im Spiegel gegen linke Politik zitieren lässt oder dicke Bücher über die Verwerflichkeit des Kommunismus schreibt. Etwas Crime, etwas Rebellentum, etwas Stasi ist noch immer eine gute Mischung für gute Honorare. All das ist nicht mein Weg. Deswegen sind meine Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz – ich klage derzeit vor Gericht um Akteneinsicht – auch sehr umfangreich; wenn das stimmt, was ich bislang rausgekriegt habe, umfassen meine Akten 6 000 Blatt, nur sehen darf ich sie nicht. 

Frage: Dass die Nazis die KPD verboten haben und viele Kommunisten in Zuchthäuser und KZ gesperrt und ermordet haben, davon habe ich gehört. Aber nach 1945 in der BRD?
Antwort: In der Schule oder der Uni kannst du das auch nicht hören, Sebastian. Das ist ein Tabuthema. Auch heute noch. Der historische Hintergrund ist: Nach der militärischen Niederlage des deutschen Faschismus 1945 sollte Westdeutschland schnell als Partner der „Freien Welt“ in den Kalten Krieg gegen das “sozialistische Lager“ einbezogen werden. Der blutige Antikommunismus der Nazis war wie der Antisemitismus und andere menschenverachtende Ideen in den Köpfen der Menschen noch lebendig. Gerade der Antikommunismus konnte für den Kalten Krieg genutzt werden. So wurde in der Bundesrepublik nicht nur in den Wahlkämpfen, sondern im gesamten politischen Leben die antikommunistische Hysterie geschürt und lebendig gehalten. Mal mehr, mal weniger.

Frage: Du meinst, der Antikommunismus war und ist so eine Art Staatsräson? 
Antwort: Das ist so. Und mit dieser Auffassung stehe ich nicht allein da. Albrecht Müller hat nach den Europawahlen in einem Interview gesagt, dass die Linke „durch eine offenbar abgestimmte Kampagne in der Öffentlichkeit stigmatisiert wurde“. Die Linke müsse sich mit den Medien anlegen. „Das Minimum ist, dass man den eigenen Anhängern und den Wählern erklärt, warum man so fertiggemacht wird. Dass das eine bewusste Masche ist, dass dahinter Strategien des rechten Lagers stecken – das alles erfährt ja kein potentieller Linkswähler.“

Frage: Und wer ist dieser Albrecht Müller?
Antwort: Er ist Sozialdemokrat und war Planungschef im Kanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. Und er bejahte die Frage der „Jungen Welt“, die mit ihm das Interview machte: Der Antikommunismus ist also immer noch der Patentknüppel, um die Linke in Deutschland klein zu halten. – Und das im Jahr 2009. Der Antikommunismus hatte also seit dem Kommunistischen Manifest 1848 über 150 Jahre Zeit, seine Wirksamkeit voll zu entfalten und sich als Vorurteil tief im Bewusstsein der Menschen zu verankern. 

Die Inhalte der Vorurteile haben sich inzwischen zumindest teilweise geändert. Der Vorwurf der „Weibergemeinschaft“ zum Beispiel, den Marx im „Manifest“ belustigt aufgriff, wird nicht mehr erhoben. Aber als potenzielle „Umstürzler“ der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse sind und bleiben Linke „Terroristen“ im herrschenden Bewusstsein, das ja das Bewusstsein der Herrschenden ist. 

Frage: Gibt es berechtigte Kritik am Kommunismus?
Antwort: Natürlich gibt es die. Ich habe mich mit den Erfahrungen aus den real existierenden sozialistischen Ländern und Deformationen in den kommunistischen Parteien, mit falschen Revolutionstheorien auseinander gesetzt. Defizite an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit führen zu Unrecht, zu Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden. Eine sachliche und tief gehende Kritik ist nicht nur berechtigt, sondern auch notwendig. Als Linke müssen wir die Fehler, die eigenen und die unserer Vorfahren, nicht wiederholen. Mein Ja zur Kritik ist eine Einladung an alle, sich an einer solchen Auseinandersetzung zu beteiligen. Ich bin dazu jederzeit bereit. Auf meinen Internet-Seiten sind Artikel und Aufsätze von mir zum Bruch mit dem Stalinismus nachzulesen. 

Frage: Warum bist du Kommunist geworden und wie stehst du heute zu diesen Gründen?
Antwort: Ich wurde als Jugendlicher mitten im „Kalten Krieg“ Mitglied der illegalen Kommunistischen Partei. Mein Wunsch und Ziel war es, die ungerechten, ausbeuterischen Verhältnisse zu beseitigen, die sich im „Privateigentum an Produktionsmitteln“ verbergen. Das war damals eine ganz wichtige Einsicht, die mir Marx vermittelt hat: Hinter den Begriffen Ausbeutung und Privateigentum verbergen sich gesellschaftliche Machtverhältnisse. Diese Verhältnisse machen die Menschen zu unfreien Wesen, zu „Geknechteten“ - wie Marx es formulierte.
An dieser Überzeugung hat sich nichts geändert. Aber wie diese Machtverhältnisse zu beseitigen sind, dazu haben sich im Laufe meines Lebens meine Vorstellungen schon verändert. 
Ich halte an dem Ziel einer freien, demokratischen und gerechten Gesellschaft fest. In dieser Gesellschaft wird sich nicht länger eine kleine Minderheit auf Kosten der Mehrheit bereichern können. Die Lebens- und Entwicklungsinteressen der Mehrheit werden das höchste Ziel der Politik sein. Die Menschen werden Erwerbsarbeit, gesellschaftliche Arbeit und Freizeit frei kombinieren können. Das Kommunistische Manifest hat das damals so formuliert:

„An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen 
und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden 
die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“

Das ist eine ernst zu nehmende soziale Aufgabe. Wie diese Gesellschaft dann aussieht, welche Gestalt sie annimmt, werden zukünftige Generationen entscheiden. Wir sprengen zunächst die Hülle des bürgerlichen Miefs und lassen frische Luft herein. In Heino und dem Förster vom Silberwald können sich doch nicht ernsthaft die kulturellen Bedürfnisse der Menschen erschöpfen!,Herausfordernder ist ein Leben, in dem Rosa und Karl, Che und Fidel, Ho Chi Minh, Angela Davis oder Rudi Dutschke und vielen andere Platz haben..

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