Strategischen Partnerschaft der EU mit Russland

01.02.2007
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Zur strategischen Partnerschaft der EU mit Russland
Rede im Deutschen Bundestag zu Anträgen von FDP und Bündnis 90 / Die Grünen

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht eine Debatte fortsetze, die zu Ende ist; wir kommen darauf zurück.


Ich möchte mich bei der politischen Konkurrenz, also bei den Grünen und bei der FDP, für die Anträge ausdrücklich bedanken, auch wenn ich sie inhaltlich nicht teile.

(Niels Annen [SPD]: Wir sind auch Konkurrenz!)

Es ist nämlich notwendig, dass die Problematik der strategischen Partnerschaft Deutschland/EU/Russland hier im Parlament endlich einmal zur Diskussion gebracht wird.

An die Kollegen der SPD und der CDU/CSU gerichtet sage ich: Für mich ist schon augenfällig, dass zu allen wichtigen außenpolitischen Fragen in den letzten Monaten im Bundestag ausschließlich Anträge der Oppositionsparteien und keine Anträge der Koalitionsparteien vorgelegt worden sind. Es scheint, als ob Sie zu diesen Themen zwar etwas zu sagen, aber nichts zu formulieren hätten.

(Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das galt für den Nahen Osten, das gilt jetzt für Russland. Ich könnte eine Unmenge von Themen nennen. Da muss man einmal Farbe bekennen. Ich ärgere mich etwas darüber, dass auch wir nichts zum Thema Russland vorgelegt haben; kommt aber.

(Lachen des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

– Man muss auch ein bisschen selbstkritisch sein.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber nur ein bisschen!)

– Nur ein bisschen.

Zur Sache selbst. Ähnlich wie Kollege Hoyer finde ich den Begriff der strategischen Partnerschaft überzogen; eine solche ist noch nicht nachgewiesen. Wenn man eine strategisch begründete Partnerschaft, eine strategisch begründete Konzeption entwickeln will, muss erst einmal eine Analyse der übereinstimmenden und der divergierenden Interessen vorgelegt werden; sie sind immer die Grundlage, um so etwas zu beschreiben. Wenn man etwas Polemik machen wollte, könnte man sagen: Das ist früher durch Männerfreundschaften überdeckt worden. Das ist heute ohnehin nicht mehr angesagt. Eine Analyse der unterschiedlichen Interessen ist also unabdingbar, wenn man eine strategische Partnerschaft beschreiben will.

Ich würde das Verhältnis EU/Deutschland/Russland derzeitig auf die Begrifflichkeit bringen wollen: Instabilität in der Stabilität. Ich sehe sehr viele instabile Entwicklungen, aber ich sehe natürlich auch, dass sich in der Zusammenarbeit viele gemeinsame Grundlagen herausgebildet haben.

Wenn wir über strategische Partnerschaft reden, sollten wir uns immer wieder klar machen, dass Europapolitik mehr ist als EU-Politik. Wenn wir selbst von Europa reden, reden wir meist nur von der EU und denken wenig darüber hinaus.

Ein zweiter Gesichtspunkt, den ich im Antrag der FDP richtig beschrieben finde – wenn meine Zeit es zulässt, würde ich Ihnen gern noch sagen, wo ich Ihren Antrag kritisiere und inhaltlich nicht teile –, ist der, dass Sicherheit und Stabilität in Europa nur mit Russland und nicht gegen Russland oder gar ohne Russland zu erreichen sind.

Ein Drittes muss man eigentlich einmal gründlicher bedenken. Ich habe bei vielen Debatten den Eindruck, dass immer noch die Überlegung mitschwingt, den russischen Einfluss zu begrenzen. Wenn man eine vernünftige Politik in Europa entwickeln will, muss Europa ein Interesse daran haben, dass Russland seine weltpolitische Rolle in vielen Konflikten dieser Welt mehr und vielleicht besser ausfüllt. Ich weiß auch nicht, ob man umgekehrt von einer Deutschland- und Europastrategie Russlands sprechen kann; auch insofern setze ich Fragezeichen. Wir müssten jedenfalls ein Interesse daran haben, dass von Russland mehr Weltpolitik gemacht wird.

Einiges in den beiden Anträgen teile ich nicht. Ich würde mich nicht auf einen gemeinsamen Wertekanon berufen wollen. Den halte ich für nicht tauglich, wenn man Interessenübereinstimmungen und Interessendivergenzen beschreibt, zumal man noch nicht weiß, ob er in dieser Form in der EU überhaupt vorhanden ist. Kollege Hoyer, einen Wertekanon „Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft“ unterschreibe ich Ihnen, was Letzteres angeht, natürlich nicht.

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das hätte mich auch gewundert! – Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Das hätte unser Weltbild durcheinandergebracht!)

Da sind unser Grundgesetz und anderes differenzierter.

Bei beiden Anträgen fällt mir auf, dass die Abrüstungsproblematik überhaupt keine Rolle spielt, als ob die Beziehung zu Russland nicht auch etwas mit Abrüstung und Rüstungskontrolle zu tun hätte.

Wir hätten eine gute Chance, finde ich, über Interessen und Interessenbalancen zu diskutieren und dann wirklich zu einer strategisch begründeten Partnerschaft zu kommen. Noch sind wir nicht da.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)