Rede vom 05.06.2008; Thema: Deutsch-russische Beziehungen prägen Europa; zu Protokoll gegeben

05.06.2008
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Deutsch-russische Beziehungen prägen Europa
166. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 5. Juni 2008 – TOP 17 – Anträge zur europäisch-russischen Zusammenarbeit
(Rede zu Protokoll)


Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die deutsch-russischen Beziehungen bzw. eine europäische Ostpolitik ist eines der zentralen Themen deutscher Außenpolitik. Ich wünschte mir, dass wir angemessener über dieses Thema diskutieren würden.

Schaut man sich die Anträge dazu an, schon länger vorliegend Anträge der Grünen, heute noch ein Antrag der FDP, fällt mir eine eigenartige Betrachtungsweise auf. Es wird vor allem darüber diskutiert, was Deutschland für Russland tun kann oder was Deutschland von Russland erwartet. Ich denke nicht so einseitig, sondern ich frage mich, was Deutschland durch eine Verbesserung der Beziehungen gewinnen kann. Die Frage nach den deutschen bzw. europäischen Interessen ist ein wichtiger Zugang. Schaut man sich die russische Europapolitik an, so besteht diese in einem hohen Maße aus einer russischen Deutschlandpolitik. Europa heißt für Russland immer auch Deutschland – umgekehrt endet der Europa-Begriff bei „uns“ zu oft an den Grenzen der EU.

Für die Energiesicherheit Deutschlands und weiter Teile Europas sind die russischen Lieferungen ausschlaggebend. Der gesamte Komplex der Energiepolitik inkl. des Verlaufes der Energieleitungen bedarf langfristiger Sicherungen. Das ist ein gemeinsames Interesse, welches aber mit dem der USA nicht übereinstimmt.

Russland ist und bleibt für Deutschland ein dominanter Wirtschaftsraum und umgekehrt ist Deutschland für Russland ein Tor nach „Europa“. Außenminister Steinmeier hat Russland eine „Modernisierungskampagne“ vorgeschlagen. Die deutsche Wirtschaft spitzt die Ohren. Modernisierung, in meinem Verständnis, ist nicht nur ein wirtschaftlicher und technischer, sondern auch ein sozialer Prozess. Zu einer Modernisierungskampagne gehört auch der Austausch über Sozialstaatlichkeit, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und vieles mehr. Nicht ganz einfach für eine Bundesregierung, die genau dies in den vergangenen Jahren im eigenen Land mehr und mehr zerstört hat.

Sicherheit und Abrüstung in Europa sind ohne Russland nicht vorstellbar. Keiner der großen Weltkonflikte ist ohne Russland lösbar, weder im Nahen Osten, noch im Iran oder in Zentralasien. Sicherheit heißt auch, politische Entwicklungen immer auch mit den Augen des anderen zu sehen. Dann wird deutlicher: Das sogenannte Raketenabwehrsystem ist gegen Russland gerichtet. Das gilt auch für die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO. Eine solche Politik entspricht nicht europäischen Sicherheitsinteressen und zerstört das Vertrauen. Der KSE-Vertrag ist auch von der NATO blockiert worden. Die weitgehende Einbindung Europas, Kosovo ist nur das jüngste Beispiel, in die Strategie der USA macht es schwer, von wirklicher Partnerschaft zu sprechen. Gleichzeitig gibt es auch in Russland Diskussionen zwischen „Europäern“ und „Atlantikern“. Die Politik Putins war stark, nach meinen Vorstellungen zu stark, auf die USA ausgerichtet.

Die Festigung und der Ausbau von Demokratie ist ein europäisches Interesse – in Russland, in Deutschland und Europa. Das ist mehr als ein Exportangebot. Mir würden kritische Debatten mit russischen Politikern leichter fallen, wenn ich überzeugt und überzeugend sagen könnte, dass bei uns mit der Demokratie „alles in Ordnung“ ist. Können wir das? Wir können es nicht. Ich würde gern wissen, welche Überlegungen in Russland die CDU-Pläne für einen Nationalen Sicherheitsrat ausgelöst haben oder wie die fortwährenden Schritte zu einem Überwachungsstaat wahrgenommen werden. ‚Fasst euch an die eigene Nase’, habe ich mehr als einmal in Russland gehört.

Ich wünsche mir also eine andere, wirklich partnerschaftliche Herangehensweise an die existenzielle Frage der deutsch-russischen Beziehungen. Von einer neuen europäischen Ostpolitik sind wir weit entfernt. Diese ist aber unverzichtbar. Europa wird immer von der Qualität deutsch-russischer Beziehungen geprägt sein.

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