Rede vom 08.12.2008; Thema: Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte

08.12.2008
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'Die Würde des Menschen ist unantastbar' - Zum Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte
194. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 5. Dezember 2008


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war wie die Gründung der Vereinten Nationen selbst eine Antwort auf den deutschen Faschismus, auf den Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden, auf den Vernichtungskrieg der Wehrmacht, auf die Verfolgung auch der eigenen Bevölkerung.

Der Satz „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ ist der Geist der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Deswegen darf man hier nicht nur allgemein von Kriegsende oder Nachkriegszeit sprechen, sondern muss auch präzise sagen: Der deutsche Faschismus und der Krieg, den er verantwortet, waren der Ausgangspunkt dafür; das möchte ich hier klarstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte Sie sehr: Es lohnt sich, insbesondere die großartige Präambel der Allgemeinen Erklärung noch einmal zu lesen. Ich darf einige Sätze daraus zitieren, zunächst diesen:

… da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen …

Wie wahr, kann man heute nur dazu sagen. Ich möchte weiter aus der Präambel zitieren, wo es um den Schutz durch die Stärke des Rechtes geht:

… die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen …

(Beifall bei der LINKEN)

Eine wunderbare Formulierung: Hier beruft man sich auf die Gemeinschaft der Menschen, nicht auf die Gemeinschaft der Staaten. Das ist eine großartige Vision, für die es sich lohnt, zu arbeiten und zu kämpfen. Das ist auch nötig, denn die Menschenrechte sind vielfach und dramatisch noch uneingelöst: in der Welt und auch in unserem eigenen Land. Ich möchte gerne, dass wir auch über unser eigenes Land reden und nicht nur auf die Welt blicken, obwohl das sehr notwendig ist.

Es ist ein schwerer Verstoß gegen das Recht auf Leben, wenn Menschen in der Welt hungern und hunderttausendfach verhungern, wenn sie von Massenkrankheiten dahingerafft werden. Es ist die Ungerechtigkeit der jetzigen Weltwirtschaftsordnung, die Teile unserer gemeinsamen Welt verarmen und verhungern lässt. Wir als Linke nehmen nicht hin, dass das Brot der Armen zum Kraftstoff für die Autos der Reichen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir nehmen nicht hin, dass saubere Luft und sauberes Wasser privatisiert und – was das Wasser angeht – zum Luxusgut gemacht werden. Auch das gehört zu den Menschenrechten, und auch darüber müssen wir hier reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Menschenrechte universell gelten und, wie wir glauben, unteilbar sind, dann müssen wir gegen diese ungerechte Weltordnung kämpfen. Nicht nur wir als Linke, sondern viele Gruppen, Initiativen, Kirchen und Gewerkschaften setzen sich engagiert für eine gerechtere Verteilung der Güter und für gleiche Teilhabe ein. Wir meinen deshalb, die wirtschaftlichen Machtzentren dieser Welt dürfen nicht in den Händen der G 8 oder der G 20 liegen und die militärischen Machtzentren nicht in den Händen der NATO, sondern sie müssen wieder in die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen zurückverlagert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Menschenrechte und Krieg sind Gegensätze. Im Frieden haben Menschenrechte eine Chance; im Krieg verkümmern sie. Bereits die Drohung mit Krieg und die Existenz von Massenvernichtungswaffen wie Atombomben gefährden das Menschenrecht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Das gilt für den Einzelnen wie auch für die gesamte Menschheit. Das hat Willy Brandt prägnant mit dem Satz beschrieben: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Kriege in Afghanistan und im Irak belegen: Es gibt keine humanitären Militärinterventionen. Um der Menschenrechte willen müssen diese Kriege beendet werden. Auch das muss man einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir über Menschenrechte und über die Geschichte der Menschenrechte nachdenken, lohnt es sich, auf die ersten Initiativen während der Französischen Revolution aufmerksam zu machen. Damals waren Sklaven und Frauen ausgeschlossen. Heute sind alle eingeschlossen. Das ist ein bedeutsamer, ein ganz wichtiger Fortschritt. Wir wissen aber auch, dass Anspruch und Realität noch weit auseinanderklaffen.

Nehmen wir zum Beispiel die Frauenrechte. Ich denke, dass Frauenrechte Menschenrechte sind.

(Christoph Strässer [SPD]: Das ist aber eine gute Erkenntnis!)

– Lassen Sie uns doch einmal sehr konkret darüber reden!

(Zuruf von der SPD: Alle Achtung!)

Wenn in unserem Land jede fünfte Frau Gewalt erleidet, dann muss der Deutsche Bundestag feststellen, dass hier Menschenrechte verletzt werden. Das muss Konsequenzen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch furchtbar, dass Vergewaltigungen heute nicht mehr nur individuelle Verbrechen sind. Sie werden im Krieg wie Bomben und Gewehre als Kriegsmittel eingesetzt. Auch hier muss es einen großen Protest geben und eine harte Haltung dagegen durchgesetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Krieg verrohen Menschen. Das müssen wir begreifen.

Ich denke auch, dass wir darüber reden müssen, dass oftmals soziale und politische Menschenrechte gegeneinander abgewogen und hierarchisch gewichtet werden. Das trifft auch auf mich zu; ich sage das sehr offen. Die Schale Reis für den Hungernden und der Arzt, der die Kranken behandelt, standen und stehen mir besonders nah. Aber ich habe gelernt und sage mir: Der Hungernde braucht die Schale Reis zum Überleben, und er braucht Demokratie und Pressefreiheit, um für sein Überleben zu kämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen gehören individuelle, kollektive, soziale und Freiheitsrechte zusammen. Sie bilden einen politischen Komplex, für den man kämpfen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein großer Gedanke über die Menschenrechte findet sich in unserem Grundgesetz:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Es heißt „die Würde des Menschen“ und nicht „die Würde des Deutschen“. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken. Dieses Recht muss also auch für Flüchtlinge und Asylbewerber in unserem Land gelten, die vielfach diskriminiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

In unserem Land müssen soziale Rechte und das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit auch für Frauen gelten. 23 Prozent der Frauen erhalten einen geringeren Lohn im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Existenzsichernde Löhne sind bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten. Mindestlöhne und soziale Absicherung gehören also in unserem Land durchgesetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Je besser wir in unserem Land Menschenrechte in diesem umfassenden Sinne verwirklichen, desto glaubwürdiger können wir in der Welt für Menschenrechte agieren.

Zum Abschluss noch eine Bitte. Ich würde mich freuen, wenn wir das gemeinsam herüberbringen könnten.

Der vorliegende Antrag der vier Fraktionen enthält viel Wichtiges; aber er schweigt auch zu wichtigen Punkten. Das habe ich hier angesprochen. Deswegen haben wir einen eigenen Antrag eingebracht. Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Bundestagssitzung dem neuen Präsidenten der USA deutlich machte, dass Guantánamo schnellstens aufgelöst und die Menschen freigelassen werden müssen.

(Christoph Strässer [SPD]: Das haben wir schon gesagt!)

– Man kann das nicht oft genug sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Man kann nicht über Menschenrechte diskutieren, ohne auf diese Wunde aufmerksam zu machen.

Ebenso müssen wir uns klar zur Todesstrafe, egal wo in der Welt sie angewandt wird, äußern. Wir müssen deutlich machen, dass wir sie ablehnen und verurteilen.

(Holger Haibach [CDU/CSU]: Der Außenminister hat es eben gesagt! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist doch längst beschlossen im Bundestag als Anregung!)

Wir wollen, dass die Todesstrafe nicht nur ausgesetzt, sondern abgeschafft wird. Man kann einige Normen – –

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herzlichen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall bei der LINKEN)