Rede vom 10.11.2009: Aussprache "Europa, Außen- und Sicherheitspolitik"

11.11.2009
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10.11.2009: Aussprache "Europa, Außen- und Sicherheitspolitik" (Wolfgang Gehrcke)

 

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich gebe zu, dass der Blick auf die Regierungsbank, so wie sie heute aussieht, gewöhnungsbedürftig ist. Ich möchte bezweifeln, dass ich mich gerne daran gewöhne. Ich gebe auch zu, dass der Blick auf die drei Minister, die jetzt zusammen Außenpolitik betreiben wollen, aber auch die Töne, die sie von sich gegeben haben, mehr als gewöhnungsbedürftig sind. Wir werden uns daran nicht gewöhnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Trio infernale wird die Politik in Deutschland nicht auf diese Art und Weise umgestalten können.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Sie bleiben deutlich unter Ihrem Niveau!)

Ich fand das Angebot von Herrn Westerwelle attraktiv; er ist jetzt nicht mehr da. Meine Fraktion wird sein Angebot einer Zusammenarbeit so annehmen: Wir werden harten Widerspruch leisten, wo er notwendig ist. Das ist in fast allen Bereichen der Außenpolitik der Fall. Hier muss harter politischer Widerspruch erhoben werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich fand es sehr verständlich, dass viele Kolleginnen und Kollegen, darunter die Kanzlerin und der Außenminister, ihre Reden in einen geschichtlichen Kontext eingeordnet und einen Wertebezug hergestellt haben. Ich teile jedoch die Inhalte nicht. Es sind verschiedene Werte genannt worden: die Westbindung der Republik, die soziale Marktwirtschaft – es wäre schön, wenn wir sie hätten –, die Wiederbewaffnung und vieles andere mehr. Diese Werte sollten aus meiner Sicht nicht bestimmend sein; ich habe einen anderen Wertekatalog. Mir ist aufgefallen – das finde ich schlimm und bedauerlich –, dass in der gesamten Auseinandersetzung mit der Geschichte nach 1945 und mit den Werten kein einziger Regierungsvertreter den Grundwert erwähnt hat, den wir zu verteidigen haben: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist augenfällig, dass diese Aussage nicht gekommen ist, dass nicht so argumentiert worden ist.
Es ist völlig richtig. Wir hatten ein gemeinsames Grundverständnis: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen. Dieses Grundverständnis ist gebrochen worden, und zwar bedauerlicherweise – darüber kommt man nicht hinweg – von einer SPD-grünen Bundesregierung. Der Krieg gegen Jugoslawien war der Beginn des Paradigmenwechsels der deutschen Außenpolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Er ist fortgesetzt worden mit dem, was man mit der indirekten Unterstützung des Irakkriegs fabriziert hat. Es ist auch gut, einmal daran zu erinnern, dass diese Bundeskanzlerin deutsche Soldaten in den Irakkrieg schicken wollte. Bitte vergessen Sie das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Grundverständnis ist auch im Afghanistankrieg gebrochen worden. Der Kollege zu Guttenberg hat zu Recht gesagt, man solle nicht um die Dinge herumreden. Dann lassen Sie es uns hier aussprechen: Deutschland führt Krieg am Hindukusch. Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Das ist untergeschoben worden, um Art. 26 des Grundgesetzes auszuweichen. Deutschland führt Krieg am Hindukusch, und dieser Krieg wird immer mehr zu einem Angriffskrieg. Darum werden Sie nicht herumkommen.
Das stellt Sie jetzt vor rechtliche Probleme. Was passiert mit dem Oberst? Wir sind kein Gericht. Wir haben uns hier nicht über Urteile zu äußern. Was passiert mit dem Oberst? Wenn er nach deutschem Recht behandelt wird, dann wird er sich der Frage stellen müssen, ob es Totschlag war, als 142 Menschen umgekommen sind.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie haben doch gerade gesagt, Sie sagen nichts dazu!)

Wenn er nach internationalem Recht bzw. nach Kriegsvölkerrecht behandelt wird, ist es eine andere Kategorie. Wir ziehen daraus nur eine Schlussfolgerung: Der Krieg muss beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ende des Krieges beginnt auch damit, dass die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen werden.
Auch mit den ganzen Verrenkungen kommen Sie um die Frage nicht herum. Ich habe es mir extra aufgeschrieben: Herr zu Guttenberg sprach von einem „nicht-internationalen bewaffneten Konflikt“, sein Vorgänger von einem „robusten Stabilisierungseinsatz“. Es ist aber ein Krieg. Das Nein zu diesem Krieg ist notwendig. Ansonsten wird dieser Krieg Ihrer Außenpolitik wie ein Klotz am Bein hängen.
Im Übrigen sollten Sie Ihren Koalitionsvertrag noch einmal darauf überprüfen, was verfassungskonform ist.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)

– Sie bzw. Ihre Mitarbeiter, Herr Kauder, haben in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben, dass die Bundeswehr ein Instrument der deutschen Außenpolitik ist.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Genau!)

Das hätte Herr zu Guttenberg gerne, weil er auch ganz gerne Außenpolitik macht. Das glaube ich Ihnen ja. Aber das entspricht nicht dem deutschen Grundgesetz. Das ist grundgesetzwidrig.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir werden hier über die internationale Afghanistankonferenz zu diskutieren haben. Auch hierzu sage ich Ihnen: Wer das auf eine Initiative Merkel / Sarkozy beschränken will, tut einer solchen Konferenz Unrecht. Wir brauchen eine internationale Afghanistankonferenz unter dem Dach und der Verantwortung der UNO. Nichts anderes brauchen wir.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich weiß, dass Sie die Frage, ob Sie mehr Truppen entsenden, erst nach der Konferenz beantworten wollen. Sie benutzen die Konferenz auch ein bisschen, um die entsprechende Stimmung dafür zu schaffen. Deswegen sagen Sie, dass Sie jetzt bei der Mandatsverlängerung erst einmal im Rahmen des Mandates bleiben. Ich sage Ihnen: Wir müssen als Bundestag überprüfen, ob wir nicht ein anderes Signal setzen sollten. Ich glaube, eine kopflose Verlängerung der bestehenden Mandate gefährdet Afghanistan und auch die deutschen Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte abschließend etwas zu der sehr schönen Formulierung einer wertegebundenen und interessengeleiteten Außenpolitik im Koalitionsvertrag sagen. Ich habe als Linker Erfahrung damit, wenn man Politik ideologisiert. Dabei kommt meistens Unsinn heraus. Was Sie als wertegebunden und interessengeleitet vorstellen, ist eine Ideologisierung der deutschen Außenpolitik.
Dann fangen Sie an, die Werte zu beschreiben. Das müssen Sie auch zu Ende denken. Sie schreiben in diesem Abschnitt, dass der Kern des Begriffs „wertegebunden“ die Idee der westlichen Werte ist. Erklären Sie mir doch einmal, was für Sie die westlichen Werte sind! Wie wollen Sie in den Vereinten Nationen, die gerade auf Wertevielfalt und kultureller Vielfalt beruhen, die westlichen Werte durchsetzen? Das sollten Sie einmal der Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen als politisches Konzept anbieten. Dann können Sie sich Ihren Platz im Weltsicherheitsrat gleich abschminken; der ist sowieso weg.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe vor, den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zu bitten, eine wissenschaftliche Ausarbeitung vorzunehmen, was man unter westlichen Werten versteht. Ich möchte wissen, was Sie durchsetzen wollen. Im Koalitionsvertrag äußern Sie sich nicht genauer dazu. Der einzige Wert, auf den Sie durchgehend hinweisen, ist die freiheitliche Ordnung der Weltwirtschaft, das heißt die Ordnung der Märkte sowie der Zugang zu Märkten und Profiten. Das ist für mich als Werteorientierung für dieses Parlament und unser Land zu wenig.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)