Friedensstabilisierung in einem besetzten Land

13.06.2007
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mehrfach gesagt worden ist, man läge in der Beurteilung nicht weit auseinander, und ich keinen Irrtum aufkommen lassen will, lege ich Wert darauf, zu sagen: Das trifft für die Fraktion Die Linke nicht zu. Die Fraktion Die Linke liegt mit den anderen Fraktionen des Bundestages weit auseinander, und darüber muss man debattieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Meiner Fraktion und mir geht es um einen grundsätzlichen Richtungswechsel in der Afghanistanpolitik. Ein solcher Richtungswechsel ist nicht ohne Abzug der Truppen aus Afghanistan glaubhaft zu vermitteln.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Schmidbauer, es ist ja nicht so, dass man sich nicht die Frage stellt und dass man nicht hin und her überlegt, was richtig und was möglicherweise falsch ist. Ich höre immer das Argument: Wenn wir die Truppen zurückziehen, bricht das Chaos aus. – Es tut mir leid: Jetzt herrscht das Chaos in Afghanistan, was Sie ja selber zugeben müssen und auch wissen,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ach! In welcher Welt leben Sie eigentlich?)

da deutsche Bundestagsabgeordnete nicht nach Afghanistan reisen dürfen, weil ihre Sicherheit nicht gewährleistet ist. Was ist das anderes als Chaos und Gefährdung? Als zweites Argument wird gesagt – das halte ich für ein großes Problem, weil auch ich es nicht will –, dass dann die Taliban zurückkommen. Ich habe nichts mit den Taliban am Hut, ganz im Gegenteil. Ich frage mich aber natürlich, was denn die Taliban nach sechs, sieben Jahren Krieg so stark gemacht hat, dass sie heute wieder die Sicherheit gefährden können. Ich sage: Das war der Krieg selbst.

Natürlich begrüße auch ich gerne die mühseligen Fortschritte, die es in der Bildung und für die Frauen gibt. Bezüglich der Fortschritte für die Frauen müssen wir vorsichtig sein, schließlich ist eine Abgeordnete des Parlaments aus dem Parlament herausgeprügelt worden. Auch das ist ja der heutige Zustand. Aber: Das, was eingetreten ist, ist mir nicht unwichtig.

Ich verkneife mir auch das Argument, dass ich den jetzigen Zustand sehr intensiv mit dem Zustand verglichen habe, der in Afghanistan herrschte, als es dort vor den Taliban linke Regierungen und Regime gab. Damals gab es noch mehr Bildung und noch mehr Befreiung der Frauen. Das werden Sie ja nicht leugnen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Wunsch von Jürgen Trittin, dass eine Friedensstabilisierung eintritt, halte ich für sehr vernünftig. Ich sage Ihnen aber: Es wird keine Friedensstabilisierung geben, solange die Menschen in Afghanistan den Eindruck haben, dass das Land besetzt ist, und solange die Menschen gegen die Besetzung kämpfen.

(Beifall bei der LINKEN – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ich bin froh, dass Sie endlich einmal die Wahrheit sagen! – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Eindruck haben Sie im Norden nicht?)

Das sind die Tatsachen, um die man nicht herumkommt. Wenn man zu der Einschätzung gelangt, dass man sich in einer Sackgasse befindet und dass die Afghanistanpolitik der Regierungen gescheitert ist – das trifft auf die vorangegangene rot-grüne und auch auf die jetzige schwarz-rote Regierung zu –, dann muss man nach politischen Alternativen suchen und Signale setzen, durch die solche politischen Alternativen sichtbar werden.

Ich war schon immer der Auffassung, dass Deutschland nicht am Hindukusch verteidigt wird. Ich glaube, dass deutsche Soldaten und deutsche Tornados am Hindukusch unser Land zum Teil eines Krieges gemacht haben und dass auch wir in Afghanistan als Besatzer wahrgenommen werden. Das ist die heutige Situation.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir alle wissen das, aber man muss es immer wieder betonen: Krieg bringt Not, Leid, Elend, Tote und Verletzte – das, was mit dem üblen Wort Kollateralschaden immer abgetan wird. Ich möchte, dass weder Zivilisten in Afghanistan – diese trifft es vor allen Dingen; das hat auch Jürgen Trittin richtig beschrieben – noch Soldaten, die sich in Afghanistan befinden, zu Schaden kommen.

Ich habe immer gesagt, dass wir unsere Differenzen mit der Bundesregierung nicht auf den Rücken von Soldatinnen und Soldaten austragen werden, weil sie dort eingesetzt sind. Ich möchte diese Soldatinnen und Soldaten vor unsinnigen Aufträgen der Bundesregierung und des Parlaments verteidigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen denke ich, dass es ein erster Schritt wäre, das Mandat für die Operation „Enduring Freedom“ – OEF – vom Horn von Afrika bis Afghanistan aufzukündigen und auch das Mandat für das KSK in diesem Zuge zu beenden.

Ich will mich jetzt noch mit einem Argument auseinandersetzen, um einfach nachzuweisen, dass hier nicht korrekt argumentiert wird. Ich dürfte Ihnen gar nicht das sagen, was Verschiedene hier gesagt haben, dass das KSK nämlich gar nicht in Afghanistan ist. Das ist nämlich geheim.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht doch in der Zeitung!)

– Das steht in der Zeitung, aber als Abgeordnete dürften wir das nicht sagen, weil das alles geheim ist. – Unterstellen wir aber einmal, dass es so ist und dass es zwei Jahre lang nicht da war: Sie hätte aber das Mandat, jederzeit dort wieder eingesetzt zu werden. Das ist das Argument.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen muss man das Mandat aufheben, damit niemand auf den Gedanken kommen kann, das KSK wieder als Kampftruppe nach Afghanistan zu schicken. Das ist der Kern des Arguments. Genauso wenig möchte ich, dass die Tornados dort bleiben; darüber werden wir im September zu diskutieren haben. Ich füge hinzu: Ich möchte Tornados weder am Hindukusch noch über Heiligendamm. Ich halte es für eine große Zumutung, dass dort Tornados eingesetzt worden sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Jetzt wollte ich mich eigentlich ganz direkt an die Kollegen Niels Annen und Jürgen Trittin wenden. Ich habe mir die Fernsehsendung „Sabine Christiansen“ sehr genau angeschaut, in der ihr mit Oskar Lafontaine debattiert hattet. Jürgen Trittin und Niels Annen, der jetzt nicht anwesend ist, haben in dieser Sendung übereinstimmend gesagt, sie wollten dafür eintreten, dass OEF beendet werde. Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt, in dem Entsprechendes steht. Wenn man zu einer solchen Beurteilung kommt, sollte man allerdings keine Verknüpfung von OEF und ISAF vorschlagen, sondern verlangen, das Mandat für OEF komplett zu beenden.

Ich möchte auch das ISAF-Mandat beenden; das wissen Sie. Im Regierungsantrag jedoch steht kein einziges Wort von dem, wofür Niels Annen eintreten wollte. Es ist Ihre Glaubwürdigkeit, die Sie aufs Spiel setzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wir haben hier einen klaren Antrag gestellt, dem man zustimmen kann. Dann muss man sich entscheiden, ob man dies will oder nicht.

Die letzten Sekunden meiner Redezeit verwende ich auf eine Frage, die Sie vielleicht als nicht zum Thema gehörend empfinden werden. Sie gehört aber zu diesem Thema. In dieser Woche ist veröffentlicht worden, dass der internationale Waffenhandel seit 2002 um 50 Prozent angestiegen ist und Deutschland sich auf den dritten Platz geschoben hat. Ein Klima des Krieges gegen den Terror ist ein Klima, in dem der internationale Waffenhandel boomt. Deswegen muss man eine andere Politik einleiten. Dazu ist die Bundesregierung leider nicht in der Lage.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Der Antrag der Koalitionsfraktionen hat einen vernünftigen Feststellungsteil, in dem die Probleme richtig beschrieben sind.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege – –

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss. – Der Teil aber, in dem steht, was der Bundestag entscheiden soll, weist überhaupt keinen einzigen neuen Gedanken auf und reicht heute nicht mehr aus.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Vorredner, Sie haben mich angesprochen. Ich will nur zu Ihren Bemerkungen betreffend das Chaos und die Situation vor der heutigen Situation, in der wir uns engagieren, etwas sagen. Wenn Sie dieses geschundene Land, das jahrzehntelang mit Krieg überzogen worden ist und dessen Regime in einem Fußballstadion und anderswo Menschen zu Tausenden umgebracht hat, mit dem heutigen Afghanistan vergleichen und dann in Bezug auf die Gegenwart von Chaos reden und sich nach der, wie Sie sagen, seinerzeitigen freiheitlichen Ordnung in diesem Land zurücksehnen, dann muss ich Ihnen sagen, dass Ihnen in den letzten Jahren einiges entgangen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich kann vielerlei Argumentationen verstehen. Aber der jetzt eingeleitete Prozess – Parlamentswahl, Wahl des Präsidenten, also die Legitimation einer Regierung, und der Versuch, Mindeststandards in diesem Land zu erreichen – widerspricht Ihrer Aussage völlig. Sie haben heute Morgen doch auch gehört, was Frau Kollegin Wieczorek-Zeul über den Ausbau von Schulen und andere Fortschritte gesagt hat. Dies ist ganz bestimmt nicht der Himmel auf Erden. Aber im Vergleich dazu, dass Menschen früher von ihrem Regime mitten in der Stadt umgebracht wurden, ist einiges erreicht worden. Daher sollten Sie einmal objektiver an diese Situation herangehen.

Die Situation ist schwierig; das ist wahr. Wir haben keinen Kurzsprint, sondern einen Marathonlauf zu absolvieren. Aber eines müssen wir begreifen: Ohne die Verdienste unserer Soldatinnen und Soldaten wäre man in Afghanistan zu keiner Form von Befriedung gekommen. Wir dürfen nicht schlapp machen und aus lauter Angst die Verantwortung abgeben. Es ist ja so einfach und populistisch, davon zu sprechen, dass man aufhören und eine Exit-Strategie entwickeln wolle. Inzwischen sehen wir, dass die Tornados die Lage eher stabilisieren als destabilisieren. Hier müssen also zwei Seiten einer Medaille betrachtet werden. Deshalb ist mir unser Engagement auch im Interesse der Menschen in diesem Land lieber.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Sie dürfen antworten, Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Kollege Schmidbauer, es gibt Menschen, die für sich gern die Eigenschaft der Unerschrockenheit in Anspruch nehmen. Ich nähme für mich lieber Erschrockenheit und außerdem ein Stückchen Nachdenklichkeit in Anspruch. Da ich die Substanz Ihrer Argumentation kenne, unterstelle ich, dass Sie mich falsch verstanden haben. Ich habe das Talibanregime – die Taliban sind eine Erfindung der CIA; das muss man einmal hinzusetzen, weil es einfach wahr ist –

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was ist das für ein Unsinn?)

immer politisch bekämpft.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Mit der Roten Armee?)

Ich hielt es für ein unmenschliches, brutales Regime. Es war ein Mörderregime, mit dem man keinerlei Sympathie empfinden kann und empfinden darf. Das ist eine völlig klare Position.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage: Ohne einen Rückzug entsteht zumindest bei weiten Teilen der Bevölkerung in Afghanistan der Eindruck, sie wären ein besetztes Land, was sie nicht wollten. Das mussten schon die Engländer lernen, das haben die Sowjets lernen müssen, das werden auch die USA lernen müssen, und wir werden es mit ihnen lernen müssen.

Ich habe den Eindruck, dass all das, was man zur Friedensstabilisierung macht, ohne einen Rückzug, ohne ein Zeichen, dass dies beendet wird, nicht greift. Deswegen ist der Abzug nicht gefährlich, ist er nicht die Auslösung eines Chaos – Chaos ist, wenn Krieg geführt wird –, sondern ist der Abzug der Weg, um überhaupt eine friedliche Lösung möglich zu machen und in diesem Lande zu implementieren. Das ist meine Antwort. Wir sollten uns da nicht falsch verstehen. Solche Mörderregime wie die Taliban und andere: mit mir nicht.

(Beifall bei der LINKEN)