Mini-Nukes, Rakenabwehrsystem und Aufrüstung

21.03.2007
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Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Rede von Kollege Schockenhoff weiß ich gar nicht, warum wir noch diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Alles sei geregelt. Es gebe keine Probleme. Alle seien sich mit allen einig. Alles, was in den Zeitungen steht, sei Unsinn. Die Zitate seien erfunden. Es gebe überhaupt keine Probleme und man könne straight vorwärtsschreiten. Das ist auch eine Art und Weise, wie man Politik machen und Realitäten verdrängen kann. Die hilft bloß in der Praxis nicht weiter.

Im Unterschied zu Kollege Heuer habe ich keine Probleme damit, dass die Meinungsäußerungen aus der Regierung, die man sieht, wenn man Zeitung liest - Kollege Schockenhoff macht das vielleicht auch, nimmt diese aber nicht zur Kenntnis -,

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das würde er nie zugeben!)

höchst widersprüchlich sind. Ich finde es in Ordnung, wenn aus der Regierung endlich - auch widersprüchliche; das will ich überhaupt nicht kritisieren - Aussagen kommen und ein Stück weit Debatte erfolgt. Ich habe ganz andere Probleme. Die möchte ich einmal auf den Punkt bringen.

Das erste Problem, das ich benennen möchte, ist, dass bereits der Name Raketenabwehrsystem eine Täuschung ist. Es geht nicht um eine defensive Waffe, um ein defensives System, sondern die Philosophie der USA, die dem zugrunde liegt, ist, jeden Punkt auf der Erde waffentechnisch erreichen zu können bei eigener Unverwundbarkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist die Philosophie der USA. Das kann man auch belegen.

Wenn man ernsthaft über Raketenabwehrsysteme diskutieren will, dann muss man sie einordnen und mit vielen anderen Schritten der Aufrüstung, die praktisch gegangen werden, im Verbund sehen. Das fängt an bei der Konzeption der USA hinsichtlich vorbeugender Kriege, geht über die Debatte über einen Neueinsatz von Atomwaffen, die sogenannten Mini-Nukes, geht über eine ganz neue Generation von Raketen und letztendlich bis zu einer Militarisierung des Weltalls. Das sind die Fragen, die sich uns stellen. In diesem Kontext muss man über dieses System diskutieren. Dann wird klar: Es ist kein Defensivsystem, sondern ein Offensivsystem. Das unterscheidet es von vielen anderen.

Wir, Die Linke, lehnen eine Neuauflage des Kriegs der Sterne, des Star Wars, ab. Wir lehnen eine Zerstörung von Resten von Rüstungskontrolle ab. Denn das wird die Folge sein, wenn man sich auf dieses System einlässt und die Debatte so weiterführt.

Zweitens. Für uns ist die Frage, ob dieses Raketensystem innerhalb der NATO verabredet und über die NATO installiert wird, nicht wichtig. Wir wollen, dass es überhaupt nicht installiert wird. Hier scheiden sich die Geister. Da waren die Argumente auch völlig anders. Ich sehe das mit einem gewissen Amüsement. Der Linken wird immer vorgehalten, dass wir die NATO zerstören wollen. Wir wollen sie auflösen. Das leugne ich nicht. Aber so viel Zerstörung in der NATO, wie Sie mit der Koalition der Willigen, wie die USA mit ihrem Vorgehen, Debatten dort nicht einmal zu führen, anrichten, könnten wir gar nicht anrichten. Das haben Sie selbst auf die Tagesordnung gesetzt. Das muss ich neidvoll zugeben.

(Beifall bei der LINKEN - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Haben Sie eine Identitätskrise?)

Wenn einer die NATO zerstört, dann sind Sie selber das, vor allen Dingen dadurch, dass Sie aus der NATO, die sich einstmals als Verteidigungsbündnis verstanden hat, ein Angriffsbündnis gemacht haben.

Dann würde ich einmal gerne ein logisches Argument zu Folgendem hören. Ich habe die Bundesregierung ein paar Mal gefragt: Warum wird diese Frage nicht innerhalb der Europäischen Union diskutiert, wenn man schon immer von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik redet? Warum sagt die Bundesregierung immer, das sei keine Sache der Europäischen Union? Weil man sich nicht einig ist, weil es innerhalb der Europäischen Union Widersprüche gibt? Warum wird nicht einmal der Versuch gemacht, einen gemeinsamen Standpunkt - ich hoffe, er wird ein ablehnender Standpunkt sein - in der EU herbeizuführen? Auch dazu gibt es keine plausible Begründung.

Drittens. Selbstverständlich richtet sich das System nicht gegen den Iran. Das hat man jetzt wohlfeil in der Debatte aufgenommen; dazu wurde keine besondere Logik entwickelt. Ich finde, dass Putin Recht hat mit seiner Einschätzung, dass sich dieses System primär gegen Russland richtet und die Balance in Europa verschiebt. Wenn man abkehrt von der Philosophie, die wir einmal gemeinsam hatten, dass Sicherheit in Europa nur Sicherheit miteinander und nicht Sicherheit gegeneinander sein kann, wenn man sich gegensätzlich zu dieser Philosophie verhält, dann wird man in Europa ein neues Wettrüsten auslösen, ob man es will oder nicht. Das ist die Konsequenz, die droht. Damit droht auch eine Spaltung Europas in Zonen mit verschiedenen Sicherheitsniveaus und in unterschiedliche Blocks. Wenn man das erreichen will, dann muss man nur so weitermachen wie bisher. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie ihre kritischen Töne und ihre ablehnende Haltung - wenn sie eine solche hat, was ich ja nicht glaube - hier im Parlament etwas deutlicher hörbar bzw. sichtbar macht.

Bislang hat man das von den SPD-Vorsitzenden gehört - damit komme ich zum Schluss -, zum Beispiel von Kanzler Schröder: Wenn Wahlen anstehen und Stimmenverluste drohen, dann werden die SPD-Vorsitzenden immer markiger und ihre Argumente werden ein Stück weit antiamerikanisch. Das überzeugt aber nicht.
Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)