Rede vom 26.06.2008; Thema: Zur China-Politik der Bundesregierung

26.06.2008
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Zur China-Politik der Bundesregierung
172. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 26. Juni 2008
TOP: 6, ZP4
6.) Beratung Große Anfrage B90/GRÜNE
Zur China-Politik der Bundesregierung
- Drs 16/7212, 16/9513 -
ZP 4) Beratung Antrag FDP
Die Regierungsverhandlungen mit China zur Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit und zur Förderung der chinesischen Zivilgesellschaft nutzen
- Drs 16/9745 -
(Auszug aus dem Protokoll)


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte für die Fraktion Die Linke meine Überlegungen damit beginnen, Beileid und Mitgefühl für die furchtbare Naturkatastrophe auszusprechen. Es liegt zwar kein Antrag vor, aber vielleicht kann man das ‑ ähnlich wie es der Auswärtige Ausschuss bereits getan hat ‑ im Namen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages den chinesischen Partnerinnen und Partnern übermitteln. Ich würde das sehr begrüßen; denn es erleichtert vieles, wenn man die eigenen Überlegungen aus einer solchen Position heraus vertritt. Ich sehe in diesem Punkt auch keine Differenzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wenn man versucht, den Stellenwert unserer Beziehungen zu China strategisch einzuordnen ‑ aus meiner Sicht ist das Verhältnis Deutschlands bzw. der Europäischen Union zu China, um das es heute geht, eine der wichtigsten Fragen der deutschen Außenpolitik ‑, dann ist es zu bedauern, wenn in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Grünen nur auf Einzelprojekte und einzelne Ressorts verwiesen wird.

Grundsätzlich stellt sich die einfache Frage, ob es so etwas wie eine deutsche Chinapolitik gibt, welches ihre Grundzüge sind und ob die Beziehungen zu China einen strategischen Stellenwert für Deutschland haben. Herr Staatsminister, ich habe mich schon mehrfach darüber beschwert, dass die Bundesregierung alle möglichen Politikfelder mit dem Etikett „strategisch“ versieht. Es gibt zwar strategische Partnerschaft und strategische Zusammenarbeit, aber in den meisten Fällen ist damit kein großer strategischer Inhalt verbunden. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China hätte tatsächlich einen strategischen Stellenwert. Es muss doch der Bundesregierung möglich sein, diesen strategischen Stellenwert nicht auf einzelne Bereiche beschränkt ‑ das ist Verschwendung ‑, sondern zusammenfassend zu formulieren. Ich finde, das ist ein Mindestanspruch, den man erheben muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

China ist eine Weltmacht oder auf dem Weg zu einer Weltmacht. Ich will gleich hinzufügen, damit das nicht falsch ausgelegt wird: Ich war immer und bin ein Gegner einer unipolaren Welt und von Ansprüchen auf eine solche Welt. Die Alternative zu einer unipolaren Welt ist keine bipolare Welt. Die Alternative dazu ist vielmehr eine Gemeinschaft unterschiedlicher Akteure, Völker und Vereinigungen. Das macht einen großen Unterschied in der Betrachtung unseres Verhältnisses zu China aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, hört sich banal an, obwohl er fast die Grundlage für alles ist. Ich finde es herausragend, dass heute keine Menschen mehr in China verhungern. Die einfache Überlebensfrage nach einer Schale Reis ist beantwortet. Es gibt in China sicherlich Armut, Ungerechtigkeit und viele ungelöste Probleme. Aber dass dieses Land mit einer Milliardenbevölkerung es schafft, seine Menschen zu ernähren, ist ein gewaltiger Schritt, den man nicht mit kleiner Münze beantworten darf. Aus meiner Sicht ist das tief beeindruckend.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sollten versuchen, zu ermessen, was es bedeutet, wenn Menschen nicht mehr verhungern müssen.

Drittens müssen wir uns darüber klar sein, dass kein Weltproblem ohne die Hilfe oder - genauer gesagt ‑ ohne aktive Mitarbeit Chinas zu lösen ist. Wir sollten uns wünschen, dass China in noch stärkerem Maß Verantwortung in der Weltpolitik übernimmt. Ich will einige Bereiche nennen. Die Bewältigung von Klimaentwicklung und Klimakatastrophen, die Beantwortung der Fragen nach dem ökologischen Überleben der Welt und die Bekämpfung des Hungers in allen Teilen der Welt sind ohne China nicht möglich.

Ich will auch ansprechen, warum es uns so schwerfällt, die Stärke und den Einfluss Chinas bei einer friedlichen Lösung in Afghanistan zu nutzen ‑ das ist eine einfache Überlegung ‑, und zwar in Kooperation mit den Nachbarn Afghanistans, dem Iran und anderen, und eine entsprechende Politik zu betreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das hieße, Militär endlich mit Politik zu beantworten.

Ich glaube zudem, dass wir keine Lösung in den Fragen betreffend das Atomprogramm Nordkoreas und das mögliche Atomprogramm des Irans erreichen, wenn wir China nicht als fairen Mittler ‑ China hat das Recht, die westliche Politik nicht ständig zu unterstützen und ihr zu widersprechen ‑ in Anspruch nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Außerdem wird es eine Reform der UNO ohne China nicht geben ‑ das ist klar ‑, nicht nur weil China Mitglied des UN-Weltsicherheitsrates ist. Hat es nicht auch für die deutsche Politik eine hohe Bedeutung, dass wir über China einen besseren Draht zu den sogenannten Blockfreien ‑ obwohl es keine Blöcke mehr geben soll ‑ entwickeln könnten?

China kann in mehrfacher Hinsicht für eine kooperative Welt nutzbringend sein. Die Grundlage dazu ist ‑ ich finde es spannend, Herr Kollege von Klaeden, dass das in Ihrer Rede überhaupt nicht auftauchte; aber das müssen Sie selber wissen ‑ eine Ein-China-Politik. Gerade von einer Partei wie der CDU/CSU, die sich zu einem Zeitpunkt, als ich eine gegensätzliche Position vertrat, so sehr für eine Ein-Deutschland-Politik eingesetzt hat, hätte ich, was eine Ein-China-Politik betrifft, mehr Aufmerksamkeit und Klarheit erwartet.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund müssen wir gemeinsam über eine Lösung des Tibet-Problems nachdenken. China wäre gut beraten, sich an die eigene Verfassung exakt zu halten, die autonome Regionen sowie die Gleichheit der Nationen, der Sprachen, der Sitten und der Gebräuche vorsieht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist Gegenstand der chinesischen Verfassung. Es liegt in der Auseinandersetzung der Kooperation zwischen Tibetern und Chinesen, dies in die politische Praxis umzusetzen.

Ich sage Ihnen aber auch: Die Definition des Dalai Lama ‑ er war Gast bei uns im Auswärtigen Ausschuss ‑ von Autonomie - nicht auf das Gebiet Tibet, sondern auf die Abstammung bezogen; er sprach wörtlich von Religion und Blut ‑ lässt sich schwer in Rechte fassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber auch eine solch offene Sprache gegenüber unseren Partnern kann man sich doch nicht gegenseitig untersagen. Überlegen Sie sich einmal: Wenn in China Ähnliches wie in der damaligen Sowjetunion passiert wäre, eine Auflösung des Staatengebildes in Einzelstaaten, dann hätte dies die Welt nicht ausgehalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen muss man vorsichtig sein und den Anfängen mit einer vernünftigen Politik wehren.

Ich möchte uns, mich selbst immer eingeschlossen, gemeinsam mahnen, in Stil und Gestus einen anderen Umgang zu pflegen. Allzu oft klingt in unseren Reden durch: Wir sind die Belehrenden, und ihr seid die Lernenden. Dieser Gestus kann gerade vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte Europas in China nicht akzeptiert werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Land legt großen Wert auf Würde, Stolz und Selbstbewusstsein. Wir müssen eine Sprache finden, in der nicht immer der Eurozentrismus in Erscheinung tritt. Ich denke, es ist wichtig, dass der belehrende Ton weg muss.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): War das vielleicht eine Kritik an Herrn Lafontaine?)

‑ Ich erinnere daran, dass ich vorhin von kleiner Münze gesprochen habe, Herr Kollege.

Ich will eine letzte Bemerkung zur chinesischen Außenpolitik machen. Ich finde die chinesische Außenpolitik durchaus berechenbar. Sie bewegt sich sehr hart am Text der Charta der Vereinten Nationen.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Auch hinsichtlich der Waffen?)

Ich finde ‑ damit will ich abschließen, Frau Präsidentin, obwohl noch vieles zu sagen wäre ‑, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die entsprechende Frage etwas sehr Vernünftiges geschrieben hat. Ich zitiere:

Da der Erhalt eines friedlichen Umfeldes für die Entwicklung des Landes höchste Priorität besitzt, ist Chinas Militärpolitik und ‑doktrin defensiv ausgerichtet; der Ersteinsatz von Nuklearwaffen wird ausgeschlossen.

Wenn ich das Gleiche von den USA behaupten könnte, dann wäre ich sehr glücklich und dann wäre der Welt wirklich gedient.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Sinne möchte ich gerne, dass wir zusammen eine vernünftige Politik entwickeln.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)