Rede vom 29.03.2006, Thema: Haushaltsdebatte

29.03.2006
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Debatte zum Bundeshaushalt - Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt
28. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 29. März 2006
Beitrag in der Debatte zum Haushalt – Einzelplan 05 – Auswärtiges Amt –
(Auszug aus dem Protokoll)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Nun hat Kollege Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke, das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es lohnt sich, am Ende einer außenpolitischen Debatte Bilanz zu ziehen, Herr Außenminister. Meine erste rein sachliche Feststellung ist – ich glaube, da können alle zustimmen –, dass es in diesem Hause zwei verschiedene Grundlinien gibt – Meinungsverschiedenheiten en detail einmal ausgeblendet –: eine Grundlinie, wie sie von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen als Konsens in der Außenpolitik betrachtet wird, und eine entgegengesetzte meiner Fraktion Die Linke. Das ist mir wichtig festzustellen.

Wenn man das akzeptiert, muss man sich die Frage stellen, wo die Grunddifferenzen liegen. Es sind nicht die, die der Kollege Trittin beschrieben hat. Ich verstehe, warum er das getan hat; darüber brauchen wir nicht weiter zu reden. Die Hauptdifferenz ist jedoch eine andere.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So einfach ist es nicht!)

Für die Mehrheit im Hause ist Krieg wieder zu einem Mittel der Politik geworden; für die Minderheit in diesem Hause darf Krieg kein Mittel der Politik sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist die Grunddifferenz. Zwischen diesen Positionen kann man keine Brücke bauen. Deswegen verstehe ich alle, die immer sagen, dass die Außenpolitik der Linken es verhindere, regierungsfähig zu werden. Wenn der Preis für eine Regierungsbeteiligung ist, Ja zu Militäreinsätzen, Ja zu Krieg zu sagen, dann – das würde ich immer sagen – wollen wir nicht regieren, dann bleiben wir Opposition.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man das akzeptiert – Sie können sich noch verändern! –, muss man sich im Weiteren die Frage stellen, wo die strategischen Differenzen liegen. Ich möchte hier ein paar Dinge aussprechen, die in diesem Hause normalerweise nicht so ausgesprochen werden. Die Mehrheit hier im Hause – vier Fraktionen – wollen das Verhältnis zu den USA enger bzw. wieder enger gestalten. Ich möchte – das soll hier ausgesprochen werden –, dass sich Deutschland und Europa von der imperialen Politik der USA abkoppeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Das muss man aktiv betreiben. Das ist Gegenstand einer selbstständigen, einer souveränen und dann auch gegen Krieg gerichteten Politik.

(Markus Löning [FDP]: Sollen wir uns bei Lukaschenko ankoppeln?)

– Hören Sie auf mit dem Unsinn! Es ist doch ein Problem, dass man bald die Haushaltsberatungen zur Außen- und zur Verteidigungspolitik zusammen abhalten könnte, weil die deutsche Außenpolitik in so starkem Maße zu Verteidigungs- und Militärpolitik geworden ist, weil man die Bundeswehr immer stärker als ein Instrument der deutschen Außenpolitik betrachtet und eingesetzt hat.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Das stimmt aber nicht! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als Instrument der Innenpolitik wollen wir sie doch beide nicht!)

Deswegen ist eine Abkoppelung von den USA angesagt. Die Hauptgefahren für den Zustand der Welt gehen heute von den USA aus. Das kann man auch politisch nachweisen; es ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Daran kommen auch Sie – gerade die Grünen – nicht vorbei.

Wir wollen eine Agenda der Abrüstung. Das wäre einmal etwas Neues. Wir wollen, dass mit den Militäreinsätzen Schluss gemacht wird, dass der Sozialstaat – auch auf europäischer Ebene – endlich wieder eine Rolle spielt. Wir wollen soziale Balance statt Marktradikalität. Ich möchte Ihnen zum Schluss noch einen guten Rat mit auf den Weg geben – man redet manchmal in den Wind, aber immerhin! –: Schauen Sie sorgfältig nach Frankreich! Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das, was momentan in Frankreich abläuft, eine Frühwarnung davor ist, was passiert, wenn man bei der jetzigen Politik bleibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Zustände waren auch der Grund für das Nein der Franzosen zum Verfassungsvertrag. Das könnte die Regierung berücksichtigen.

Ich sage meiner Fraktion – man kann auch der eigenen Fraktion Ratschläge geben –:

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hören nicht auf dich, Wolfgang!)

Wir müssen lernen, mit unserer Regierung, mit unseren Unternehmern „französisch“ zu reden; denn die Sprache, die in Frankreich gesprochen wird, versteht selbst eine konservative Regierung. Auch die große Koalition würde sie auf jeden Fall verstehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist ein Weg, Politik zu gestalten. Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Fischer, CDU/CSU-Fraktion.

Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):

Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, dass Sie hier im Parlament mit Ihrem Beitrag wahrscheinlich in den Wind reden. Sie sind heute der dritte von den Rednern der Linken, die im Zusammenhang mit dem Kongo von Krieg und Frieden gesprochen haben. Mich würde interessieren, ob ein Einziger von Ihnen in diesem Gebiet gewesen ist, der die mit Macheten zerstückelten Kinder gesehen hat, der in den Flüchtlingslagern gewesen ist, der mit Mädchen gesprochen hat, die über Jahre hinweg vergewaltigt worden sind, die seit drei Jahren sehen, dass es die Chance gibt, zu einer Regierung zu kommen, die von diesem Volk gewählt wird und das Land auf einen besseren Weg bringt. Das ist die Zielsetzung eines solchen Einsatzes. Darüber sollten Sie sich unterhalten; darüber sollten Sie reden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Gehrcke, Sie haben die Chance zu einer Erwiderung.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Lieber Kollege, ich weiß nicht, bei welcher Rede Sie zugehört haben.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Bei Herrn Paech! Bei Ihnen!)

Ich habe überhaupt nicht vom Kongo gesprochen.

(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Es gebe Grunddifferenzen, haben Sie gesagt!)

Ich habe von Grunddifferenzen gesprochen, ich habe die Frage von Krieg und Frieden angesprochen. Ich will aber Ihre Frage beantworten.

Mich stören an diesem Einsatz folgende Punkte: Man ist nicht bereit, öffentlich die schlimmen und tatsächlich im Neokolonialismus wurzelnden Ursachen für den jahrzehntelangen Bürgerkrieg im Kongo sowie die Verantwortung von Belgien, anderen europäischen Ländern

(Uta Zapf [SPD]: Das ist aber schon lange her!)

und von großen europäischen Konzernen mit zu diskutieren. Mich stört, dass der kongolesische Staatspräsident Kabila das – sagen wir es einmal freundlich – Angebot, Truppen zu entsenden, der Presse entnehmen musste und vorher nicht gefragt wurde. Dass er das Angebot von Solana nicht ablehnen konnte, versteht sich von selbst. So springt man mit Kolonien, aber nicht mit selbstständigen Staaten um. Das ist ein ungeheuerlicher Zustand. Das wird keiner leugnen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Information hat eine Reihe von Kollegen in diesem Hause in Gesprächen mit dem belgischen Außenminister erhalten. Das darf nicht sein.

Schlussendlich kann, so glaube ich, eine gut ausgebildete Polizei – die sollte man unterstützen – mehr ausrichten als die europäischen Truppen, denen man mehr Durchsetzungsvermögen zutraut als der multinationalen Armee, die schon im Kongo steht.

All das sind Argumente für die Feststellung: Um den Schrecken im Kongo zu beenden, müssen wir mehr und etwas anderes tun, als nur Militär dorthin zu schicken.

(Beifall bei der LINKEN)