Gewalt sofort und endgültig einstellen

24.02.2011
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Gewalt sofort und endgültig einstellen (Wolfgang Gehrcke)

 

... dass wir fordern und nicht bitten, dass die Gewalt gegen Demonstranten in Libyen sofort und endgültig eingestellt wird.
Das ist die erste Forderung. Da kann es überhaupt kein Vertun geben. Wir müssen dem libyschen Staat, der Familie Gaddafi und ihm selbst deutlich machen, dass nichts, aber auch gar nichts diese Orgie der Gewalt rechtfertigen kann und dass wir uns als deutsches Parlament schützend an die Seite der Demonstranten stellen. Das ist zwar eine symbolische Geste, aber solche symbolischen Gesten sind in bestimmten Situationen politisch außerordentlich wichtig.

 

94. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 24. Februar 2011

 

Aktuelle Stunde zur „Eskalation der Gewalt in Libyen“
auf Verlangen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP

Rede des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Schönen Dank, Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, im ganzen Hause muss Klarheit darüber bestehen, dass wir fordern und nicht bitten, dass die Gewalt gegen Demonstranten in Libyen sofort und endgültig eingestellt wird.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU))

Das ist die erste Forderung. Da kann es überhaupt kein Vertun geben. Wir müssen dem libyschen Staat, der Familie Gaddafi und ihm selbst deutlich machen, dass nichts, aber auch gar nichts diese Orgie der Gewalt rechtfertigen kann und dass wir uns als deutsches Parlament schützend an die Seite der Demonstranten stellen. Das ist zwar eine symbolische Geste, aber solche symbolischen Gesten sind in bestimmten Situationen politisch außerordentlich wichtig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage genauso klar: Wer in der jetzigen Situation anfängt, mit dem Gedanken an militärische Maßnahmen zu spielen und in der Öffentlichkeit über den Einsatz von Militär zu spekulieren, der hilft der Familie Gaddafi bei der Durchsetzung ihrer Gewaltpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Das schafft ein Klima, das nicht mehr zu steuern ist. Ich halte auch nichts von der Debatte, Flugverbotszonen einzurichten. Wenn man sie einrichtet, hat man immer das Problem, sie gewaltsam durchsetzen zu müssen. Damit befindet man sich mitten in einer militärischen Auseinandersetzung. Das Militär ist in der jetzigen Situation das schlechteste Mittel, das man anbieten oder mit dem man drohen kann. Das muss völlig klar sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich mache Ihnen zwei andere Vorschläge. Ich würde mich freuen, wenn wir uns demnächst mit Anträgen zu diesem Thema befassen könnten. Ich möchte unbedingt, dass sich die Europäische Union und auch Deutschland selbst für Flüchtlinge aus dem gesamten arabischen Raum öffnen

(Beifall bei der LINKEN)

und in der jetzigen Situation FRONTEX nicht verstärken. Vielmehr muss man sich jetzt zurücknehmen. Das wäre ein erster Vorschlag. Vielleicht können wir uns darauf einigen. Das wäre eine konkrete Hilfe für die Menschen, nicht ausreichend, aber immerhin eine Hilfe. Mein zweiter Vorschlag: Lassen Sie uns gegenüber allen Staaten der Europäischen Union, aber auch in unserem eigenen Land dafür eintreten, dass die Waffenlieferungen sofort eingestellt werden, und zwar endgültig.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor diesem Problem kann man sich nicht drücken. Über alles andere reden Sie, aber über solche Probleme reden Sie nicht. Das hat Ursachen.
Ich möchte über einen weiteren Punkt diskutieren. Ich frage mich: Machen Sie sich eigentlich Gedanken darüber, wie gering die Europäische Union und auch unser Land in den arabischen Ländern angesehen sind? Machen Sie sich keine Gedanken darüber, dass man dort bemerkt, dass unsere Politik mit doppelten Standards arbeitet?

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Ihre!)

Ich habe mich gefragt, warum gerade jetzt, nachdem vieles passiert ist, eine kritische Abrechnung mit Mubarak beginnt. Zuvor haben alle geschwiegen. Ich frage mich, warum Gaddafi gerade jetzt zu Recht, das möchte ich betonen angegriffen wird, obwohl man vorher mit ihm zur Abwehr der Flüchtlingsströme paktiert hat. Das ist doch die Realität. Glauben Sie nicht, dass das die Menschen nicht spüren?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich war dieser Tage in Ägypten und anderen arabischen Ländern. Auf der Straße spürt man, dass die Europäische Union, unser Land und auch unsere Bundesregierung keine Glaubwürdigkeit mehr besitzen. Ich bin der Auffassung, wir müssen unsere Nahostpolitik, unsere Politik gegenüber den arabischen Ländern grundsätzlich korrigieren.

Herr Hoyer hat recht: Es gibt unterschiedliche Ursachen für die Proteste, aber es gibt auch vergleichbare. Ich möchte Ihnen einige nennen. Erstens: In allen Bewegungen erleben wir sehr stark, dass speziell junge Menschen soziale Rechte einfordern. Die soziale Entwurzelung ist eine der Ursachen der Proteste. Wenn man die nicht bekämpft, wird man keine demokratische Entwicklung befördern können. Ein zweiter Punkt, der eine Rolle spielt, ist der Wunsch nach wirklicher Demokratie, das heißt, die klare Ablehnung kleptokratischer Regime in diesen Ländern. Ein dritter Punkt hat etwas mit Würde zu tun. Wenn Menschen über lange Zeit entwürdigt worden sind, hat das politische Auswirkungen und Nachwirkungen. Das ist in vielen Ländern identisch.

(Beifall der Abg. Angelika Graf (Rosenheim) (SPD))

Entwürdigung muss gestoppt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben allen Anlass, uns selbstkritisch mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Warum gehen wir den selbstkritischen Auseinandersetzungen aus dem Weg, wenn wir uns wirklich ändern wollen? Das ist nicht glaubwürdig, das hat keinen Effekt, und das stärkt Demokratien nicht, sondern schwächt Demokratien.

Es ist falsch, den Ägypterinnen und Ägyptern, die sich selbst befreit haben, jetzt zu sagen: Wenn es um eine Verfassung und den Aufbau von Demokratie geht, dann stehen wir euch zur Verfügung. Ihr könnt von uns lernen. Umgekehrt ist es richtig: Wir können von vielen Ägypterinnen und Ägyptern sowie Libyerinnen und Libyern lernen, die ihren Kopf für die Demokratie nicht für weise Ratschläge hingehalten haben.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)