Die LINKE knickt in der Nahostpolitik nicht ein

16.06.2011
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Die Nahostpolitik der LINKEN, insbesondere ihre Haltung im israelisch-palästinensischen Konflikt, ist die Scheidelinie zu den anderen Bundestagsparteien, zur Bundesregierung; sie treibt uns aber auch innerparteilich um. Auf der gleichen Fraktionssitzung, die den von Euch kritisierten Beschluss gefasst hat, haben wir einen Bundestagsantrag beschlossen, in dem wir die Bundesregierung unter anderem auffordern, in der UNO für die Anerkennung des Staates Palästina einzutreten und selbst den Staat Palästina anerkennen – und das in einer Zeit, in der die israelische Regierung alle ihre Botschafter weltweit angewiesen hat, Regierungen und Öffentlichkeit gegen die Anerkennung eines Staates Palästina zu mobilisieren. Das zeigt mir, die Nahostpolitik der Fraktion und der Partei DIE LINKE wird von dem aktuellen Beschluss völlig überlagert.

> der Offene Brief von pax christi


Liebe Freundinnen und Freunde,

Eure und die Kritik vieler anderer an dem Antisemitismus-Beschluss meiner Bundestagsfraktion tut weh, gerade weil wir viele Gemeinsamkeiten in der Nahostpolitik haben, etwa wenn wir uns der Spirale der Gewalt widersetzen oder aus Solidarität mit der Bevölkerung Israels auch ihre Regierung kritisieren.

Die Nahostpolitik der LINKEN, insbesondere ihre Haltung im israelisch-palästinensischen Konflikt, ist die Scheidelinie zu den anderen Bundestagsparteien, zur Bundesregierung; sie treibt uns aber auch innerparteilich um. Auf der gleichen Fraktionssitzung, die den von Euch kritisierten Beschluss gefasst hat, haben wir einen Bundestagsantrag beschlossen, in dem wir die Bundesregierung unter anderem auffordern, in der UNO für die Anerkennung des Staates Palästina einzutreten und selbst den Staat Palästina anerkennen – und das in einer Zeit, in der die israelische Regierung alle ihre Botschafter weltweit angewiesen hat, Regierungen und Öffentlichkeit gegen die Anerkennung eines Staates Palästina zu mobilisieren. Das zeigt mir, die Nahostpolitik der Fraktion und der Partei DIE LINKE wird von dem aktuellen Beschluss völlig überlagert.

Ich möchte Euch versichern: Die LINKE knickt in der Nahostpolitik nicht ein, es wird keinen Kurswechsel geben. Die LINKE hat sich nicht für, wie Ihr schreibt, „vermeintlich israelische Interessen“ entschieden, sondern folgt weiter der Überzeugung, auch hier zitiere ich aus Eurem Brief, dass „Sicherheit und Frieden für Israel nur über Gerechtigkeit und Frieden für die Palästinenser erlangt werden können“ und umgekehrt. Dazu möchte ich nicht nur allgemein auf unsere gültige Beschlusslage als Partei und Fraktion verweisen, sondern wenigstens einige Punkte benennen.

Die Nahostpolitik der LINKEN beruht auf dem Eintreten für die „Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates mit völkerrechtlich verbindlichen, von allen Beteiligten anerkannten, sicheren Grenzen, mit einem zusammenhängenden Territorium im Westjordanland auf der Grundlage der Grenzen von 1967, dem Gaza-Streifen und Ostjerusalem als Hauptstadt, einschließlich der Möglichkeit eines einvernehmlichen Gebietsaustausches mit Israel.“ und der „Anerkennung eines sicheren Existenzrechts Israels und eines palästinensischen Staates in völkerrechtlich verbindlichen sicheren Grenzen, die von allen Beteiligten anerkannt werden“. Die Nahostpolitik der LINKEN sucht „eine umfassende Regelung für alle palästinensischen Flüchtlinge auf der Grundlage der Resolution Nr. 194 der UN-Generalversammlung und/oder den Vorschlägen der Genfer Initiative. Dabei muss ein Weg zwischen Rückkehr und Entschädigung gefunden werden“ (alle Zitate aus: Beschluss der Fraktion DIE LINKE, 20.04.2010).

Diese Grundsätze haben wir mit vielen praktischen Initiativen versehen. Ich will nur einige nennen: Sofortiger Stopp des Siedlungsbaus, sofortiges Ende der israelischen militärischen Angriffe auf palästinensisches Gebiet, sofortiges Ende des palästinensischen Raketenbeschusses auf israelisches Territorium, Ende der Besatzungspolitik Israels, Öffnung der Grenzen zum Gaza-Streifen, Beendigung des Mauerbaus auf palästinensischem Territorium, auf beiden Seiten Freilassung der politischen Gefangenen, insbesondere die Freilassung des israelischen Soldaten Gilat Schalid und des palästinensischen Abgeordneten Marwan Barghuti, die Einbeziehung der Hamas in politische Gespräche und dafür einzutreten, dass aus ihrer Charta die Punkte gestrichen werden, die das Existenzrechts Israels bestreiten bzw. in Zweifel ziehen.

Der Text dieses Beschlusses ist übrigens gemeinsam von Gregor Gysi und Norman Paech, der heute so in der Öffentlichkeit angegriffen und kritisiert wird, vorgeschlagen worden.

Diese Politik überprüfen wir ständig und konkretisieren sie in Zusammenarbeit mit Partnerinnen und Partnern in Israel, in Palästina, hierzulande und in Europa. Alles Wichtige für einen palästinensischen Staat ist aufgeschrieben: die Grenzen auf der Linie von 1967, Ostjerusalem als Hauptstadt, Regelungen zur Wasserfrage und zu Verkehrswegen, staatsbürgerliche Rechte und demokratische Wahlen, sichere Grenzen und Entmilitarisierung.

Und in Israel? Ich habe im Januar an einer großen Demonstration in Tel Aviv, zu der unter anderem die Parteien Meretz, Hadasch und Kadima aufgerufen hatten, für die Verwirklichung von Demokratie in Israel teilgenommen. Auch das ist dringend nötig. Die israelische Regierung handelt permanent gegen die Interessen des Landes. Insofern braucht die Linke keinen, wie Ihr schreibt, „Spagat“ zwischen Israel und Palästina zu wagen, aber sie positioniert sich gegen Krieg, Gewalt und Unterdrückung.

Wegen dieser Politik und nicht wegen einzelner Äußerungen einzelner Mitglieder oder Gliederungen wird die LINKE so scharf angegriffen und des Antisemitismus bezichtigt. Als rassistische Ideologie ist Antisemitismus in den Gesellschaften Deutschlands und Europas weit verbreitet und wird aus der Mitte der Gesellschaft heraus immer wieder wach gerufen. Die Rassisten und Antisemiten sind Typen wie Thilo Sarrazin oder Roland Koch. Die Wahlerfolge rechter Parteien in vielen europäischen Ländern erfüllen uns mit großer Sorge. Darüber wurde in der gespenstischen Bundestagsdebatte zum angeblichen Antisemitismus in der LINKEN kein Wort verloren. Absicht und Tenor waren andere: Die LINKE sollte ihrer Nahostpolitik abschwören, sonst würde sie ausgegrenzt und an den Rand gedrängt. Ohne eine starke linke Partei entsteht Raum für rechte und rechtspopulistische Bewegungen. Dass noch keine rechte Partei im Bundestag sitzt und dass sie aus einigen Landtagen wieder vertrieben werden konnten, ist auch ein Ergebnis der Arbeit der LINKEN. Gerade angesichts der Krise in Europa, der Hetze gegen griechische, spanische, portugiesische Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, Erwerbslose, der Hetze gegen Migranten ist eine starke Linke von grundsätzlicher Bedeutung.

Es scheint, als ob es der israelischen Regierungspolitik gelungen ist, jegliche Kritik an ihrer Politik als antisemitisch zu diffamieren. Die LINKE darf nicht auf den Leim eines Antisemitismus-Vorwurfes gehen, der Interessen von Jüdinnen, Juden mit der israelischen Regierungspolitik gleichsetzt. Die LINKE muss ihre Nahostpolitik deutlich von den Antisemitismusvorwürfen trennen; das ist uns offensichtlich in den letzten Wochen nicht gelungen.

Rechtes Gedankengut, darunter auch Antisemitismus, wirken auch in die Linke hinein, unter ihren Wählerinnen und Wählern, ihren Mitgliedern und Funktionsträgern. Sich damit auseinanderzusetzen heißt nicht, sich dem Druck der etablierten Politik zu unterwerfen, sondern geschieht um unserer selbst willen. Wer die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus nutzt, um für sich selbst politisches Terrain zu gewinnen, versündigt sich vor der deutschen Geschichte, auch der Nachkriegsgeschichte. Die LINKE gibt es nur einmal – wer nicht sorgsam mit ihr umgeht, steht am Ende vor einem Trümmerhaufen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

in Punkten, die ihr kritisiert, bin ich verunsichert, ob meine und die Entscheidung der Fraktion richtig war. Wir möchten dem Anspruch von Rosa Luxemburg, Freiheit der Diskussion und Einheit in der Aktion, gerecht werden und wissen doch, dass wir ihn oft nicht erfüllen. Diese Situationen grämen uns dann besonders.

Mit solidarischen Grüßen

 

Wolfgang Gehrcke