Im Namen der Verfassung wurde Demokratie zerstört

09.02.2012
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Berufsverbote stehen im Widerspruch zum Grundgesetz. Ich finde, dass man sehr engagiert für das Grundgesetz kämpfen muss und kämpfen kann. Man war so klug, im Grundgesetz keine bestimmte Wirtschaftsordnung festzulegen. Das Grundgesetz ist offen und ermöglicht, privates Eigentum zum Zwecke des Gemeinwohls in öffentliches Eigentum zu überführen. Wolfgang Abendroth, ein großer Jurist, hat zwischen Staatsräson und Verfassungstreue unterschieden; er war immer für Verfassungstreue. Auch die Linke ist für Verfassungstreue und dafür, dass das Grundgesetz eingehalten wird.

158. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 9. Februar 2012
zum Antrag der Fraktion DIE LINKE

„Nach 40 Jahren – Berufsverbote aufheben und Opfer rehabilitieren“

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt sehr viele Menschen in diesem Land, die über 40 Jahre darauf gewartet haben, dass dieses Parlament von der Regierung hat man das kaum erwartet den einfachen Satz ausspricht: Entschuldigung, euch ist Unrecht geschehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube, diese Menschen haben einen Anspruch darauf.

Der Radikalenerlass hat viel Demokratie in unserem Lande zerstört. Ich will Ihnen nur ein paar Zahlen in Erinnerung rufen. 3,5 Millionen Menschen sind per Regelanfrage vom Verfassungsschutz überprüft worden. Wenn das kein Beleg für einen Spitzelstaat ist, dann weiß ich nicht, was ein Spitzelstaat ist.

(Holger Krestel (FDP): Sie wissen ganz genau, was ein Spitzelstaat ist! Wenn das einer weiß, dann sind das Sie und Ihre Genossen!)

11.000 Berufsverbotsverfahren haben stattgefunden. 1.256 Menschen ist die Einstellung in den öffentlichen Dienst verweigert worden. Es hat viele Entlassungen gegeben. Bringen wir nicht einmal die Courage auf, diesen Menschen zu sagen: „Wir haben euch geschadet; das war Unrecht, und das wollen wir korrigieren“?

Ich sage Ihnen: Ein Großer Ihrer Partei, Willy Brandt, der den Radikalenerlass mit zu verantworten hat, hat öffentlich festgestellt: Der Radikalenerlass war ein Fehler.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum können dieses Parlament und insbesondere Ihre Partei das nicht eingestehen? Ich halte ein solches Eingeständnis für unbedingt notwendig. Das ist eine Frage der Demokratie. Die Bundesregierung hat sich anders entschieden. Die Erklärung der Bundesregierung ist relativ simpel: Alles war rechtens; nichts ist passiert. Man ist nicht bereit, über das Unrecht zu reden, das einigen Menschen angetan worden ist.

Man darf den Zusammenhang zwischen der 68er-Bewegung, die die Bundesrepublik zutiefst verändert hat, und dem sogenannten Radikalenerlass und den dann erfolgten Berufsverboten nicht außer Acht lassen. Man wollte den rebellischen Geist der 68er in diesem Lande eindämmen. Ich habe die Sorge, dass die jetzige Debatte über den Verfassungsschutz und all das, was in diesem Zusammenhang hochgepuscht wird, ein wenig mit der derzeitigen sozialen Lage zu tun hat. Man ist unsicher, weil man nicht weiß, welche politischen Bewegungen in diesem Lande noch entstehen werden. Mich selber betrifft das nicht so sehr. Ich werde seit über 50 Jahren vom Verfassungsschutz überwacht; daran hat sogar meine Parlamentsmitgliedschaft nichts geändert. Ich möchte aber nicht, dass sich der Ungeist der Berufsverbote in Deutschland wieder verbreitet.

(Beifall bei der LINKEN)

Berufsverbote stehen im Widerspruch zum Grundgesetz. Ich finde, dass man sehr engagiert für das Grundgesetz kämpfen muss und kämpfen kann. Man war so klug, im Grundgesetz keine bestimmte Wirtschaftsordnung festzulegen. Das Grundgesetz ist offen und ermöglicht, privates Eigentum zum Zwecke des Gemeinwohls in öffentliches Eigentum zu überführen.

Wolfgang Abendroth, ein großer Jurist, hat zwischen Staatsräson und Verfassungstreue unterschieden; er war immer für Verfassungstreue. Auch die Linke ist für Verfassungstreue und dafür, dass das Grundgesetz eingehalten wird.

(Steffen Bilger (CDU/CSU): Es darf gelacht werden!)

Das ist unsere Botschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte, dass endlich der Kalte Krieg beendet wird. Zum Ende des Kalten Krieges gehört es, die Berufsverbote aufzuheben und festzustellen, dass diese unrecht sind. Ich möchte, dass junge Menschen in unserem Land wieder mit rebellischem Geist dafür werden sie selber sorgen sowie mit der Bereitschaft zum Widerspruch und der Erkenntnis aufwachsen, dass man nicht zu oft Ja sagen darf. Ich möchte, dass sie in dem Bewusstsein aufwachsen, dass Alternativen möglich und nötig sind. Berufsverbote waren immer das Gegenteil; sie waren stets Ausdruck einer Politik des Duckmäusertums und des Abgewöhnens von Demokratie. Darüber müssten wir inzwischen hinweg sein. Lassen Sie bitte diesen vielen Menschen Gerechtigkeit widerfahren, indem Sie ihnen sagen: Es war unrecht, was euch geschehen ist. Wir entschuldigen uns. Wir werden euch rehabilitieren. Darauf haben diese Menschen einen Anspruch, genauso wie die Demokratie in diesem Land; das ist viel wichtiger.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

 

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Debatte zum Antrag der Linksfraktion "Nach 40 Jahren - Berufsverbote aufheben und Opfer rehabilitieren" - Auszug aus dem Plenarprotokoll