Fragen an die Bundesregierung

29.03.2012
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Ist die Bundesregierung bereit, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der diesjährigen Ostermärsche der Kriegsgegner in einen Dialog über die deutschen Positionen beim kommenden NATO-Gipfel in Chicago einzutreten?

171. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am 28. März 2012
- Fragestunde (Auszug aus dem Protokoll) –

Vizepräsidentin Petra Pau:
(…)
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der diesjährigen Ostermärsche der Kriegsgegner in einen Dialog über die deutschen Positionen beim kommenden NATO-Gipfel in Chicago einzutreten?
Bitte, Herr Staatsminister.
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage des Kollegen Gehrcke beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung steht zu einer Vielzahl von Themenbereichen in einem regelmäßigen und engen Dialog mit der Zivilgesellschaft. Wie allen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern stehen auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Ostermärsche mehrere Wege zum Dialog mit der Bundesregierung offen. Dazu gehört unter anderem die Möglichkeit, Anfragen an die Bundesministerien zu richten. Die demokratische Mehrheitsfindung findet, wie wir alle wissen, im Deutschen Bundestag statt. Auch hier haben zivilgesellschaftliche Vertreter jederzeit die Möglichkeit, durch den Dialog mit Abgeordneten auf die Willensbildung einzuwirken. Das gilt für die Abgeordneten genauso wie für die Bundesregierung.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Der Kollege Gehrcke hat das Wort zur ersten Zusatzfrage.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herr Staatsminister, ich freue mich über Ihre Antwort. Ich habe natürlich nicht erwartet, dass die Bundesregierung die Bevölkerung dazu aufruft, am Ostermarsch teilzunehmen; das mache ich schon selber. Ich habe aber zum ersten Mal erlebt, dass ein Vertreter der Bundesregierung erklärt, dass die Bundesregierung Wert auf einen Dialog mit denjenigen legt, die seit Jahren auf die Straße gehen und zu diesen Themen demonstrieren. Ich finde, das ist ein Fortschritt.
Wenn es so ist, wie Sie sagen: Sieht sich die Bundesregierung nicht in der Pflicht – ich frage Sie das, weil Sie gerade selbst auf die Gewaltenteilung aufmerksam gemacht haben –, den Bundestag besser darüber zu informieren, mit welchem Konzept die Bundesregierung zum NATO-Gipfel in Chicago fährt und um welchen Inhalt es dort gehen wird, um auch hier im Parlament für Transparenz zu sorgen?
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Gehrcke, natürlich: Was den NATO-Gipfel, der Ende Mai dieses Jahres in Chicago stattfinden wird, betrifft, ist die Bundesregierung selbstverständlich bereit, den Bundestag ausführlichst zu informieren. Nur: Man kann nicht jedes Ergebnis vorwegnehmen. Die Bundesregierung ist zu Gesprächen bereit, sowohl in den zuständigen Ausschüssen – dort verfügen wir auch über die notwendigen Rahmenbedingungen, um tiefer in die Debatte einzusteigen, länger zu diskutieren und auf Nachfragen zu antworten – als auch hier im Plenum. Selbstverständlich stehen wir – das möchte ich ganz ausdrücklich sagen – auch außerhalb des Bundestages für Gespräche zur Verfügung. Bisher gibt es aber, wie schon gesagt, noch keine konkreten Anfragen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Wir nähern uns allmählich dem Kern der Probleme. – Sie sagten, dass die Bundesregierung bereit ist, im Bundestag umfänglich Auskunft zu geben. Wenn das so ist, halte ich eine Regierungserklärung zum NATO-Gipfel für notwendig. Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung das erwogen hat und möglicherweise dazu bereit ist, und zwar nicht erst nach dem Gipfel. Mich interessiert nämlich, mit welcher Konzeption die Bundesregierung zu diesem NATO-Gipfel, in dessen Zentrum die Situation in Afghanistan und die Frage des Rückzugs aus Afghanistan stehen werden, fahren wird. Diese Information muss vorher erfolgen, damit man auf den Inhalt Einfluss nehmen kann.
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Zur Frage einer möglichen Regierungserklärung gibt es bisher keinerlei Überlegungen. Auf Ihre Frage zu Afghanistan – ich vermute, das ist auch Gegenstand Ihrer nächsten Frage – würde ich gerne bei der Beantwortung der nächsten Frage eingehen, da ich mich nicht wiederholen will.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Okay; schlau ausgedacht.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Dann kommen wir schon zur nächsten Frage. Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Erklärung des Leiters des Zentrums für Strategische Studien in Den Haag, Rob de Wijk: „Der Krieg ist für das westliche Bündnis verloren. Jetzt geht es nur noch darum, einen Grund dafür zu finden, um sich selbst zum Sieger erklären zu können“ (www.n-tv.de/politik/Nato-Berater-Krieg-ist-verlorenarticle5774981.html)?
Bitte, Herr Staatsminister.
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Gehrcke, Ihre Frage beantwortet die Bundesregierung wie folgt: Die Bundesregierung teilt die von Herrn de Wijk zum Ausdruck gebrachte Meinung, der Krieg sei für das westliche Bündnis verloren etc. – aus Zeitgründen erspare ich mir, das gesamte Zitat vorzutragen –, ausdrücklich nicht. Klar ist aber, dass die Aufgabe der von den Vereinten Nationen mandatierten ISAF-Truppe noch nicht vollständig erfüllt ist und dass Afghanistan auch nach dem Ende des Einsatzes internationaler Kampftruppen, also auch nach 2014, noch lange internationale Unterstützung benötigen wird. Dies wurde auf der Bonner Afghanistan-Konferenz von allen teilnehmenden Nationen anerkannt, und entsprechend wurde diese Unterstützung für die Transformationsdekade 2015 bis 2024 auch zugesichert.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die erste Nachfrage, bitte.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Wenn es so ist: Müsste die Bundesregierung dann nicht in ganz anderer Art und Weise zum Beispiel auf die Vorstellung des afghanischen Präsidenten Karzai eingehen, der ja gebeten hat, alle Truppen – ohne Unterscheidung zwischen Kampftruppen und Nichtkampftruppen – bereits 2013 abzuziehen? Wenn man ernsthaft von einer Übergabe in Verantwortung spricht, dann muss doch der Wunsch des afghanischen Präsidenten zu einer öffentlichen Erörterung führen und Grundlage der Entscheidung auch für die Bundesregierung sein.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Bitte, Herr Staatsminister.
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Herr Kollege Gehrcke, Präsident Karzai hat lediglich das gefordert, was bereits beschlossen ist. Die Transition ist bereits jetzt in der Hälfte des afghanischen Territoriums in vollem Gange. Mitte 2013 soll der Transformationsprozess in allen Gebieten Afghanistans begonnen haben.
Die Rolle von ISAF wird sich dann vom derzeitigen Partnering hin zur unterstützenden und befähigenden Rolle verändern. Das wissen wir; wir haben darüber im Ausschuss geredet und können das gerne auch vor dem Gipfel noch einmal vertiefen. ISAF zieht sich dann in die zweite Reihe zurück. Die afghanischen Sicherheitskräfte sollen dann die operative Führung übernehmen. Dieser Transitionsprozess soll bis Ende 2014 abgeschlossen sein.
Das ist der Inhalt der in Lissabon zwischen ISAF und Afghanistan – das hat Karzai nur wiederholt und bekräftigt – vereinbarten Transitionsstrategie, die auf der Internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn ebenfalls noch einmal bestätigt wurde. Deshalb kann ich hier keinen Strategiewechsel erkennen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ihre nächste Nachfrage.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Ich finde, es gibt schon einen Unterschied zwischen der Aussage des afghanischen Präsidenten Karzai, der von 2013 und allen Truppen gesprochen hat, und dem, was die NATO und auch die Bundesregierung angeboten haben.
Unabhängig davon: In Chicago soll ein neues strategisches Konzept der NATO vereinbart werden. Das ist ja die Auskunft. Wenn es zu einem neuen strategischen Konzept der NATO kommt: Muss dieser Deutsche Bundestag, der jetzt elf Jahre lang Truppen für Afghanistan gestellt hat, nicht darauf bestehen, dass dieses Konzept vorher hier im Deutschen Bundestag erörtert wird, sodass man pro und kontra Stellung nehmen kann?
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Die Bundesregierung wird selbstverständlich gerne alle Fragen eines strategischen Konzeptes mit dem Bundestag erörtern, aber nicht in der Form, wie zum Beispiel bei der Euro-Stabilisierung, wo es in Teilbereichen gesetzliche Vorschriften über vorherige Zustimmungserfordernisse gibt, sondern im Wege der Debatte und der Befassung im Ausschuss und dann natürlich auch im Lichte der Ereignisse. Kollege Gehrcke, wir wissen beide: Bei dem Gipfel werden selbstverständlich auch vor Ort noch Dinge auf den Tisch kommen, die vorher im Einzelfall gar nicht klar zu sehen sind.
Die Debatte in den Ausschüssen und auch vertiefte Gespräche vorher in den geeigneten Formaten bieten wir also gerne an. Ich bin mir sicher, dass der Bundestag – er ist Herr seiner eigenen Tagesordnung – auch im Plenum über die NATO-Strategie debattieren wird.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sie haben unseren Antrag vorweggeahnt! Ich bedanke mich!)