Sterben Freiheiten, dann stirbt die Demokratie

26.09.2012
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Sterben Freiheiten wie Freiheit der Presse oder Freiheit der Politik und werden Parlamente, die man so auch nur nennt, nur noch einberufen, um das zu bestätigen, was zuvor festgelegt wurde, dann stirbt die Demokratie, und dann stirbt das gesamte gesellschaftliche Leben.

 

194. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am Mittwoch, 26. September 2012
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP
Besorgnis über die Parlamentswahlen in Weißrussland
(Auszug aus dem Protokoll)

(…)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Danke sehr. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man wäre versucht, zu spotten, wenn man sieht, wie Lukaschenko das Wahlergebnis in der Öffentlichkeit darstellt. Ich finde ein Parlament ohne einen einzigen Abgeordneten der Opposition völlig absurd. Darauf noch stolz zu sein, ließe auf eine gewisse Verwirrung im oberen Körperteil schließen. Trotzdem bleibt mir der Spott im Halse stecken. Ich schaue auf Belarus, auf Weißrussland, und weiß, welche Opfer dieses Land unter der deutschen Besatzung, also im Faschismus, gebracht hat. Ich weiß, dass wir für dieses Land eine Mitverantwortung haben. Das spüre ich auch. Ich möchte nicht von oben herab über dieses Land reden. Ich möchte, dass wir uns immer wieder in Erinnerung rufen: Das ist Europa und gehört zu Europa. Man muss einen Weg finden, wie man beides ausdrückt: Verachtung für Lukaschenko und Offenheit für die Bürgerinnen und Bürger des Landes.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bürgerinnen und Bürger Weißrusslands sind nicht Lukaschenko, ganz im Gegenteil. Ich möchte nicht, dass sie in diese Ecke gedrängt werden. Das hat bisher dankenswerterweise keiner gemacht.

Wir sollten trotzdem festhalten: Es waren Wahlen der Ungleichheit und der Unfreiheit, ohne freie Presse, ohne öffentliche Veranstaltungen, die man, wenn man es möchte, hätte durchführen können. Es waren Wahlen mit großem Druck auf diejenigen, die kandidieren wollten oder die kandidiert haben.

In diesem Zusammenhang ist mir ein Gedanke sehr wichtig: Sterben Freiheiten wie Freiheit der Presse oder Freiheit der Politik und werden Parlamente, die man so auch nur nennt, nur noch einberufen, um das zu bestätigen, was zuvor festgelegt wurde, dann stirbt die Demokratie, und dann stirbt das gesamte gesellschaftliche Leben.

Dieser Weg ist in Belarus leider vorgezeichnet. Bei dieser Form von Politik erstirbt das gesellschaftliche Leben, eine Eiszeit kehrt ein. Das schlägt dann auf alle zurück. Der schöne Gedanke: „Sterben diese Freiheiten, dann stirbt das gesellschaftliche Leben“ stammt übrigens nicht von mir, sondern von Rosa Luxemburg. Bei ihr kann man das – in besserer Formulierung – noch einmal nachlesen.

Für uns stellt sich nun die nicht einfach zu beantwortende Frage: Was tun? Nur die Tatbestände an sich zu beschreiben – vielleicht sind wir uns in der Beschreibung sogar einig –, hilft nicht weiter. Ich denke in ähnlicher Art und Weise wie der Kollege Wellmann: Man sollte einmal ausloten: Was ist bisher gelaufen, und was ist wirksam gewesen? Wir können ja nicht sagen: Wir machen immer weiter so.

Ich finde, dass im Großen und Ganzen Sanktionen, der Druck auf das Regime etc. nicht das erbracht haben, was ich mir davon erhofft hatte. Es ist kein Wandel eingetreten – ganz im Gegenteil. Daher stelle ich mir die Frage: Muss man vielleicht die eigene Taktik, wie man an das Problem herangeht, verändern? Hier kann man zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen.

Ich bin dafür, dass wir maximale Kontakte in das Land Belarus hinein entwickeln, inklusive der Eishockeyweltmeisterschaft, jedoch ohne dass wir so tun, als hätte Politik mit Sport nichts zu tun. Meine These heißt: Wenn an die Mumie Luft kommt, zerfällt die Mumie. Ich möchte, dass die Mumie Lukaschenko, der schon sein kleines Kind als seinen Nachfolger präsentiert, zerfällt.

Deswegen schlage ich vor, etwa darüber nachzudenken: Wie kann man beispielsweise die Kontakte zu Belarus vervielfältigen? Das fängt bereits bei der Visafrage an. Wer nach Deutschland kommen möchte, soll kommen. Da müssen die Türen offenstehen,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU])

da muss es eine Willkommenskultur geben. Wir müssen auch überlegen, welche Möglichkeiten sich in beiden Ländern im kulturellen Bereich ergeben.

Ich frage mich: Was passiert eigentlich mit den Städtepartnerschaften? Es gibt eine Menge Städtepartnerschaften zwischen Städten in Deutschland und in Weißrussland. Kann man diese Städtepartnerschaften nutzen, um auf eine andere Politik, einen anderen geistigen Atem hinzuwirken? Was können deutsche Abgeordnete bewirken, wenn sie vor Ort fordern: „Wir wollen Zugang zu den Gefängnissen haben!“?

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Die werden nicht reingelassen! Gehen Sie doch mal nach Weißrussland!)

Wir wollen wissen, was mit unseren Kolleginnen und Kollegen, die kandidiert haben, in diesen Gefängnissen passiert. Das alles sind Möglichkeiten, wie die politischen Verhältnisse verändert werden können. Hierüber müssen wir nachdenken.

Diese Fragen dürfen auch in den Gesprächen mit Russland nicht ausgespart werden, die für beide Seiten nicht immer ganz einfach sind. Russland kann Einfluss nehmen, und Russland muss Einfluss nehmen. Das bedeutet, dass Putin dazu gebracht werden muss, über sein eigenes Verhalten nachzudenken.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch das gehört zum Problem dazu.

Ich kann nur vorschlagen, dass wir auf diese Art und Weise versuchen, eine andere Form der Politik in Belarus durchzusetzen. Ich wiederhole noch einmal: Weißrussland ist nicht Lukaschenko, und Lukaschenko spricht nicht für Weißrussland.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)