Endlich damit aufhören, über die Russland-Politik konjunkturabhängig zu diskutieren

19.10.2012
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Endlich damit aufhören, über die Russland-Politik konjunkturabhängig zu diskutieren (Wolfgang Gehrcke)

 

Wir sollten diese Debatte nicht von oben herab und belehrend führen und anderen gegenüber nicht so tun, als könnten sie aus unseren Erfahrungen alle notwendigen Schlussfolgerungen für sich selbst ableiten. Ich betrachte diese Diskussion vielmehr als eine sehr gleichberechtigte Debatte. Auch wir sollten die Bereitschaft zeigen, von der Entwicklung in Russland zu lernen; auch das ist nämlich möglich.

 

199. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages am Freitag, 19. Oktober 2012

„Modernisierung Russlands“ – Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und SPD

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist Beifall aus Solidarität!)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Das finde ich toll. Schönen Dank. Wenn es notwendig ist, setze ich mich auch zwischendurch hin und klatsche mir selber Beifall. Das kann man sicherlich im Wechsel machen. Das kriegt man schon hin. – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir sehr wünschen, dass wir in dieser Debatte deutlicher zum Ausdruck bringen, dass wir die Diskussion mit Russland in der Absicht führen, dazu beizutragen, dass Russland den Weg hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, weniger Armut, mehr Demokratie und zur Rechtsstaatlichkeit geht. Dies sollte auch als Faktor des Friedens politisch wirksam werden. Ich würde den russischen Bürgerinnen und Bürgern gerne nahebringen, dass dies unsere Absicht in dieser Debatte ist. Zumindest meine ist es.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich füge hinzu, dass man diese Debatte nicht von oben herab und belehrend führen darf. Man sollte anderen gegenüber nicht so tun, als könnten sie aus unseren Erfahrungen alle notwendigen Schlussfolgerungen für sich selbst ableiten. Ich betrachte diese Diskussion vielmehr als eine sehr gleichberechtigte Debatte. Auch wir sollten die Bereitschaft zeigen, von der Entwicklung in Russland zu lernen; auch das ist nämlich möglich.

Ich finde, es ist gut, darauf aufmerksam zu machen, dass das unverschämte Benehmen und das unverschämte Agieren der Neureichen in Russland völlig inakzeptabel sind. Die eigentlich Betroffenen finden Sie in den Metrostationen, wo sie um Schutz und Obdach ersuchen. Die soziale Frage in Russland wird sich zu einem ungeheuren Sprengsatz entwickeln, wenn man nicht an einer Lösung der bestehenden Probleme arbeitet.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt muss ich dem Gehrcke doch glatt mal zustimmen!)

– Ja. Auch so etwas gibt es.

Ich möchte gern, dass in Russland begriffen wird, dass eine demokratische Entwicklung auf sozialer Gerechtigkeit aufbaut und dass Rechtsstaatlichkeit für alle Teile der Gesellschaft ungeheuer wichtig ist. Schließlich will man weder der Willkür einer Staatsverwaltung noch der Willkür eines Parteisekretärs ausgesetzt sein. Ich finde, das ist eine Schlussfolgerung, die man aus der Vergangenheit ziehen kann.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Klimke [CDU/CSU]: Das hätten Sie sich mal früher überlegen sollen!)

Das alles sage ich nicht belehrend.

(Jürgen Klimke [CDU/CSU]: Beachtlich!)

Ich möchte, dass wir endlich damit aufhören, über die Russland-Politik konjunkturabhängig zu diskutieren. Sprünge zwischen „lupenrein“ bzw. „hosianna!“ und „Kreuzigt sie!“ passen mir überhaupt nicht. Russland-Politik und Außenpolitik sind für mich beständige und wichtige Angelegenheiten.

Ich habe übrigens nicht mit dem Thema angefangen, das bei euch in der Regierungskoalition ein Problem darstellt.

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein! Das ist kein Problem!)

Aber auch mir ist natürlich aufgefallen, dass zu den Inhalten, die debattiert worden sind, aus der Richtung von Schwarz-Gelb nichts Substanzielles gekommen ist. Damit kommt man nicht durch. Ich möchte stabile Beziehungen zu Russland und Stabilität in Europa. Blickt man auf den Balkan, nach Moldawien oder in Richtung Kaukasus, stellt man fest: Kaum ein europäisches Problem ist ohne Russland lösbar. Auch die Nahostprobleme sind nur gemeinsam mit Russland lösbar, nicht gegen Russland.

Hinzu kommt, dass die Abrüstungsfragen endlich auf die Tagesordnung kommen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin gegen die Einrichtung eines Raketenabwehrsystems. Eigentlich ist das nämlich ein System, das zweierlei Sicherheit in Europa etabliert. Das können wir nicht tolerieren, und wir müssen dagegen argumentieren. Ich denke, dass man, auch was das Verhältnis zu Russland angeht, einen Weg gehen sollte, den man mit „Wandel durch Annäherung“ umschreiben kann.

Derzeit finden ja deutsch-russische Regierungskonsultationen statt. Wenn ich für die Tagesordnung dieser Gespräche verantwortlich wäre, würde ich entscheiden: Tagesordnungspunkt 1 – Visafreiheit. Das, was wir Richtung Russland und anderen Ländern signalisieren, ist: Ihr seid uns nicht willkommen. Ich möchte, dass wir signalisieren: Ihr seid uns willkommen.

Ihre Fraktionen und Ihre Parteien haben doch Leitungsgremien. Appellieren Sie doch nicht hier an Ihre Außenpolitiker, dafür einzutreten, dass sich dort etwas ändert, sondern setzen Sie in Ihrer Fraktion durch, dass man dafür eintritt, dass sich dort etwas ändert. Es ist doch beschämend, was hier geschieht.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte gerne, dass über eine Energiepartnerschaft und eine Demokratiepartnerschaft debattiert wird. Zeigen Sie einmal ein bisschen Kreuz und treten Sie für politische Veränderungen ein. Wenn Sie nach Moskau fahren, wird Ihnen gesagt: Fassen Sie sich an die eigene Nase. Wenn ich mir ansehe, wie mit dieser Frage hier umgegangen wird, muss ich sagen: Ich finde diese Aussage berechtigt.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Für das Protokoll vermerkt: Von der Mehrheit des Hauses Beifall!)

Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich schließe die Aussprache.