"Die Atombombe macht noch keine Weltmacht"

06.09.2017
Printer Friendly, PDF & Email
Interview von Ralf Wurzbacher mit Wolfgang Gehrcke

Als Beobachter des Konflikts um das nordkoreanische Atomprogramm hat man den Eindruck, hier wetteiferten zwei durchgeknallte Staatschefs darum, wer von beiden irrer ist. Wer hat in Ihren Augen die Nase vorn: US-Präsident Donald Trump oder Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un?

Wenn ich an Kim Jong Un und Donald Trump denke, sehe ich immer wieder Charlie Chaplins Tanz mit dem Globus aus seinem grandiosen Film »Der große Diktator«. Ich denke, beide sind nicht verrückt, ihr Handeln hat eine innere Logik. Kim Jong Un bildet sich ein, dass der Besitz von Atomwaffen Sicherheit verspricht. Trump dagegen ist drauf und dran, seine America-first-Doktrin auch militärisch durchzusetzen, während es anfangs noch so aussah, als wollte er von außenpolitischen Abenteuern die Finger lassen.

Aber warum treibt Nordkorea den Konflikt mit immer neuen Raketentests weiter auf die Spitze?

Kim Jong Un will sich jetzt durchsetzen und Stärke beweisen. Das halte ich für grundfalsch, weil er sein Land, sein Volk damit noch tiefer in die Isolation treibt. Die Lebensbedingungen in der Volksrepublik haben sich in den zurückliegenden Jahren ein wenig verbessert, aber längst nicht umfassend. Dreht Kim Jong Un weiter an der Eskalationsspirale, werden selbst diese kleinen Fortschritte zunichte gemacht. Sogar sein engster Verbündeter China wendet sich immer weiter von ihm ab.

Aber sollte man nicht annehmen, dass Kim Jong Un das Beste für die Bevölkerung erreichen will?

Auch wenn dem so sein mag, ist der Weg, den er wählt, der falsche. Atomwaffen machen die Welt nicht sicherer. Deshalb muss es um zweierlei gehen: Nordkorea darf nicht in den Besitz der Atombombe kommen, und die USA müssen endlich damit aufhören, sich als Weltpolizist aufzuspielen. Ist das die Zielsetzung, dann muss man Kim Jong Un Vorschläge machen, bei deren Annahme er nicht das Gesicht verliert. Und die USA müssen endlich begreifen, dass ihre Aggressionspolitik, angefangen beim Koreakrieg über die zahllosen Interventionen in Mittel- und Südamerika bis zu den jüngsten Kriegen in Af­ghanistan, Libyen oder Syrien, völlig inakzeptabel ist.

Welche Angebote sollte man Nordkorea machen?

Kim Jong Un sucht Sicherheit für sein Land. Angesichts der Umzingelung durch die USA mit Militärstützpunkten und der gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea erscheint dieses Bedürfnis begründet. Ich war vor Jahren in Indien zu Besuch und habe angeregt, das Land solle eine Initiative in Richtung atomarer Abrüstung ergreifen. Darauf fragte mich ein Regierungsvertreter: Hätte die NATO Jugoslawien überfallen, wenn Belgrad im Besitz von Atomwaffen gewesen wäre? Daran zeigt sich der große Irrtum: Die Atombombe macht noch keine Weltmacht, und die Atombombe garantiert auch keine Sicherheit. Die Welt wird hochgradig unsicherer und gefährlicher, je mehr es davon gibt und je mehr Staaten sie besitzen.

Was also müsste man Nordkorea anbieten?

Es braucht einen radikalen Kurswechsel in Richtung Deeskalation und Entspannung. Dazu zählen greifbare Sicherheitsgarantien, indem das US-Raketenabwehrsystem in Südkorea abgebaut wird, die Großmanöver an der Grenze zu Nordkorea eingestellt und die wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber Pjöngjang aufgehoben werden. Von Kim Jong Un muss im Gegenzug die sofortige Einstellung der atomaren Waffenversuche und der Raketenrüstung gefordert werden.

Und die USA müssten von der gerade angekündigten Aufrüstungsoffensive für Seoul ablassen …

Das natürlich auch. Ganz wichtig wäre es außerdem, in der Sprache abzurüsten. Wenn es seitens der US-Administration heißt, man werde bei Bedarf das Land auslöschen, dann ist hier von Millionen Menschenleben die Rede. Eine solche Wortwahl zeugt von einer Verkommenheit, die ihresgleichen sucht.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Die Kanzlerin hat am Dienstag im Bundestag die Notwendigkeit einer nichtmilitärischen Lösung unterstrichen. Das ist zu begrüßen. Allerdings müsste man dann endlich mit der Sanktionspolitik Schluss machen und Pjöngjang entsprechende Vorleistungen offerieren, um in den Dialog zu kommen. Ein starkes Signal wäre vor allem, von Washington den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa und Deutschland zu fordern.

Aus: junge WeltAusgabe vom 06.09.2017, Seite 2 / Ausland