Zivilgesellschaftliche Syrienkonferenz - All Sides Consultation for a Political Solution

02.04.2014
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Die oppositionellen Kräfte sind vielschichtig. Selbst auf dieser Konferenz waren wichtige Teile der Opposition nicht anwesend. Es ist nach wie vor ein offener oder auch ein Streitpunkt, inwieweit man sich auf Gespräche mit der legalen Regierung, d.h. mit der Regierung Assad, einlässt oder auf die eher von außen eingesetzte Exilregierung der Nationalen Koalition, die ebenfalls einen Alleinvertretungsanspruch erhebt, setzt.
Es ist eine große Leistung der Initiative Peace in Syria, Menschen aus diesen beiden und zusätzlich anderen Richtungen an den Dialogtisch eingeladen und dort gehalten zu haben.

 

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Bericht an den Präsidenten des Deutschen Bundestages

über die Teilnahme an der „Beratung aller Seiten für eine politische Lösung“ des Syrien-Konflikts

Friedensburg Schlaining, Österreich, 8. bis 9. März 2014

 

1. Nach der internationalen Syrienkonferenz Genf II, an der Staaten und Regierungsvertreter teilnahmen, war die Konferenz in Österreich, Burgschlaining, eine Beratung der Zivilgesellschaft. Die Bandbreite der teilnehmenden syrischen Persönlichkeiten reichte von Menschen, die sich als eher staatsnah verstehen, über Akteure aus demokratischen oder linken Initiativen und Verbänden bis zu Aktiven aus der Muslimbruderschaft oder der Nationalen Koalition. Das Grundprinzip der Konferenz war: Es werden Personen und nicht Organisationen eingeladen und jeder Teilnehmende spricht für sich selbst. Dieses Prinzip war ausgesprochen fruchtbar und hat dazu beigetragen, Stereotypen zu überwinden und zu einer offenen Debatte zu finden; es könnte Anregung und Vorbild für entsprechende Veranstaltungen in Deutschland sein.


2. Die 15 nicht-syrischen Teilnehmenden waren vom Veranstalter, der Initiative for a Political Solution, gezielt ausgewählt. Ihre Aufgabe bestand in der Moderation der einzelnen Gesprächsrunden. Eine Gesprächsrunde war zudem ihren Fragen und Einschätzungen „von außen“ und aus der internationalen Debatte gewidmet. Mir fiel die Aufgabe zu, das Panel „Die Notwendigkeit politischer Rechte“ zu moderieren. Auch diese Herangehensweise hat sich aus meiner Sicht bewährt.

Zusammengefasst: Durch diese Methodik ist den syrischen Kräften, international begleitet, Raum für ihre Debatten zu einer politischen Lösung geschaffen worden.


3. Die syrischen Teilnehmenden haben für ihre Debatten eine offene Atmosphäre geschaffen, in der sogar manchmal Vertrauen aufschimmerte. Am letzten Beratungstag haben sich die Teilnehmenden zum Beispiel mehrheitlich als „Brüder“ angesprochen. Angesichts der Unversöhnlichkeit des Krieges in Syrien, der hohen Anzahl von Opfern, der Gewalt, die immer noch zu millionenfachen Fluchtbewegungen führt, war es ein außerordentlich bedeutsamer Schritt, dass sich Persönlichkeiten aus verfeindeten Teilen der Gesellschaft an einem Ort und um einen Tisch versammelten und direkt miteinander sprachen. Politische Lösungen für und in Syrien sind offensichtlich nur auf diesem Wege vorzubereiten.


4. Die Verabredung für die Beratungen in Burgschlaining war die Suche nach einer politischen Lösung; nicht für alle Gruppen heißt das auch Gewaltfreiheit. Das zu akzeptieren, fällt nicht leicht und soll nicht notwendig auf andere Konferenzen übertragen werden. Ebenfalls war es für die einzelnen Teilnehmenden, die sich, wie unter 1. angeführt, in größeren Zusammenhängen, auch Organisationen, bewegen, nicht leicht zu akzeptieren, dass an dieser Beratung Menschen teilnahmen, die der Assad-Regierung nahe stehen, wie auch andere, die sich eher zur Übergangsregierung zählen. Diese Bandbreite zu akzeptieren, wird eine Grundlage für Konferenzen sein, die eine politische Lösung ansteuern.


5. Unter diesen Vorbehalten sind eine Reihe politischer Fragen zu identifizieren, zu denen sich derzeit – noch – keine Lösungsmöglichkeiten andeuten:

- Auf die Forderung, Syrien als säkularen Staat zu erhalten, antworten einige, das zu benennen sei nicht nötig, sie würden auch nicht die Forderung erheben, Syrien zu einem islamischen Staat zu machen.

- Der Forderung nach Frauenrechten als Menschenrechten als Teil einer politischen Lösung wurde entgegengehalten, dass man bereit sei, Frauenrechte nach der Scharia zu garantieren.

- Der Vorschlag, gesonderte Lösungen für große Konfliktzonen, so z.B. im Kampf um Aleppo zu finden (nach dem Muster von Homs) wurde beantwortet, solcher Bemü-hungen bedürfe es nicht, wenn die Regierung Assad ihre Truppen zurückziehe.

- Die Forderung nach Autonomie und Selbstverwaltung für die kurdischen Gebiete wurde teils aus arabisch-nationalistischen, teil aus zentralistischen Gründen zurückgewiesen oder auch, weil den handelnden Kräften (PYD) eine Kooperation mit der Regierung Assad unterstellt wurde.


6. Es scheint unter allen beteiligten Kräften eine Einsicht zu wachsen, dass eine militärische Lösung nicht (mehr) vorstellbar sei und dass man zu einer politischen Lösung kommen müsse. Je nachdem, welche Seite militärisch gerade auf dem Vormarsch ist, steigt oder sinkt die Bereitschaft zu politischen Lösungen. Das gilt gleichermaßen für die Kräfte, die der Regierung oder der Opposition nahe stehen.

Die oppositionellen Kräfte sind vielschichtig. Selbst auf dieser Konferenz waren wichtige Teile der Opposition nicht anwesend. Es ist nach wie vor ein offener oder auch ein Streitpunkt, inwieweit man sich auf Gespräche mit der legalen Regierung, d.h. mit der Regierung Assad, einlässt oder auf die eher von außen eingesetzte Exilregierung der Nationalen Koalition, die ebenfalls einen Alleinvertretungsanspruch erhebt, setzt.

Es ist eine große Leistung der Initiative Peace in Syria, Menschen aus diesen beiden und zusätzlich anderen Richtungen an den Dialogtisch eingeladen und dort gehalten zu haben.

Auch von Aktiven aus der Muslimbruderschaft wird die Gewalt, die von Islamisten ausgeht, verurteilt. Die Gewalt der islamistischen Gruppen und ihre Förderung durch Saudi-Arabien, Katar und die Türkei ist mehr und mehr zu einem Problem gerade dieser Gruppen geworden. Daraus ergibt sich möglicherweise ein praktischer Zuschnitt für künftige Konferenzen: Möglich können Gespräche sein in der Spannbreite von verschiedenen Teilen der Opposition im Inland, demokratischen Kräften im Exil bis hin zu den Muslimbrüdern und der Assad-Verwaltung. Nicht möglich sind Konferenzen unter Teilnahme der gewaltorientierten islamistischen Gruppen. Ihnen sprechen alle Seiten die Fähigkeit zum Dialog und Kompromiss ab.

 

Abschießend danke ich der Internationalen Initiative Peace for Syria und den österreichischen Ausrichtern der Konferenz, namentlich den Herren Leo Gabriel und Wilhelm Langthaler, für ihre Initiative und ihre Arbeit. Von verschiedenen Teilnehmenden der Konferenz wurde der Wunsch nach einem ähnlichen Treffen in Deutschland geäußert. Offensichtlich ist in Österreich die – informelle - Kooperationsbereitschaft von Regierungsstellen höher entwickelt, als sie bislang in Deutschland erkennbar ist.


Berlin, 31.März 2014

 


Wolfgang Gehrcke

 


Konferenzdokumentation auf der Seite der International Peace Initiative for Syria