Ein Krieg der Reichen gegen die Armen

09.09.2015
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120. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am Donnerstag, 9. September 2015

Haushaltswoche – Rede zum Entwurf des EPl. 05 – Auswärtiges Amt

 

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass man nüchtern und traurig aussprechen muss, dass wir heute wieder in Kriegszeiten und nicht in Friedenszeiten leben. Wir leben in Zeiten des Krieges. Kurze Zeit schien es so, als ob man den Krieg endgültig von unserer Erde verbannen könnte, zumindest von unserem Kontinent. Kurze Zeit schien es auch so, als könnte man Atomwaffen wirklich abschaffen. Eine Welt ohne Atomwaffen! Es war leider nicht so. Das Gegenteil ist der Fall. Ich spreche es nüchtern aus: Aus meiner Sicht ist heute das Überleben der Gattung Mensch und unseres Planeten infrage gestellt. Um nichts weniger geht es bei der Frage, ob man aus diesen katastrophalen Entwicklungen einen Ausweg finden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Mir sind dieser Tage immer wieder einige Zeilen von Bertolt Brecht durch den Kopf gegangen. Ich will sie Ihnen nicht ersparen. Brecht schreibt in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“:

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
...
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

Mahnt uns das? Mahnt uns das nicht, Schweigen über Untaten? - Reden wir doch einmal darüber, dass weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. 60 Millionen weltweit! Reden wir darüber, dass jeden Tag auf der Erde 57 000 Menschen verhungern. Die Erde wäre reich genug, um alle ernähren zu können. Reden wir darüber, dass durch schlechte Wasserversorgung, auch durch Privatisierungen, jedes Jahr 100 000 Menschen sterben. Fluchtursachen muss man bekämpfen und nicht die Flüchtenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben es zu tun mit einem Krieg der Reichen gegen die Armen dieser Welt. Auch das muss man aussprechen, wenn man über alternative Außenpolitik nachdenkt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Kriegstoten, die Flüchtenden, die Verhungernden sind Opfer einer kannibalischen Weltordnung. Es ist die Unordnung der Macht des Profits, des Kapitalismus. Ein Bruch mit der Macht des Kapitalismus, mit der Macht transnationaler Konzerne ist nötig, wenn die Menschheit überleben soll.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das erfordert auch weltweite Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse, in die Verfügungsgewalt über Eigentum, und das erfordert auch eine Unterbindung weltweiter Finanzspekulationen. Das sagt selbst der Papst. Das ist ja keine linke Erfindung.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Mützenich (SPD))

Wahrlich, wir leben in finsteren Zeiten, in Kriegszeiten, auch in Europa. Europa steckt in seiner schwersten Krise seit Ende des Systemkonflikts. Seitdem war das Verhältnis EU-Deutschland-Russland noch nie so schlecht wie heute. Für die Verschärfung der euroatlantischen Großkonflikte, des ukrainischen Konfliktes inklusive der gegenseitigen Drohungen der USA und Russlands mit Atomwaffen trägt auch die deutsche Politik mit Verantwortung. Sanktionen, Dialogverbote und primitive antirussische Propaganda sind keine Argumente, sondern zerstören die Grundlagen von Zusammenarbeit. Auch das muss hier ausgesprochen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte an dieser Stelle mit wirklicher Trauer darauf aufmerksam machen: In seinem letzten Dokument hat Egon Bahr mit dem Willy-Brandt-Kreis der SPD an uns alle appelliert, sich auf eine gemeinsame europäische Friedensordnung zurückzubesinnen. Ich denke, dass man von der Bundesregierung fordern muss: Macht uns die Russen nicht zu Feinden. Nato-Manöver und damit auch deutsche Soldaten an der Westgrenze Russlands, das ist eine unvorstellbar kaputte Politik. In diesem Jahr haben bereits 16 solcher Manöver stattgefunden.

Deutschland muss überhaupt aus dem ganzen Kriegsgetöse aussteigen, denke ich. Hören Sie einmal in die Friedensbewegung hinein. Sie waren ja früher einmal sehr eng mit der Friedensbewegung verbunden; lang ist es her. Die Losung „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“ finde ich begründet und beweisbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Es sollte für uns eine Schande sein, wenn man zu solch einer Feststellung kommt.

Syrien, Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen, in Europa der Krieg in Jugoslawien und jetzt in der Ukraine - in diesen Kriegen haben 350.000 Menschen ihr Leben verloren. An vielen dieser Kriege war Deutschland direkt oder indirekt beteiligt. Ich möchte wissen, was die Bundesregierung in der Auseinandersetzung mit dem Nato-Partner Türkei macht, dem sie ja die Patriot-Raketen vor die Tür gestellt hat, um zu verhindern, dass es in der Türkei zu einem Bürgerkrieg kommt. Das ist doch ein Problem, über das auch in der Nato debattiert werden muss und mit dem man sich auseinandersetzen muss.

Herr Außenminister, Herr Steinmeier, Sie haben einmal formuliert, dass Deutschland die Weltpolitik nicht von der Außenlinie betrachten soll. Meine Überlegung ist: Besser an der Außenlinie der Weltpolitik stehen bleiben, als ein Teil der Kriege dieser Welt zu werden. Das ist eine andere Politik, und darüber muss man streiten.

(Beifall bei der LINKEN - Manfred Grund (CDU/CSU): Dazwischen gibt es auch noch anderes!)

Ich sage sehr offen, weil immer wieder darüber spekuliert wird: Die Außenpolitik der Linken geht nicht mit der Außenpolitik der SPD und dieser Regierung zusammen. Dazwischen liegen Welten. Ich bin stolz darauf, dass Welten dazwischen liegen.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Wem sagen Sie das jetzt? - Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt ist die Katze aus dem Sack!)

- Ich sage es euch und der Öffentlichkeit, weil ich von euch erwarte, dass ihr endlich eure Außenpolitik verändert und zu einer Außenpolitik, wie Egon Bahr sie betrieben hat, wie andere sie betrieben haben, zurückkehrt.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Wollen Sie ihn auch noch vereinnahmen?)

Das wäre vernünftig. Besinnt euch auf Willy Brandt, und lernt endlich wieder von einer solchen Außenpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. In diesem sehr schönen Gedicht von Bertolt Brecht gibt es einen Rat an uns alle, den ich bitte, zu beherzigen. Brecht schreibt:

Ich wäre gerne auch weise.

In den alten Büchern steht, was weise ist:

Sich aus dem Streit der Welt halten ...

Soweit Brecht. Die deutschen Außenpolitik sollte weise sein, sich aus dem militärischen Streit der Welt heraushalten, nicht aufrüsten und nicht Soldaten in alle Welt schicken, sondern still und beharrlich für den Frieden arbeiten. Das wäre eine Grundlage der Zusammenarbeit, die ich mit ganzem Herzen bejahen würde.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Rolf Mützenich (SPD): Das ist nur selbstgerecht!)