

100 Jahre Zimmerwald: Linke und die Friedensfrage - Christiane Reymann - Begrüßungsrede (RegenbogenTV)
Liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen,
ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid, und ich freue ich auf die Gespräche in den nächsten Stunden. Die brauchen wir dringend. Denn es ist Krieg und die Friedensbewegung reagiert darauf nicht adäquat – wobei gerade die Aktionen in Ramstein und Kalkar tolle Ermutigungen sind! Mit dieser Konferenz wollen wir einen Beitrag von links leisten zur Aktualisierung und Konkretisierung einer Friedensstrategie und einer mutigen Praxis.
Wir beziehen uns heute auf Zimmerwald. Doch vor dieser gemischtgeschlechtlichen Konferenz vom September 1915 hatte sich bereits im März in Bern die sozialistische Fraueninternationale getroffen und ein leidenschaftliches Manifest zum Ende des Krieges verabschiedet. In Deutschland verbreiteten die Frauen es Hunderttausendfach - und das unter den Bedingungen der Illegalität. Beide, die Berner und die Zimmerwalder Konferenz, zeigten vor allem dies: Im Meer der Verblendung, war es, so die Bilanz von Marion Phillips nach Bern, der „Geist der Vernunft, der sich über das Getöse der Schlachtfelder zu erheben vermag.“ Bern und Zimmerwald waren die ersten und für lange Zeit einzigen Friedenskonferenzen. Und es waren Sozialistinnen und Sozialisten, die aus dem Menschenschlachthaus heraus Wege zum Frieden aufzeigten.
Damals verknüpfte die Zimmerwalder Linke Frieden mit der sozialistischen Revolution, erst sie könne Frieden schaffen und sichern. Vor und während des II. Weltkrieges fanden die Parteien der Kommunistischen Internationale – mühsam – zur Strategie der Arbeitereinheitsfront und zur Volksfront im Kampf gegen Faschismus und Krieg. Welche Wege zum Frieden müssen wir heute erschließen?
In ihrem Kassandra-Roman schreibt Christa Wolf: "Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg." Begann der I. Weltkrieg wirklich am 28. Juli 1914 und der II. am 1. September `39? Nicht viel eher? Wann hat alles angefangen? Heute müssen wir die Zeichen erkennen, um angemessen reagieren zu können, etwa: Sind Rüstungsexporte, Drohnen, regionale und Stellvertreterkriege, auch ein Denken und eine Politik, denen Gewalt strukturell innewohnt, nur einzelne Erscheinungen oder schon jene Zeichen, dass der Vorkrieg angefangen hat?
In Deutschland gibt es unter der Bevölkerung eine stabile Anti-Kriegs-Mehrheit - als Meinungsmehrheit, nicht auf der Straße. Sie gerät in Gefahr, aufgeweicht zu werden ausgerechnet durch die Boten des Krieges, die in Form der Flüchtlinge zu uns kommen. 80 Prozent fliehen bekanntlich vor Krieg. Und schon geht die Demokratie den Bach ab. Heute früh sprachen sich im Deutschlandfunk sowohl CSU-Söder als auch SPD-Oppermann für eine „Begrenzung des Zuzugs“ aus. Inhaltlich sprachen sie aber nicht über einen Zuzug, den man regulieren, umlenken, oder sonstwie managen kann, nein, sie sprachen über das Grund- und Menschenrecht auf Asyl! Die Boten des Krieges werden unser Land im Inneren gravierend verändern, eine Verschiebung der politischen Achse nach rechts erscheint wahrscheinlich.
Sicher können wir schon zu den Veränderungen nach außen ab sagen: Die Militarisierung der Europäischen Union vollzieht sich im Zeitraffer. Jetzt ist die Festung Europa da, vor der Linke immer gewarnt haben. Was verniedlicht „Zäune“ zur Sicherung der EU-Außengrenzen genannt wird, entpuppt sich in Wirklichkeit als militärisch gesichertes Grenzregime. Denn was nützen „Zäune“, wenn sie nicht so gesichert werden, dass keiner durchkommt. Für die Friedensbewegung ersteht neben und verwoben mit der NATO ein weiterer Gegner: Die EU. Ihr Charakter ist aber auch unter Linken umstritten. Ist sie ein Mittel der Friedenssicherung in Europa oder selbst Faktor der Militarisierung? Ist sie reformierbar oder muss sie, wie die NATO, abgeschafft, überwunden werden?
Den globalen Krieg, der schon jetzt stattfindet, bezeichnet Georg Schramm als „Krieg der Reichen gegen die Armen“. Er wird nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich geführt. Als mörderische Waffen erweisen sich Geld, vor allem in Form von Schulden, und die Börse. Dort werden Leben und Lebensgrundlagen verzockt. Muss die Friedensbewegung diese Komponenten einbeziehen? Und wenn ja: wie? Darf nur, wer die „richtige Kapitalismuskritik“ hat, an der Friedensbewegung teilnehmen? Ist das praktisch ein Aufnahmekriterium? Im vergangenen Jahr sind diese und andere tiefe Differenzen im Zusammenhang mit dem Friedenswinter aufgebrochen. Das hat zu Spaltungen, zeitweiligen Lähmungen geführt und zu persönlichen Verletzungen.
Der Umgang mit Differenzen ist entscheidend für die Stärke (oder Schwäche) der Friedensbewegung. Die Friedensbewegung war immer eine Bewegung mit Differenzen. Nehmen wir die große Bewegung der 80’er Jahre: Sie hatte eine, durchaus strategische, Differenz zum Charakter der SS 20 in Osteuropa. Trotzdem haben wir gemeinsam zu Hunderttausenden gegen die Cruise Missiles und den NATO-Doppelbeschluss gekämpft. Aktuell haben wir eine Differenz zur Frage: Frieden in Syrien unter Einbeziehung von Assad oder nur über Regime-Change? Wir sind auch unterschiedlicher Meinung zu der Frage, ob der Islamische Staat auch militärisch zu bekämpfen oder ob er einzig politisch zu isolieren sei. Trotzdem konnte die Friedensbewegung bislang mit einer militärischen Komponente umgehen, namentlich mit Waffen, gern auch in Frauenhand, eingesetzt von der kurdischen Peschmerga und/oder zur Verteidigung Rojawas. Muss eine unterschiedliche Einschätzung der russischen Luftangriffe in Syrien die Friedensbewegung jetzt spalten?
Wir brauchen mehr Sorgfalt und Kraft bei der Suche nach Gemeinsamkeiten statt nach Differenzen. In der Friedensbewegung und in der Linken! Denn wenn die Linke mit ein bisschen Krieg anfängt oder ein bisschen militärisch zu sichernden Grenzen zustimmt, ist sie schon auf der abschüssigen Bahn. Die ist bekanntlich mit Schmierseife versiegelt, es gibt kein Halten.
Ich wünsche uns viel Freude, frische Erkenntnisse und ein gutes Miteinander im Reden über Linke und die Friedensfrage heute.