

Tagung „100 Jahre Zimmerwalder Konferenz…“
Debattenbeiträge
Siegfried Ransch
1. Plenardebatte
Zusatz zu den Ausführungen von Sabine Kebir
(aus dem schriftlich vorliegenden Beitrag trug S. Ransch nur Auszüge aus dem Teil „Nach Zimmerwald“ vor)
Vor Zimmerwald:
Rosa Luxemburg war im Gefängnis und nicht in die Vorbereitung der Internationalen Sozialistischen Konferenz (Zimmerwald) einbezogen.
Im April 1915 hatte Rosa Luxemburg „Die Krise der Sozialdemokratie“ (Von JUNIUS) verfasst; erschienen 1916. Diese Schrift enthält ihre Grundpositionen zum imperialistischen Krieg, zur SPD als Kriegspartei, zum Zusammenbruch der II. Internationale, zu den künftigen Aufgaben von revolutionären Sozialisten. (Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd.4, S. 49-164, Dietz Verlag Berlin (DDR) 1974)
Ohne jeden Zweifel: Hätte Rosa Luxemburg Gelegenheit gehabt, mit Karl Liebknecht gemeinsam einen Brief nach Zimmerwald zu richten, er wäre sicher im Sinne des Liebknechtbriefes und der Junius-Schrift ausgefallen.
Von Lenin wurde Juni/Juli 1915 eine Analyse „Der Zusammenbruch der II. Internationale“ veröffentlicht. (Lenin Werke, Bd. 21, S. 197-256, Dietz Verlag Berlin (DDR) 1960)
Beide Schriften zeigen eindeutig, dass Lenin und Luxemburg bei der Beurteilung des Zusammenbruchs der II. Internationale übereinstimmten.
Nach Zimmerwald
Gerade weil Rosa Luxemburg bei der Beurteilung von Zimmerwald von den Grundpositionen der revolutionären Linken ausging, die im „Manifest“ nicht dominierten, gerade deshalb schätzte sie die Ergebnisse von Zimmerwald gering.
Wahrscheinlich kannte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht die beiden Artikel von Lenin zu Zimmerwald: „Ein erster Schritt“ (11. Oktober 1915 veröffentlicht)
und „Die revolutionären Marxisten auf der Internationalen Sozialistischen Konferenz vom 5.-8. September 1915“ (ebenfalls am 11. Oktober veröffentlicht).
Aus „Ein erster Schritt“: „Langsam zwar schreitet in der Epoche der durch den Krieg verursachten unerhört schweren Krise die Entwicklung der internationalen sozialistischen Bewegung voran, doch immerhin bewegt sie sich unverkennbar in Richtung auf den Bruch mit dem Opportunismus und Sozialchauvinismus. Die Internationale Sozialistische Konferenz in Zimmerwald (Schweiz)… hat das deutlich gezeigt.“ (Bd. 21, S.389) Weiter: „…dass auf der ersten Internationalen Sozialistischen Konferenz die protestierenden Elemente der Minderheit (in Deutschland, Frankreich, Schweden, Norwegen) vertreten waren, die entgegen den Beschlüssen der offiziellen Parteien handeln, also faktisch auf die Spaltung hinwirken.“ (S. 389) Die Konferenz lehnte zwar mit 19 gegen 12 Stimmen den Resolutionsentwurf der revolutionären Linken ab, aber ihr Entwurf eines Manifestes wurde zusammen mit zwei anderen Entwürfen der Kommission zur Ausarbeitung eines gemeinsamen Manifests überwiesen. (S. 390) Das angenommene Manifest „zeigt klar, dass es gelungen ist, eine Reihe grundlegender Gedanken des revolutionären Marxismus durchzusetzen.“ (S. 390)
„Das angenommene Manifest bedeutet faktisch einen Schritt vorwärts zum ideologischen und praktischen Bruch mit dem Opportunismus und Sozialchauvinismus. Zugleich aber leidet dieses Manifest…an Inkonsequenz und Halbheit.“ (S. 390) Folgt bei Lenin die Analyse der Halbheiten.
„Sollte unser Zentralkomitee das an Inkonsequenz und Ängstlichkeit leidende Manifest unterschreiben? Wir glauben, ja. Unsere abweichende Meinung – die abweichende Meinung nicht nur des Zentralkomitees, sondern des gesamten linken, internationalen, revolutionär-marxistischen Teils der Konferenz – wird offen bekundet… Wir haben aus unseren Auffassungen, unseren Losungen und unserer Taktik nicht den geringsten Hehl gemacht… Daß dieses Manifest einen Schritt vorwärts macht zum wirklichen Kampf gegen den Opportunismus, zur Spaltung und zum Bruch mit dem Opportunismus, ist eine Tatsache. Es wäre Sektierertum, wollte man darauf verzichten, gemeinsam mit der Minderheit der Deutschen, Franzosen, Schweden, Norweger und Schweizer diesen Schritt vorwärts zu machen, solange wir uns die volle Freiheit und die volle Möglichkeit wahren, die Inkonsequenz zu kritisieren und mehr anzustreben.“ (S. 393-394)
Im anderen Artikel zur Konferenz erwähnt Lenin noch einen wichtigen Vorgang während ihrer Vorbereitung: „Die Ironie der Geschichte fügte es so, dass gerade Kautsky und seine Freunde, die direkt versucht hatten, Grimm die Einberufung der Konferenz aus den Händen zu nehmen, die direkt versucht hatten, die Konferenz der Linken zu sprengen (Kautskys nächste Freunde machten sogar Reisen zu diesem Zweck, was von Grimm dann auf der Konferenz enthüllt wurde), dass gerade sie die Konferenz nach links drängten.“ (S. 400)
Waren Rosa Luxemburg gegen Ende 1915 die anderen Materialien bekannt, die von der Gruppe um Lenin in Zimmerwald vorgelegt wurden? Kannte sie den von Lenin, Sinowjew, Radek, Rakowski u.a. eingebrachten Resolutionsentwurf und den Entwurf eines Manifestes? Zu den Konferenzmaterialien gehörte auch die Broschüre von Lenin und Sinowjew „Sozialismus und Krieg“; sie lag sogar in deutscher Sprache vor.
Wahrscheinlich kannte Rosa Luxemburg die oben genannten Dokumente kurz nach Abschluss der Konferenz nicht.
(Sabine Kebir hatte Rosa Luxemburgs ablehnende Haltung, die bis Ende 1915 anhielt, dokumentarisch vorgetragen.)
Anfang Dezember 1915 „hört“ Rosa Luxemburg, noch im Gefängnis, von der Vorbereitung der Reichskonferenz der Gruppe Internationale, die dann am 1. Januar 1916 in Berlin stattfand. Dort sprach Karl Liebknecht und die Leitsätze der internationalen Sozialdemokratie wurden gebilligt.
Sie schreibt: „Unsere Taktik auf dieser Konferenz müsste dahin gehen, nicht etwa die ganze Opposition unter einen Hut zu bringen, sondern umgekehrt aus diesem Brei den kleinen, festen und aktionsfähigen Kern herauszuschälen, den wir um unsere Plattform [eben jene Leitsätze, die auf der Reichskonferenz gebilligt wurden. S.R.] gruppieren können. Mit organisatorischer Zusammenfassung hingegen ist große Vorsicht geboten. Denn alle Zusammenschlüsse der „Linken“ führen nach meiner bittern langjährigen Parteierfahrung nur dazu, den paar aktionsfähigen Leuten die Hände zu binden…“ (Rosa Luxemburg, Gesammelte Briefe, Dietz Verlag Berlin (DDR) 1987, S. 93)
Offensichtlich: Die „Parteierfahrungen“ von Rosa Luxemburg und Lenin sind die gleichen.
Den Leitsätzen lag ein Entwurf zu den Junius-Thesen von Rosa Luxemburg zugrunde. In der These 3 nennt sie die Länder, „wo die Parteiführer ihren Pflichten treu geblieben sind: in Russland, Serbien und Italien.“ (Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd.4, S. 44)
Spätere Äußerungen von Rosa Luxemburg zeigen, dass sie ihr erstes Urteil über die Zimmerwalder Konferenz veränderte. Bereits im März 1916, vor der Fortsetzung von Zimmerwald in Kienthal, hielt sie für die Gruppe "Internationale" fest: „Die russische Fraktion hält sich vorbildlich.“ Ihre Empfehlung: „Wir sollen daran teilnehmen, aber unsere Position in schärfster und klarster Weise zum Ausdruck bringen…, dass die L (edebour) und H (offmann) über die Klippe springen" müssen… Die Aufgabe für unsere Delegation: anmelden, dass eine wirkliche Opposition in Deutschland besteht.“ (Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 168)
Das heißt, hier ist sie ganz auf dem nichtsektiererischen Standpunkt von Lenin.
Grundsätzlich: Rosa Luxemburg hätte den Brief von Karl Liebknecht an die Zimmerwalder Konferenz gebilligt, vielleicht noch schärfer gefasst. Jedenfalls waren ihre "Thesen" für die Gruppe "Internationale" mit Karl Liebknecht abgestimmt und die zeigen gänzliche Übereinstimmung mit den Positionen der Zimmerwalder Linken um Lenin.
In ihrem Text zur russischen Revolution, kurz vor ihrer Ermordung verfasst und fragmentarisch geblieben, heißt es eindeutig:
„In dieser Situation gebührt denn der bolschewistischen Richtung das geschichtliche Verdienst, von Anfang an diejenige Taktik proklamiert und mit eiserner Konsequenz verfolgt zu haben, die allein die Demokratie retten und die Revolution vorwärtstreiben konnte.“ (S. 338)
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In der Diskussionsgruppe 1
Siegfried Ransch
„Zu der Metapher, der Kapitalismus trage den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen, wurde von einem Tagungsteilnehmer geäußert, es könne allenfalls von einer Tendenz die Rede sein. Ich möchte hier eine Geschichte vom Herrn Keuner sprechen lassen, die in der ersten vollständigen Ausgabe aller 121 Geschichten enthalten ist. (suhrkamp taschenbuch 3846, Frankfurt am Main 2006)
„Für gewöhnlich“, sagte Herr K., „sucht ein Mörder sich mit dem Nachweis zu entschuldigen, dass er den Mord unbedingt begehn musste, wenn er weiterleben wollte. Die deutschen Kapitalisten, die immer wieder Kriege machen, welche übrigens immer wieder verloren werden, meiden die Entschuldigung, sie müssten sie machen, wie die Pest. Warum? Weil das hieße, der Kapitalismus kann nicht existieren ohne Krieg. Was die Wahrheit ist, und der Grund dafür, dass man ihn abschaffen muss.“ „Das heißt, sich das Argumentieren leicht machen“, sagte ein Hörer. „Das ist meine Absicht“, sagte Herr K.“