Konsequent sozial: Marburger Linke holt 13,8 Prozent bei der Kommunalwahl

15.03.2016
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Jan Schalauske

Bei der Wahlparty der LINKEN in Marburg herrschte am 6. März eine ausgelassene Stimmung. Zwar hatten viele Genoss/innen erwartet, dass das Bündnis Marburger Linke bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung am 6. März zulegen würde, aber mit einem solchen Ergebnis hatte fast niemand gerechnet: Mit 13,8 Prozent der Stimmen (plus 6,4 Prozent im Vergleich zu 2011) holte die Marburger Linke das beste Ergebnis einer Formation links von der SPD seit Beginn der sozialistischen Bewegung und konnte ihre Mandatszahl verdoppeln (von 4 auf 8 Mandate). Auch in anderen Städten, Orten konnte DIE LINKE zulegen, darüber freuen wir uns alle. Auch in vielen Ortsbeiräten kandidierte sie erfolgreich.

Das Wahlergebnis in der Universitätsstadt kann als ein kleineres Erdbeben bezeichnet werden. Die seit 19 Jahren amtierende älteste Koalition aus SPD und Grünen in Hessen verlor ihre Mehrheit und kann allein nicht weiter reagieren. Die SPD büßte 6 Prozent ein und erreichte 31,3 Prozent. Die Grünen schrumpften um 7,5 auf 15,3 Prozent. Damit kehrte auch wieder Normalität ein, denn die Marburger Linke hatte 2011 Federn lassen müssen, nicht zuletzt aufgrund des Fukushima-Effekts zugunsten der Grünen und eines überdurchschnittlichen SPD-Ergebnisses, begünstigt durch die damals parallele OB-Wahl.

Neben der Marburger Linken konnten auch CDU (plus 5 Prozent) und FDP (plus 2 Prozent) zulegen. Ein Teil dieser Stimmengewinne im bürgerlichen Lager resultiert aus der Tatsache, dass die AfD in der Stadt Marburg nicht angetreten ist.

Wo lagen die Hochburgen der Linken? Am meisten Zustimmung erhielt sie in den Quartieren mit einem hohen Anteil von Studierenden. In drei dieser innerstädtischen Stimmbezirke wurde die Linke stärkste Partei. Aber auch in den sogenannten sozialen Brennpunkten konnten gute Ergebnisse erreicht werden, in einigen Wahlbezirken über 20 Prozent. Dabei handelt es sich um die Wahlbezirke, in denen die Linke besonders aktiv in Erscheinung getreten ist.

Welche sind – vorbehaltlich einer sorgfältigen Wahlanalyse – die möglichen Gründe für den linken Wahlerfolg? Erstens konnte sich die Marburger Linke trotz der gesellschaftlichen Polarisierung in der Flüchtlingsfrage auf bundes- und landespolitischen Rückenwind stützen. Die klare Haltung für die Aufnahme und Unterstützung von Geflüchteten gegen Ausgrenzung und Rassismus sind von den Wähler/innen in der Universitätsstadt honoriert worden. Zum zweiten profitierte die Marburger Linke von einer wachsenden Unzufriedenheit mit der SPD-Grünen Koalition in der Stadt. Nach 19 Jahren empfanden zunehmend mehr Marburger/innen die regierenden Parteien als abgehoben.  Drittens konnte vermutlich die kommunalpolitische Arbeit der Marburger Linken, die in der vergangenen Legislaturperiode aus der Opposition heraus viele Anträge durchsetzen und damit die Lebensbedingungen der Marburger/innen verbessern konnte, viele Wähler/innen überzeugen. Der klare Fokus auf die drängenden sozialen Probleme in der Stadt (Wohnungsnot, ÖPNV) veranlasste sogar die Lokalzeitung Oberhessische Presse dazu, die Marburger Linke als „Oppositionsführerin“, welche die „politische Agenda“ der Stadt bestimme, zu bezeichnen. Fünftens ist die Marburger Linke in vielen gesellschaftlichen Bündnissen und Bewegungen, wie etwa dem „Bündnis Nein zum Krieg“, dem Bündnis „Gemeinsam für unser Klinikum“ und dem „Alternativen Runden Tisch für bezahlbaren Wohnraum“ verankert und als Partner/in anerkannt. Der OB-Wahlkampf und das erfolgreiche Abschneiden 2015 haben sechstens eine wichtige Rolle gespielt. Siebtens konnte die Linke in Marburg zahlreiche prominente Redner/innen in beiden Wahlkämpfen begrüßen: Sahra Wagenknecht, Katja Kipping, Wolfgang Gehrcke, Janine Wissler und die Eisenacher Oberbürgermeisterin der Marburger Partnerstadt Eisenach Katja Wolf sprachen auf gut besuchten Veranstaltungen.

Eine besondere Rolle im OB- wie im Kommunalwahlkampf haben zwei Großveranstaltungen mit internationalen Gästen gespielt, die von Wolfgang Gehrcke und der Bundestagsfraktion DIE LINKE initiiert und organisiert worden sind. Im OB-Wahlkampf besuchte der griechische Außenminister Nikos Kotzias, der selbst in den 1980er Jahren in Marburg studiert hatte, die Stadt und sprach beim Sommerfest der Linken zur Lage in seinem Heimatland. Im Februar folgte der ehemalige Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, dessen Besuch in Marburg alle Veranstaltungsrekorde sprengte. Über 1000 Leute waren gekommen, um seine Ausführungen zur Lage in Europa zu hören und über seine Pläne für eine alternative Bewegung zu diskutieren. DIE LINKE versuchte mit diesen beiden Veranstaltungen an die gesellschaftskritische Tradition des roten Marburgs und des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften, verbunden mit Namen wie Wolfgang Abendroth, Frank Deppe, Georg Fülberth, Dieter Boris u.a. anzuknüpfen.

Wie geht es nun weiter? Am Montag nach der Wahl verabschiedete eine Versammlung der Marburger Linken eine Erklärung, in der sie einmütig feststellte: „Der Ball liegt nun bei der SPD. Sie muss sich entscheiden, ob sie mit der Marburger Linken eine Politik des sozialen Fortschritts einleiten möchte oder sich in die Arme des bürgerlichen Lagers begeben und damit den offensichtlichen Veränderungswillen vieler Wähler/innen ignorieren möchte. Es liegt an SPD und Grünen, ob in Marburg zukünftig der Armutsbekämpfung, dem sozialen Wohnungsbau und dem Ausbau des ÖPNV eine höhere Bedeutung beigemessen wird und das Klima einer weltoffenen und toleranten Stadt erhalten bleibt oder zusammen mit CDU oder Bündnis für Marburg (BfM) ein sozial-, verkehrs-, integrations- und kulturpolitischer Rückschritt vorgenommen wird. In letzterem Falle könnte ein Kahlschlag bei sozialen und kulturellen Initiativen drohen.

Wie vor der Wahl gesagt, werden wir, wenn die SPD auf uns zukommt, Sondierungsgespräche führen. Als bloße Mehrheitsbeschafferin werden wir keineswegs fungieren. Aus unserer Sicht wäre es das Ziel solcher Gespräche auszuloten, ob SPD und Grüne für eine Politik des sozialen Fortschritts bereit sind. Das bedeutet für uns vor allem:

- Konkrete Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, wie etwa die Ausweitung der Stadtpassleistungen

- Eine Offensive im sozialen Wohnungsbau durch die Errichtung von dringend benötigten Sozialwohnungen durch die GeWoBau und Einführung einer Sozialquote für Privatinvestoren

- Ein Ausbau des ÖPNV, Reduzierung der Fahrpreise und mittelfristig Einstieg in den Nulltarif

- Zur Finanzierung dieser Vorhaben eine angemessenere Besteuerung der ansässigen Großunternehmen durch eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes

- Kommunalpolitik für einen grundsätzlichen Politikwechsel im Bund und Land, d.h. alle Möglichkeiten zu nutzen, die Rahmenbedingungen, welche lokales Handeln erschweren (etwa mangelnde Besteuerung der Superreichen, Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA und TISA), zu kritisieren und zu verändern.

In jedem Fall werden wir unseren gewachsenen Rückhalt dafür nutzen, den Druck für ein sozialeres und gerechteres Marburg zu erhöhen. In der Vergangenheit haben wir unter Beweis gestellt, dass wir auch aus der Opposition heraus unsere Stadt in Richtung sozialen und ökologischen Fortschritts verändern können.

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob SPD und Grüne auf Konstellationen hinarbeiten, die in erster Linie auf ihren Machterhalt abzielen oder ob sie mit der Marburger Linken eine Politik des sozialen Fortschritts betreiben wollen. In jedem Fall geht die Marburger Linke durch das Wahlergebnis deutlich gestärkt in diese Diskussionen.

 

Jan Schalauske / Stadtfraktion  Er hat doch auch die Fubktion des LINKEN Landesvorsitzenden. Sollten wir auch nennen.