Streit als Lebenselixier

Mit Wolfgang Gehrcke verlässt einer ihrer führenden Außenpolitiker die Linksfraktion
01.09.2017
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Aret van Riel

Ein letztes Mal klaubt Wolfgang Gehrcke seine Zettel mit Notizen am Rednerpult
des Bundestags zusammen. »Ich habe mich gerne gestritten. Sie wissen, das ist mein Lebenselixier. Vielen Dank dafür«, sagt er. Als Zusatz erklärt Gehrcke, dass er auf »eine weltweite Friedensbewegung« hoffe.
Damit endet sein Beitrag zur Debatte um Abrüstungspolitik. Nicht nur die Linksfraktion applaudiert daraufhin dem Mann, der einer ihrer Vizechefs ist. Auch Sozialdemokraten, Grüne und sogar der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), klatschen an diesem sonnigen Junitag.
Obwohl er oft andere Meinungen als sie vertritt, wird Gehrcke auch von Politikern der Mitte-links-Parteienkonkurrenz respektiert. Man kennt sich aus vielen Sitzungen im Auswärtigen Ausschuss und Plenardebatten.
Nach 16 Jahren im Parlament für die PDS bzw. die LINKE ist für den weißhaarigen Mann Schluss im Parlament. Er ist über 70 und verlässt den Bundestag aus Altersgründen. Kürzlich wurde er von der »Zeit« als »der letzte bekennende Kommunist im Bundestag« bezeichnet. Dabei wollte er in Jugendjahren zunächst ebenso wie sein Vater ein Sozialdemokrat werden. Aber in der SPD wollte man Gehrcke nach kurzer Zeit nicht mehr haben. Er wurde als 19-Jähriger ausgeschlossen, weil es für die Partei unerträglich war, dass er die Ostermarschbewegung mitgegründet hatte.
Gehrcke schloss sich daraufhin der illegalen KPD an, später war er DKP-Funktionär, zuletzt als Bezirkschef in Hamburg bis Ende der 80er Jahre.
Dann wurde er Mitglied der PDS und einer der führenden Außenpolitiker der LINKEN. Linke Politiker seiner Generation haben früher auf die Weltrevolution gehofft. Als junger Mann ist Gehrcke in Kuba gewesen und hat Fidel Castro getroffen. Seine Begeisterung für den gestorbenen Revolutionär ist ungebrochen. Auf seiner Website ist noch immer ein Schwarz-Weiß-Bild von Castro zu sehen: jung, scheinbar unsterblich, mit Mütze, dunklem Bart und dunklen Haaren. Die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si in der Linkspartei wird von Gehrckes Freund Harri Grünberg geleitet.
Auch in anderen Regionen der Welt hat Gehrcke Kontakte zu Organisationen und Parteien geknüpft, die die Worte sozialistisch oder kommunistisch im Namen tragen. Mit ihnen fühlt sich Gehrcke noch immer verbunden. Seien es die PLO, die Kommunistische Partei der Ukraine oder die Chavisten in Venezuela.
In der eigenen Partei hat sich Gehrcke immer wieder über die Außenpolitik gestritten. Denn nicht wenige LINKE sehen nur wenig fortschrittliches Potenzial in den Bewegungen. Auch über die Haltung zum sogenannten »Friedenswinter« nach der Ukraine-Krise 2014, den Gehrcke zunächst begrüßt hatte, war er in Konflikt mit anderen Politikern seiner Partei wie seinem Fraktionskollegen Stefan Liebich geraten, die in der Bewegung eine Querfront von Rechten und Linken sahen.
Womöglich lässt sich die Haltung Gehrckes im Unterschied zu einigen jüngeren Kollegen aus seiner Biografie heraus erklären. Denn er hat das Dahinschmelzen der Friedensbewegung seit den 80er Jahren erlebt. Vor 30 Jahren hatten an den Ostermärschen bundesweit noch Hunderttausende teilgenommen. Auch damals handelte es sich um eine heterogene Bewegung.
Als vor einigen Jahren die Debatte über den Nahostkonflikt und einen möglichen linken Antisemitismus hochkochte, gehörte Gehrcke, der zu den »Israelkritikern« in der LINKEN
zählt, zu den Vermittlern. Er hatte gemeinsam mit dem damaligen Fraktionschef Gregor Gysi an einem Positionspapier zu dem Thema gearbeitet. Letztlich einigte man sich auf einen Minimalkonsens. Die Unterzeichner bekannten sich zum Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1967 und verlangten die Schaffung eines palästinensischen Staates. Als Weg dorthin sollten der Siedlungsbau gestoppt und die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas in politische Gespräche einbezogen werden.
Vor zwei Jahren hat Gehrcke noch einmal nachgelegt und ein Buch mit dem Titel »Rufmord: Die Antisemitismuskampagne gegen links« veröffentlicht.
Links sein und Antisemitismus schließen sich für ihn aus. Trotz seiner Kritik an der israelischen Politik steht Gehrcke Boykottaktionen zumindest ambivalent gegenüber.
Der Boykott israelischer Waren ist laut Gehrcke zumindest »keine Aktionsform, die auf Waffen setzt, um durch wirtschaftlichen Druck politischen Druck aufzubauen«. »Ich würde aber abraten, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte solche Forderungen zu erheben«, meinte er einmal.
Während Gehrcke in anderen Ländern offenbar noch auf revolutionäre Umbrüche hofft, schlägt er in der Innenpolitik eher linkssozialdemokratische Töne an. Er will, dass große Teile der Wirtschaft in öffentliches Eigentum übergehen und meint, kleine Veränderungen hin zu einer anderen Gesellschaft zu sehen, wenn Menschen ihr Auto, die Wohnung und den Strom teilten. Komplett aus der Politik will sich Gehrcke nicht zurückziehen. Er will weiter in der Linkspartei und der Friedensbewegung aktiv sein. Man wird sicherlich in nächster Zeit noch von ihm hören.