Worauf kommt es heute an?

Zur Kundgebung auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin
14.12.2017
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Wolfgang Gehrcke

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

schon bei der Frage, wie ich Euch anspreche, merke ich die ganze Verklemmtheit der Debatte. Es verbietet sich wohl ein pauschales „Freundinnen und Freunde“ – wobei es schön wäre, wenn wir uns so verstehen würden – und ich denke, Genossinnen und Genossen ist ebenfalls nicht angemessen. Viele haben mir geschrieben und Christiane, Diether und mich ermuntert: geht hin und redet! Andere haben uns aufgefordert, bleibt weg! Umstritten zu sein, ist nicht unbedingt das Schlechteste. Schon allein die vielen Reaktionen auf meine Kritik an dem, was ich als Zensur verstehe, haben mich dazu gebracht darüber nachzudenken, warum ich, wie Ihr seht, hier bin und warum dieser Protest nicht unwichtig ist.

I.
Ich wünsche eine Linke, die eintritt für die Freiheit des Geistes und des Wortes ebenso wie für soziale Gerechtigkeit und eine endgültige Überwindung von Kriegen und Gewalt. Das sind die Ziele, warum ich mich in linken Bewegungen Zeit meines Lebens engagiert habe. Die Linksfraktion im Bundestag hat keinem einzigen Bundeswehreinsatz im Ausland zugestimmt. Das soll auch so bleiben. Kampf für den Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden. DIE LINKE ist eine Friedenspartei, sie ist die Partei für soziale Gerechtigkeit, eines ist sie ganz bestimmt nicht: Eine Zensurpartei  - obwohl es die gerade gegeben hat. Deshalb sind wir ja hier. Aber es ist schlichtweg Unsinn, dass wir angeblich hier sein sollen, um gegen die Partei DIE LINKE zu protestieren. Aber auch in der eigenen Partei, in der eigenen politischen Formation muss man immer wieder für Ziele, für Handlungen und Verhaltensweisen kämpfen, ohne die man nicht zu einer neuen Gesellschaft kommt. Dazu gehört für mich Rechtsstaatlichkeit. Rechtsstaatliches Verhalten darf auch und gerade um die eigene Partei keinen Bogen machen. Vielleicht ist das Babylon-Urteil näher am Rechtsstaat als es das Agieren des Kultursenators gewesen ist. Könnten wir alle zusammen nicht aus solchen Dingen lernen, dass Rechtsstaatlichkeit uns helfen kann, unsererseits gerechter zu handeln. Rechtsstaatlichkeit muss auch im Umgang mit Ken Jebsen gelten. Wer Vorwürfe erhebt, muss diese Anschuldigungen beweisen. Das ist bislang seriös nicht geschehen.

II.
Ihr merkt schon, links zu sein beinhaltet für mich: Ja zum Rechtsstaat. Ich möchte gern, dass das Grundgesetz zur politischen Richtschnur wird und nicht nur für Ausrede bei Sonntagsreden. Ich kenne den Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen. Franz-Josef Degenhardt, dem ich auch nach seinem Tod verbunden bin, gibt in einem seiner Texte einen Dialog wider: „Sie sprechen hier immer vom Grundgesetz, sagen Sie, sind Sie eigentlich Kommunist?“ Was Degenhardt damals schon begriffen hat, könnten wir heute in neuer Art und Weise begreifen. Denn zum Rechtsstaat gehört unauflöslich der Sozialstaat und der Friedensstaat. Um unser Land zu verbessern, müssen die Eigentumsverhältnisse verändert werden. In diesem Sinn könnte von Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes Gebrauch gemacht werden, um privates Eigentum in gesellschaftliches Eigentum zu überführen. Der Artikel 26 des Grundgesetzes stellt die Beteiligung an und die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe. Der Gesetzgeber gibt sogar für Kriegstreiber eine Mindeststrafe von nicht unter 10 Jahren vor. Und der Artikel 1 des Grundgesetzes spricht von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen und fordert von der Staatlichkeit, sie zu achten und zu schützen.

Ich hoffe, Sie verstehen nun, warum Franz-Josef Degenhardt in seinem Bezug auf das Grundgesetz die Frage gekoppelt hat: Sind sie eigentlich Kommunist?

In Deutschland gibt es Antisemitismus und er hat leider immer noch eine Basis. Antisemitismus und Rassismus zu bekämpfen und zu überwinden, fordert den Widerspruch zu den Institutionen, die den Massenmord an Jüdinnen und Juden zu verantworten haben und denjenigen, die die ideologische Rechtfertigung dafür lieferten. Der Schoß, der das gebar, ist immer noch fruchtbar. Reden wir also über die Verantwortung der Deutschen Bank für die Unterstützung des Hitlerregimes und denken wir darüber nach, wer heute mit Waffenexporten Menschen umbringt und Milliarden Geschäfte macht. Hat nicht auch unsere zu wenig bearbeitete Vergangenheit Anteil daran, dass sich heute wieder Rechte in unserem Land und Europa breitmachen?

Das Grundgesetz wurzelt im Antifaschismus. Davon lese ich wenig in Artikeln dieser Tage, die sich zum Beispiel gegen meinen Bundestagskollegen Diether Dehm richten. Vieles in derartigen Artikeln erinnert mich an die Hetze der BILD-Zeitung gegen Rudi Dutschke. Die Frankfurter Rundschau schrieb nach dem Attentat auf Rudi Dutschke mit Blick auf die BILD-Zeitung: Bild hat mitgeschossen. Heute müsste es zu den rechten Verwerfungen in der Gesellschaft heißen: Die Frankfurter Rundschau hat mitgehetzt. Übrigens auch die Berliner Zeitung, DIE ZEIT und andere. Sie konstruieren einen „linken Antisemitismus“, um politische Auseinandersetzungen zur Trump-Entscheidung, Jerusalem zur Hauptstadt Israels zu erklären, im Keim zu ersticken. Jeder, der für die Rechte auch der Palästinenser eintritt, so selbstverständlich wie auch für das Recht Israels, dem soll zumindest ein schlechtes Gewissen eingeredet werden. Insofern geht es nicht in erster Linie um Ken Jebsen oder die Sendungen in KenFM, sondern es geht um die Diskreditierung einer Politik der Verständigung zwischen Israel und Palästina, zwischen Jüdinnen und Juden und Palästinensern in Israel selbst. Wir sind die Freunde Israels, der Menschen in Israel ebenso wie wir die Freundinnen und Freunde der Palästinenserinnen und Palästinenser sind. Israel und Palästina sind auch in der Not aneinander gebunden, und keiner kann allein auf der Grundlage von Macht höher stehen als der andere.

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

von Bert Brecht können wir lernen, dass auch der Zorn die Gesichter verzerrt. Ich rufe Euch auf zur politischen Trennschärfe, zu der notwendigen Konsequenz im eigenen Denken und Handeln. Wir werden nicht, weil andere uns angreifen, unsererseits die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, zwischen Demokratie und autoritärem Verhalten, zwischen Faschismus und Antifaschismus verwischen. Es gibt in unserem Land nicht zu viele, die für Aufklärung kämpfen, sondern zu wenige. Und deswegen werbe ich um Euer aller Engagement:
Wir müssen öffentlich sichtbarer werden und mehr Menschen zum Kampf um die eigenen Rechte gegen rechts ermutigen.