Die USA wollen ihren Hinterhof zurück

Nach Brasilien soll jetzt Venezuela fallen, dann sind Nicaragua, Bolivien und Kuba dran
04.02.2019
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Wolfgang Gehrcke & Christiane Reymann

Der Lateinamerikanische Kontinent war lange der Hinterhof der USA, mit Militärstiefeln getreten, unterworfen, von der United Company ausgeplündert bis aufs Blut. Nach einem so ermutigenden Ende des letzten und Beginn des jetzigen Jahrtausends mit Demokratisierung bis hin zu sozialer Befreiung und politischer Emanzipation, setzten die USA mit aller Macht und aller Gewalt ein Roll-Back in Gang. Und wenn demnächst die Regierung der bolivarischen Republik Venezuela gestürzt sei sollte, sind als Nächste Nicaragua, Bolivien – und endlich das widerständige Kuba dran. In ganz Latein- und Mittelamerika und der Karibik will Washington letztlich das – militärisch und über Vasallenregierungen abgesicherte - Sagen haben über Rohstoffe und Verkehrswege. Die Reichtümer sind mancherorts groß, andernorts wie in Brasilien und aktuell Venezuela gigantisch.

Venezuela ist das Land mit den geschätzten größten Erdölvorkommen der Welt. Es ist, wie die FAZ einmal schrieb, das Saudi-Arabien der Zukunft, dabei viel näher an den USA. Dieses schwarze Gold wollen sich die US-basierten Konzerne und Banken aneignen. Dieses Ziel verfolgen sie umso verbitterter, als der Wahlsieg Hugo Chavez vor 20 Jahren ihren Besitzansprüchen vorerst einen Riegel vorgeschoben hatte.

Jetzt meinen eine ganze Menge sogenannter Beobachter: Chavez ging ja noch, eine charismatische Persönlichkeit, aber der Busfahrer Maduro, der kann es einfach nicht, zu plump, bisschen korrupt...Das kommt, Dünkel pur, abwertend von oben herab. Doch nicht nur eine Köchin, auch ein Busfahrer kann einen Staat regieren. Dieser Posten ist nicht Kindern aus reichem Haus, Absolventen der Eliteunis und Günstlingen der  Banken, des militärisch-industriellen und/oder agrar-pharmazeutischen Komplexes vorbehalten. Doch selbst wenn Maduro der am meisten begnadete Redner und weiseste Staatenlenker wäre – die USA würden alles daransetzen, ihn zu stürzen. Das Motiv ihres Putsches ist ja nicht eine bessere Regierung, sondern Aneignung des Reichtums Venezuelas. Dafür brauchen sie eine willfährige Regierung, die darf dann ruhig inkompetent und korrupt sein.

Für dieses Ziel, sich fremden Reichtum anzueignen, setzt Washington in Lateinamerika (wie auf der ganzen Welt) verschiedene Mittel ein: Unruhe schüren und Chaos verbreiten, einen Bürgerkrieg initiieren, relativ neu hinzugekommen sind Umstürze mit Hilfe staatlicher Institutionen. In Brasilien waren es Gerichte, die zuerst 2016 Präsidentin Dilma Roussef als Staatspräsidentin zu suspendierten, um sie dann ihres Amtes zu entheben 2018 den überaus populären ehemaligen Präsidenten und zu jener Zeit aktuellen Präsidentschaftskandidaten Lula da Silva zu einer 12-jährigen Haftstrafe wegen angeblicher Korruption verurteilten. So kam der Faschist Bolsonaro an die Macht. In Venezuela berufen sich jetzt die Putschisten auf die Verfassung. Auch die Bundesregierung begründet ihre Unterstützung Guaidós nicht zuletzt mit dem Artikel 233 der Verfassung Venezuelas. Doch das ist eine Lüge. Nachdem in der Verfassung die Pflichten des Präsidenten, der Präsidentin aufgeführt sind, befasst sich der Artikel 233 mit möglichen Gründen, die dem entgegenstehen können. Er lautet:

Als zwingende Hinderungsgründe bezüglich der Amtsausübung des Präsidenten oder der Präsidentin der Republik gelten: sein oder ihr Tod, sein oder ihr Rücktritt sowie seine oder ihre durch Urteil des Obersten Gerichtshofes verfügte Absetzung; seine oder ihre durch Attest einer vom Obersten Gerichtshofs eingesetzten und von der Nationalversammlung bestätigten medizinischen Kommission bescheinigte dauernde körperliche oder geistige Handlungsunfähigkeit, die Nichtwahrnehmung des Amtes, die von der Nationalversammlung als solche festgestellt wird, sowie die Amtsenthebung durch Volksabstimmung.

Ergibt sich vor der Amtseinführung ein zwingender Hinderungsgrund bezüglich der Person des gewählten Präsidenten oder der gewählten Präsidentin, folgen neue, allgemeine, direkte und geheime Wahlen innerhalb der nächsten dreißig Tage.“ Bis dahin „nimmt der Präsident oder die Präsidentin der Nationalversammlung die Präsidentschaft der Republik wahr.“

Nichts davon trifft auf den gewählten Präsidenten Maduro zu. Auch ein „zwingender Hintergrundgrund bezüglich seiner Person“ wird von niemanden geltend gemacht. Er ist also rechtmäßig im Amt und Guaidó ist ein Putschist. Der hat sich selbst zum Präsidenten ausgerufen und sich selbst vereidigt. Dieses Schauspiel könnte man als absurde Karnevaleske belächeln – wenn sie nicht so ernst wäre. Dass der Putsch über einen langen Zeitraum von den USA unter Einbeziehung der Regierungen von Brasilien und Kolumbien vorbereitet wurde, ist inzwischen bekannt (etwa durch die zahlreichen Analyse von Frederico Füllgraf auf den NachDenkSeiten). Immer deutlicher wird auch, dass Guaidó nur nach außen ein bislang unbekannter Parlamentarier der rechten Splitterpartei „Volkswillen“ (übrigens: Mitglied der Sozialistischen Internationale und somit Schwesterpartei der SPD) ist, tatsächlich aber „Ein Staatschef aus dem Regime-Change-Labour“, wie es der Titel des Artikels von Dan Cohen und Max Blumenthal in den Nachdenkseiten auf den Begriff bringt. (https://www.nachdenkseiten.de/?p=49003).

Bleiben als ebenso verbreitete wie verbogene Beweggründe, einen illegalen Putsch zu unterstützen:

- Die Wahl Maduros im Mai 2018 sei nicht rechtens gewesen. In Vorbereitung dieser Wahlen mag die Regierung in der Vorderhand gewesen sein. Doch schon damals spitzte die Opposition die Auseinandersetzung zu. Sie wollte die Wahlen verhindern und hat endlich zum Boykott aufgerufen. Die Wahl selbst aber fand nach dem gleichen Prozedere, in denselben Wahllokalen, nach denselben Verfahren der Stimmabgabe und Stimmauszählung statt wie die vorangegangenen Präsidentschaftswahlen der Bolivarischen Republik. Noch zur Wahl von 2012, als Hugo Chavez zum letzten Mal wiedergewählt wurde, hatte Jimmy Carter nach den Recherchen seines Instituts, das 90 Wahlen, verteilt über die ganze Welt, beobachtet hatte, geschrieben: „Im Vergleich dazu sind die Wahlen in den USA gekennzeichnet von Korruption und Beeinflussung durch die Finanzwirtschaft.“

- Kolportiert wird: Bei der Präsidentschaftswahl sei Maduro der einzige Kandidat gewesen. Heilige Einfalt. Überall ist leicht nachzulesen, dass vier Männer kandidiert hatten, wobei der mit nur 0,4 Prozent der Stimmen meistens nicht genannt wird, aber Falcón, der 21 % der Stimmen auf sich zog, Bertucci 11 % und 68 Prozent für Maduro. Aber die Wahlbeteiligung sei zu niedrig gewesen, heißt es dann. Nur 46 Prozent der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben, deutlich weniger als bei den vorangegangenen Präsidentschaftswahlen und wohl zum Teil dem Boykottaufruf geschuldet. Doch wenn diese Wahlbeteiligung und das dabei erzielte Ergebnis Maduros die Legitimationsbasis für einen Putsch lieferten, dann hätten die letzten Präsidenten der USA allesamt durch einen Regime-Change von außen weggefegt werden müssen – unter Zustimmung und mit Hilfe der Bundesregierung und der EU.

- Die Stimmungsmache für den Putsch ist unerträglich. Da behält die Bank of England Gold im Wert von 550 Millionen US-Dollar ein, das Venezuela gehört; da steckt sich die Regierung in Washington sieben Milliarden Dollar in die eigene Tasche (11 Milliarden sollen noch folgen), die der venezolanische staatliche Erdölkonzern PDVSA in den USA über sein Tochterunternehmen Citgo erwirtschaftet hat, um „eine weitere Unterschlagung“ venezolanischen Vermögens „durch Maduro“ zu verhindern (André Scheer und Modaira Rubio, USA ölen Putschisten, in: junge Welt v. 30.01.2019) – und alle finden diesen Raubzug, vergleichbar höchstens noch mit dem Raub des Inka-Goldes durch die Spanische Krone, „legitim“. Oder zur (nicht-) Reaktion Maduros auf das Ultimatum der EU zu Neuwahlen titelt spiegel-online (03.02.1029): „Die Uhr läuft ab – und Maduro provoziert die EU-Staaten“. War nicht vielleicht das Ultimatum provozierend? Hinzu kommt die Doppelbödigkeit bundesdeutscher Staatspolitik, die etwa Jan Korte, LINKEN-MdB offenlegt, wenn er in der aktuellen Stunde des Bundestags zu Venezuela am 30.01.2019 fragt: „Gibt es eigentlich von ihnen in der nächsten Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zum Thema ‚Demokratie in Saudi-Arabien‘? Dort gibt es gar keine Wahlen. Welchen Alternativpräsidenten unterstützen Sie eigentlich in Ägypten oder der Türkei?“

Präsident Trump schließt militärische US-Gewalt in Venezuela nicht aus. Ebenfalls nicht ausgeschlossen ist ein Bürgerkrieg – die Bürgerkriege des letzten Jahrzehnts waren und sind fast alle Stellvertreterkriege. Für die Bevölkerung von Venezuela geht es dabei um das Recht auf Selbstbestimmung und aktuell um Ihr Recht auf Leben. In dieser Situation hat die Bundesregierung das, wenn es eine solche Steigerung gäbe, das Allerfalscheste getan, was sie hätte tun können. Sie tritt die Rechte des Volkes von Venezuela mit den Füßen, indem sie sich mit der Speerspitze der antidemokratischen und gewaltsamen Regime-Changes, der US-Administration, gemein macht. Stattdessen hätte sie folgende Handlungsmöglichkeiten gehabt, die sie immer noch ergreifen kann:

Sie muss

- ihre Anerkennung Guaidós zurücknehmen, nur dann kann sie überhaupt an einem Dialogprozess teilnehmen und ihn vielleicht befördern, wie ihn Bolivien und Mexiko vermitteln wollen;

- von den USA verlangen, kein Militär einzusetzen und keine militärische Auseinandersetzung zu provozieren oder zu unterstützen;

- unterstreichen: Kein Raub von Vermögen und Werten, die dem Staat Venezuela gehören. Darüber darf auch kein „Interimspräsident“, sondern nur die verfassungsmäßig Verantwortlichen bestimmen;

- darauf dringen, dass die von den USA zugesagte humanitäre Hilfe für Venezuela nicht, wie es jetzt vorgesehen ist, an Guaidó geliefert und von ihm verteilt wird, sondern über humanitäre Organisationen. Wird die Hilfe ohne Zustimmung der Maduro-Regierung von ausländischen Soldaten über Kolumbien nach Venezuela gebracht, wäre das eine Grenzverletzung, die eine militärischen Reaktion der Regierung provozierte.

Es geht um die nationale Souveränität und Selbstbestimmung Venezuelas – und zugleich geht es schon um viel mehr. In der von ihr selbst als „westliche Hemisphäre“ bezeichneten Teil der Welt will die US-Regierung den lateinamerikanischen Kontinent, Mittelamerika und die Karibik wieder zu ihrem Hinterhof machen. Ihre nächsten Etappen haben sie schon markiert: Es sollen Nicaragua, Bolivien sein – und dann endlich das widerständige Kuba. Sich dagegen in Deutschland aufzulehnen, ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit, der Solidarität - und der politischen Klugheit. Denn auf Unterwerfung und Knechtschaft folgt nicht Frieden, sondern Krieg.

Der ist in Teilen der Welt ist Krieg schon der Normalzustand und global wird der Frieden immer zerbrechlicher. Das zeigt sich in der immer rascherer Folge von Konflikten– so wie aktuell in Venezuela, am INF-Vertrag, dem Krieg im Jemen, Israels vermehrten Luftangriffen auf Syrien, dem Bündnis von Taliban und USA in Afghanistan oder dem Dauerkonflikt in der Ukraine etc....plus der Aufrüstung allerorten. Solange Völkerrecht und Dialog als Mittel der Konfliktlösung nicht international akzeptiert sind, kann jeder einzelne dieser Konflikte ganz schnell eskalieren und außer Kontrolle geraten.