Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

08.09.2009
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Frau Merkel warnt vor der Wahl der Linkspartei. Solange diese sich nicht mit ihrer eigenen Geschichte in der DDR auseinandersetze, dürfe die LINKE keine Verantwortung bekommen. Wolfgang Gehrcke fragt, wie sich denn Frau Merkel mit ihrer Geschichte in der DDR auseinandergesetzt hat.


DIE LINKE. besteht zu 90 Prozent aus SED-Kadern! Diese Behauptung fehlt selten im antikommunistischen Repertoire jener, die sich mit der Politik der LINKEN nicht inhaltlich, sachlich auseinandersetzen können oder wollen. „SED-Kader“ – ein heikles Thema für die Linke? Mit Sinn und Unsinn dieser Polemik setze ich mich hier gern auseinander: 

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen heißt es in Aschenputtel. Diese Sortiermethode, bei der die Schlechten als Taubenfutter entsorgt werden, haben sich offensichtlich konservative Politikerinnen und Politiker, vermeintliche Bürgerrechtler, Gauck und Birthler, BILD und Spiegel zu Eigen gemacht als Anleitung, wie im neuen Deutschland mit SED-Mitgliedern umgegangen werden soll. Ex-Bundesaußenminister Kinkel, FDP, hat dieses Verfahren schon zur deutschen Einigung auf den Begriff gebracht, als er beispielsweise zum diplomatischen Dienst sagte, er übernehme Botschaften und Missionen der DDR nur „besenrein und personalfrei“. Die menschlichen und sozialen Verluste und der Schaden für die Demokratie waren unermesslich. Was den Osten angeht, ging es um einen kompletten Elitenwechsel. Das ist der Hintergrund, wenn heute über Stasi im Öffentlichen Dienst oder über SED-Kader in den Parlamenten palavert wird. 

Ich könnte das Absurde noch absurder machen. Dazu zwei Beispiele: Im Deutschen Bundestag rief mir der CDU-Abgeordnete Friedrich Merz bei einer Debatte zu: „Stalinist“. Er erntete allerdings einen Gegenzwischenruf aus den Reihen der Grünen vom Kollegen Lippelt: „Gehrcke hat mehr über und gegen den Stalinismus geschrieben, als Sie gelesen haben“. Recht hatte mein grüner Kollege. Ein weiteres Beispiel: Als DKP-Funktionär habe ich oft die DDR besucht, als Hamburger zumeist die Nord- und Küstenbezirke. Zum obligatorischen Programm gehörten immer auch Gespräche mit den Block-Parteien und der FDJ. Angela Merkel war zu dieser Zeit FDJ-Sekretärin, ich glaube: ehrenamtlich, für Agitation und Propaganda. Ich weiß nicht, ob ich sie damals getroffen habe, ich glaube nicht, aber es hätte sein können. Seit Anfang der 80er Jahre versuchte ich, DKP und SED zu überzeugen, ihre Politik und Strategie zu verändern, mehr Demokratie zu wagen. Ich kenne keinen Aufsatz von Angela Merkel, in dem sie als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda Ähnliches unternommen hat oder in dem sie sich rückblickend kritisch mit ihrer eigenen Rolle auseinandersetzt. Das werfe ich ihr nicht vor, ich werfe ihr aber vor, andere Menschen, vorwiegend SED-Mitglieder, die sich der PDS und später der LINKEN angeschlossen haben, zu diffamieren und auszugrenzen. Der eigentliche Vorwurf gegen diese Genossinnen und Genossen ist nicht so sehr, dass sie in der SED waren, sondern dass sie nicht in die Weißwaschanlagen von SPD und Grünen oder auch der CDU gingen, sondern sich bei PDS und der LINKEN engagieren. 

Die SED hatte 2,3 Millionen Mitglieder, in der Tat eine Staats-, Karriere- und Verwaltungspartei. Davon sind keine zehn Prozent in die PDS gegangen. Viele wollten keiner Partei mehr angehören, einige sind in der SPD, aber auch die CDU hat sicherlich nicht nur die einstige FDJ-Funktionärin Angela Merkel abbekommen. Mich würde es freuen, wenn Die LINKE mehr engagierte Mitglieder hätte, die früher Mitglied der SED waren. Gemeinsam kann man seine individuelle und politische Geschichte der eigenen Bewegung besser bearbeiten. 

Jene SED-Mitglieder, die in der PDS verblieben sind, haben sich jedenfalls mit ihrer Vergangenheit, auch mit ihrem Versagen, auseinandergesetzt und Konsequenzen gezogen. Das kann man nachprüfen. Es wäre wünschenswert, wenn in vielfacher Art und Weise in Ost und West Menschen ihre politische Biografie und die Geschichte ihrer (ehemaligen) Organisationen in die gemeinsamen Debatten um unsere Geschichte einbringen würden. In der LINKEN nimmt die Anzahl der Mitglieder aus dem Westen dynamisch zu, während die Anzahl der Mitglieder im Osten stagniert. Das finde ich schade. Die LINKE sollte eine Partei sein oder werden, die in einem offenen, demokratischen Umgang die Einheit, die auf der gesamtpolitischen Ebene bislang schief gegangen ist, in ihrer Partei herstellt. Dazu gehört nicht zuletzt, sich für die jeweils anderen, ihre Erfahrungen und Geschichte zu interessieren. Das ist heute kaum der Fall und nimmt uns viel an möglicher Erkenntnis und Ausstrahlung.

 

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