Lasst uns Fragen stellen, die Handeln ermöglichen

05.10.2009
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Aufruf zur Diskussion über das Wahlergebnis und seine Folgen
Ich bedanke mich sehr für die Unterstützung, die die LINKE und auch ich persönlich im Wahlkampf erfahren haben. Das Ergebnis ist überwältigend. Jetzt wünsche ich mir, dass wir genauso engagiert darüber diskutieren, was daraus folgt. Ich habe zurzeit mehr Fragen als Antworten. Lasst uns Fragen stellen und Analysen erarbeiten, die Handeln ermöglichen! Dafür soll Ça ira nützlich sein. Hier können wir Diskussionen öffentlich machen und moderieren. 

Mit diesen Wahlen ist die politische Szene der Republik in Bewegung geraten, namentlich durch das gute Abschneiden der LINKEN, den Absturz der SPD und die Zugewinne der FDP.


In der Summe haben zwar CDU, CSU und FDP an Zweitstimmen leicht verloren, aber das bürgerliche Lager hat jetzt die parlamentarische Mehrheit, es stellt die Regierung. Hat es auch die Macht? Hat es die Fähigkeit, seine Politik in der Gesellschaft durchzusetzen? Potenziell größer geworden ist die politische Opposition gegen Marktradikalismus und soziale Kälte; möglich – nicht sicher - ist, dass die Gewerkschaften unter Schwarz-Gelb eine mehr kämpferische Politik ansteuern, dass sie sich auch aus der Umklammerung durch die SPD etwas lösen. 

Die SPD, noch in Schockstarre, verteilt die verbliebenen Posten unter den verbliebenen bekannten Personen neu. Einen neuen Kurs steuern Steinmeier, Nahles, Gabriel, Wowereit nicht, sie sind auch nicht Ausdruck radikaler Selbstkritik, aber auch hier gilt: Ausgang offen. 

Rot, Rot und Grün sind jetzt in der Opposition, aber bilden sie deshalb schon eine rot-rot-grüne Option? Im Unterschied zu FDP und Konservativen, die sich als System stabilisierendes „bürgerliches Lager“ verstehen, verbindet SPD, Grüne und LINKE kein gemeines - systemkritisches oder gar System überwindendes - Bewusstsein, sie definieren sich nicht als zu einem gemeinsamen „Lager“ gehörend. Im Gegenteil. Viele aus SPD und Grünen wollen mit der LINKEN kooperieren, um sie zu „entzaubern“ und möglichst rasch überflüssig zu machen. Beide Parteien erheben zurzeit den Anspruch, die führende Kraft der Opposition zu sein. Die Phase der „führenden Rolle…“ hat die LINKE hinter sich, wir haben aber durchaus den Ehrgeiz, zum Magnetfeld für sozialistische Ideen zu werden. 

Würde jetzt schon die rot-rot-grüne Option eine Dynamik entfalten? Das meinen einige politisch Aktive aus Gewerkschaften, der globalisierungskritischen Bewegung und den Sozialforen und sie greifen auf die Erfurter Erklärung zurück. Persönlichkeiten aus diesen Bewegungen hatten sich im Januar 1997 an PDS, SPD und Grüne gewandt mit der dringenden Aufforderung, Möglichkeiten der Zusammenarbeit für eine andere Politik zu suchen. Die Erfurter Erklärung ging dabei weit über eine Addition potenzieller Wählerstimmen hinaus, sie rief dazu auf, aus der Zuschauerdemokratie herauszutreten, die Sozialpflicht des Eigentums einzulösen und Abrüstung zu befördern. Dieser Aufbruch in eine andere Politik ist in Rot-Grün stecken geblieben und erstickt. Kann er wiederbelebt werden? Oder haben die negativen Erfahrungen mit rot-grüner Bundesregierung für das nächste Jahrzehnt das Vertrauen zerstört, man könne mit einem Regierungswechsel auch einen Politikwechsel herbeiführen? 

Die LINKE wäre schlecht beraten, wenn sie voller Angst die Umgruppierung nur beobachten würde. Wir wollen Motor der Zusammenarbeit in Fragen sein, in denen Grüne, SPD und LINKE Berührungspunkte haben. Dazu zählen bereits jetzt gesetzlicher Mindestlohn, atomwaffenfreies Deutschland, keine längeren Laufzeiten für AKWs, Vermögens- und Börsenumsatzsteuer. Aus ersten gemeinsamen Initiativen kann dann mehr werden, nicht, indem wir unsere Ansprüche herunterschrauben, nicht, indem wir uns anpassen. Je klarer die LINKE ihr Profil als sozialistische Kraft herausarbeitet und sich in diesem Sinn auch von SPD und Grünen abgrenzt, desto flexibler kann sie in der konkreten Politik auf sie zugehen. 

Welchen Stellenwert kann die parlamentarische Arbeit für gesellschaftliche Veränderungen haben? Wir wollen in den nächsten vier Jahren auch parlamentarische Mehrheiten verändern, zentral ist jedoch für die LINKE gesellschaftliche Hegemonie, die kann zunächst in einigen Fragen – soziale Gerechtigkeit, Abrüstung, Demokratie – erreicht werden. Der Weg zwischen Verweigerung und Anpassung ist schmal – und gefahrvoll wie der zwischen Skylla und Charybdis. An beiden Klippen könnte die Glaubwürdigkeit und politische Wirksamkeit der LINKEN zerschellen. Nachdenken lohnt sich.

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