Rede vom 05.03.2009; Thema: Nach dem Krieg darf nicht wieder vor dem Krieg sein

05.03.2009
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Nach dem Krieg darf nicht wieder vor dem Krieg sein
208. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 5. März 2009
(Auszug aus dem Protokoll)
TOP 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Den Prozess von Annapolis durch eigenständige Initiativen unterstützen
(Drucksachen 16/9483, 16/10391)


(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin; herzlichen Dank auch, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Das ist die erste Debatte, die wir nach dem Gaza-Krieg im Plenum des Bundestages über dieses Thema führen. Es ist mir sehr wichtig, dass wir darüber reden. Noch wichtiger ist, dass wir darüber nachdenken.

Lieber Kollege Weisskirchen, ich hatte streckenweise den Eindruck, dass Sie eine Für-Rede zu unserem Antrag gehalten haben. Ich will mich gar nicht dagegen verwahren. Ich würde mich freuen, wenn das der Fall wäre. Das spräche dafür, dass Nachdenken über eine missliche Situation, über Schwierigkeiten zu neuen Erkenntnissen führt.

Sie haben über die Chancen gesprochen. Das sehe ich ähnlich; da haben wir gar nicht viele Differenzen. Ich will über meine Furcht reden; das Thema haben Sie ebenfalls angesprochen. Meine Furcht ist: Wenn es nicht zu einer politischen Wende kommt, wenn es nicht zu Vernunft und Einsicht kommt, dann trägt dieser Krieg in Gaza bereits den Keim neuer Kriege in sich.

(Beifall bei der LINKEN)

Dem muss man begegnen. Man muss versuchen, eine andere politische Richtung durchzusetzen. Im Moment muss man sehr viel Kraft darauf konzentrieren, denke ich, dass aus der Waffenruhe ein Waffenstillstand wird.

Der Krieg in Gaza war inhuman und völkerrechtswidrig; darüber kann es keine Differenzen geben. Mich stößt das öffentliche Getöse von allen Seiten darüber, wer den Krieg gewonnen hat, nur ab. Dieser Krieg hat keine Gewinner; dieser Krieg hat nur Verlierer.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Über tausend Menschen haben ihr Leben verloren, Tausende ihre Gesundheit. Die Infrastruktur ist zerstört. Es mangelt an allem. Verloren hat das politische und moralische Ansehen Israels. Verloren hat das Ansehen des Palästinenserpräsidenten Abbas. Verloren hat das Ansehen der UNO. Die Missachtung der Appelle des Generalsekretärs ebenso wie der Resolution 1860 des Weltsicherheitsrats hat der Welt erneut die Hilflosigkeit der UNO vor Augen geführt. Wir brauchen aber keine hilflose
UNO, sondern wir brauchen eine UNO, die wirklich stark agieren und solche Konflikte zu Ende bringen kann; das ist mir sehr wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Vordringlich ist aus meiner Sicht jetzt, dass Israel die Zugänge zum Gazastreifen öffnet; sonst bleiben die Ergebnisse der Geberkonferenz wirkungslos. Vordringlich ist, dass es zu einer palästinensischen Einheitsregierung kommt, die handlungsfähig ist. Aus meiner Sicht ist weiter vordringlich, ernsthaft über einen Gefangenenaustausch zu reden. Man muss begreifen, wie bedeutsam die Freilassung des israelischen Soldaten Schalit für Israel ist. Das muss man einfach emotional verstehen. Man muss auch verstehen, wie wichtig es wäre, dass solche Palästinenser wie Marwan Barghuthi endlich das Gefängnis verlassen könnten. Vordringlich ist – ich bitte den Bundestag hier um ein klares Signal –: Der israelische Siedlungsbau in den besetzten Gebieten muss sofort gestoppt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das nicht passiert, werden die Türen nicht aufgemacht.

Ich denke, dass die Hamas in den Friedensprozess einbezogen werden sollte. Darüber gibt es hier im Hause – bis auf die CDU/CSU – eigentlich keine Meinungsverschiedenheiten mehr. Das heißt aber auch: Man muss der Hamas klar und deutlich sagen: Mit Gewalt wird ein eigenständiger palästinensi scher Staat nicht zu erreichen sein. Wir müssen – das ist die Politik der Linken – kategorisch auf Gewaltverzicht setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Krieg in Gaza hat innenpolitische Fronten aufgerissen. Ich will zu drei Dingen ganz kurz etwas sagen. Ich bitte meine Freunde in der Linken, zu verstehen, dass angesichts der deutschen Geschichte Aufforderungen zum Boykott israelischer Waren sich verbieten, auch als Reaktion auf das Vorgehen der israelischen Politik; das muss man einfach begreifen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Ich bitte aber auch, zu begreifen, dass wir nicht akzeptieren können, dass jede Kritik an der Politik Israels in die Schublade „Antisemitismus“ gepackt wird. Auch was ich persönlich mir dazu habe anhören müssen, erreicht eine Grenze. Ich sage ferner, dass die einseitige Positionierung der Bundesregierung, namentlich der Bundeskanzlerin, nicht hilfreich war.

(Beifall bei der LINKEN)

Notwendig ist jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, massiv auf die Zwei-Staaten-Lösung zu setzen und massiv Druck zu entwickeln.

Wir haben eine rechte Regierung in Israel. Ich persönlich baue nicht auf diese Regierung. Mein Appell geht an das israelische Friedenslager, wieder zu sich zu finden und in Israel so viel Einfluss auszuüben, dass auch das Verhältnis zur arabischen Bevölkerung in Israel ein besseres wird.

Wir brauchen eine politische Kurswende. Daran muss Deutschland aktiv mitwirken. Das heißt auch, dass man Freunden klar sagt, was geht und was nicht geht. Der Deutsche Bundestag muss den israelischen Freunden klipp und klar sagen, dass keine weiteren Siedlungen illegal im Westjordanland gebaut werden dürfen. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)