Rede vom 26.06.2008; Thema: Wiederaufbauprozess im Irak

26.06.2008
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Ohne Abzug der US-Truppen wird es keinen Wiederaufbau geben
TOP: 15
15.) Beratung Antrag FDP
Mehr deutsche und internationale Unterstützung für den Wiederaufbauprozess im Irak
- Drs 16/9605 -
172. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 26. Juni 2008


Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege Wolfgang Gehrcke.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann seriöserweise über die Lage im Irak nicht diskutieren, ohne tatsächlich einen Blick zurückzuwerfen, und zwar nicht deswegen, weil man sich beim Rückwärtsgewandten aufhalten sollte, sondern weil die Vergangenheit eigentlich die Gegenwart im Irak ist. Um diese Tatsache kann man nicht drum herumreden. Wenn man zurückblickt, muss man ganz nüchtern feststellen: Der Krieg gegen den Irak war wohl die schlimmste Fehlentscheidung des US-Präsidenten Bush.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will hinzufügen: Es war ein völkerrechtswidriges Verbrechen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das muss im Bundestag einmal ausgesprochen werden, und das, Kollegin Hoff, muss man einmal in einen Antrag hineinschreiben.

Die Folgen erlebt die Bevölkerung im Irak heute. 100 000 Menschen sind bislang während des Krieges oder in der Folgezeit gestorben. Es gibt 4 Millionen Flüchtlinge. Die Vernichtung von Kultur und Kulturgütern wie Jahrtausende alte Städte und Raub von Kulturgütern sind Folgen des Krieges. Das ist die Bilanz.

Am meisten erschreckt hat mich aber eine Äußerung von Bush und Condoleezza Rice, sie hätten im Irak das Gesicht des neuen Nahen Ostens gesehen.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Gott bewahre uns davor!)

Wenn man in das Gesicht des heutigen Irak schaut, dann sieht man Gewalt, Tod, Anarchie und Widersprüche. Wir müssen auch hier klarmachen: Das darf nicht das Gesicht des neuen Nahen Ostens werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen zumindest nicht dazu beitragen.

Man muss sich auch noch einmal in Erinnerung rufen, wie unverschämt die USA die Weltöffentlichkeit belogen haben. Ich habe die Bilder von Colin Powell vor dem Weltsicherheitsrat noch vor Augen. Eine Weltmacht, die die Welt in dieser dreisten Art und Weise belügt, hat ihre Rolle als Weltmacht verspielt.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wenn ich mich richtig an Ihre Vergangenheit erinnere, haben Sie als DKP-Funktionär den Schießbefehl verteidigt!)

Auch das muss man einmal klar sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man ernsthaft über einen neuen Ansatz diskutiert, dann muss man auch ein paar Worte zur Rolle Deutschlands sagen. Ich finde, es ist alles in allem eine beschämende Rolle. Wenn es nach der heutigen Bundeskanzlerin gegangen wäre, dann hätte Deutschland Soldaten in den Irak geschickt.

(Beifall bei der LINKEN – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Das ist belegbar. Sie müssen sich das einmal klarmachen. Ich fand es auch beschämend, dass die rot-grüne Bundesregierung den USA Überflugrechte gewährt hat und ihnen damit die Gelegenheit gegeben hat, diesen Krieg zu führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch das gehört zur Bilanz.

Meine Schlussfolgerung ist: Wenn man wirklich Veränderungen will – Kollegin Hoff, ich denke, dass man das hier aussprechen muss –, dann muss man feststellen, dass es ohne einen Abzug der Truppen der USA aus dem Irak keinen zivilen Wiederaufbau geben wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist der entscheidende Punkt.

Wir können die USA auffordern, ihre Truppen abzuziehen. Nicht nur von außen, sondern im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf selbst wird dies als eines der zentralen Themen diskutiert. Lassen Sie uns das verstärken. Der Deutsche Bundestag sollte die USA auffordern, ihre Truppen möglichst sofort aus dem Irak abzuziehen, damit ein ziviler Aufbau greifen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Da wir schon bei Ratschlägen sind, sage ich Folgendes an unsere eigene Adresse: Die Flüchtlingsfrage ist eben nicht geklärt.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Richtig!)

Kollege Fritz hat hier dafür plädiert, Flüchtlinge religiös orientiert aufzunehmen. Ich finde, es ist eine Katastrophe,

(Beifall bei der LINKEN)

wenn man sagt, die muslimischen Flüchtlinge sollen nach Syrien gehen und wir sollen die Christen aufnehmen. Was machen denn die Atheisten im Irak?

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Ja, wohin?)

– Das weiß ich nicht; aber das ist ja auch nicht die Hauptgruppe.

(Elke Hoff [FDP]: Machen Sie doch einmal einen konstruktiven Vorschlag, Herr Kollege! – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Da haben Sie nicht genau zugehört!)

Ich bin für die Aufnahme von Flüchtlingen unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vieles von dem, was Sie vernünftigerweise in Ihren Antrag geschrieben haben, kann greifen, wenn von den USA endlich das Zeichen kommt, dass man dem Irak ein Stück Selbstbestimmung gewährt. Dann können wirtschaftliche Maßnahmen, humanitäre Hilfe und all das, was man leisten muss, greifen. Solange die US-Truppen im Irak sind – fünf oder zehn Jahre oder was weiß ich –, wird das Morden, das Töten in diesem Land kein Ende haben. Das ist leider wahr, und das hat die Vergangenheit belegt.

(Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie haben gar nicht den moralischen Anspruch mit Ihrer politischen Vergangenheit!)

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