Die deutsche Linke, der Zionismus und der Nahost-Konflikt

07.06.2010
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Die deutsche Linke, der Zionismus und der Nahost-Konflikt

Was hat uns bewegt, dieses Buch zu schreiben? Welche Motive waren so stark, dass wir alle Bedenken beiseite schoben und Warnungen missachteten, wir könnten uns mit diesem Buch nur in die Nesseln setzen? Es ist ein ganzes Bündel von Motiven.

Natürlich sind es vor allem politische Motive:

  • der seit Jahrzehnten ungelöste Nahost-Konflikt, der immer wieder so unendlichen Schmerz auf beiden Seiten auslöst,
  • die Ausweglosigkeit, in die sich beide Konfliktparteien unter internatonaler Beteiligung immer tiefer hineinzumanövrieren scheinen,
  • das Gefühl und Wissen, aufgrund persönlicher Biografie bzw. persönlich empfundener geschichtlicher Verantwortung mit dem Nahost-Konflikt verknüpft zu sein,
  • unsere solidarische Verbundenheit mit politischen und persönlichen Freundinnen und Freunden in Israel und Palästina,
  • die Konflikte und Streitigkeiten innerhalb der deutschen Linken, auch innerhalb der Partei DIE LINKE, die zum Teil auf unfruchtbare und verletzende Weise ausgetragen werden
  • unsere Kritik an der Politik der deutschen Regierungen, die ungeachtet aller ihrer Beteuerungen sich scheuen, eine echte Verantwortung für eine Friedenslösung zu übernehmen, und
  • unser Wunsch, über die Grundsätze und Möglichkeiten einer Friedenslösung nachzudenken.


Hinzu kam das Bedürfnis, uns in vielen Fragen, die die Herausbildung und Geschichte des Nahost-Konfliktes betreffen, größere Klarheit zu verschaffen; es sind Fragen, die mit unserer politischen Sozialisation nach dem Ende des deutschen Faschismus und während des Kalten Krieges verbunden sind.

Wir haben unser politisches Interesse in einer „bleiernen Zeit“ entwickelt, als in der Bundesrepublik das Schweigen über den deutschen Faschismus Staatsdoktrin war, der Antisemitismus als Tabu unter der Oberfläche weiter schwelte und der offene Antikommunismus individuelle Emanzipation und linke Alternativen verteufelte. Der Kalte Krieg hat aber auch den Dogmatismus der kommunistischen Parteien und vieler linker Bewegungen, denen wir angehörten, konserviert. Es galt, auch hierauf einen geschärften Blick zu richten.

Wir wollten uns genauer ansehen, welche Haltung die Arbeiterbewegung, in deren Traditionen wir uns sehen, zum Antisemitismus in Theorie und Praxis eingenommen hat; ob und in welchem Umfang und zu welchen Zeiten Antisemitismus in den Arbeiterparteien selbst eine Rolle gespielt hat. Wir sind der Frage nachgegangen, wann und in welchem historischen Kontext der Zionismus entstanden ist und wie ihn die marxistischen Theoretiker gesehen haben. Welche Rolle hat der Holocaust für die Gründung des israelischen Staates gespielt? Welche Kräfte haben auf der internationalen Bühne mit welchen Interessen die Staatsgründung unterstützt? Wir haben die Funktionen des Antizionismus der sozialistischen Staaten und kommunistischen Parteien im Kalten Krieg und der Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus seit der Adenauer-Regierung untersucht.

Wir haben festgestellt, dass die pauschale Ablehnung des Zionismus durch namhafte sozialdemokratische und kommunistische Theoretiker nicht gerechtfertigt war. Sie beruhte auf einem dogmatischen Verständnis der nationalen Frage, das durch die reale Entwicklung widerlegt wurde.

Angesichts des sich am Ende des 19. Jahrhunderts wieder verstärkenden Antisemitismus erwies sich die Idee der Zusammenführung der jüdischen Bevölkerung auf einem Territorium, sei es in Form eines eigenen Staates, sei es in einem binationalen Staat, als richtig.

Sozialistische Zionisten haben darauf hingewiesen, dass der Klassenkampf und der Sozialismus noch lange nicht das Problem des Antisemitismus lösen. Sie haben damit leider Recht behalten. Marxistinnen und Marxisten aus der kommunistischen Tradition bezeichneten den Zionismus, auch den sozialistischen Zionismus, als einen nationalistischen Irrweg. Die Autoren sind der Meinung, dass hier eine differenziertere Betrachtung nötig ist. Unsere Kritik richtet sich an die reale Praxis, an die konkrete Politik, wie sie vom Mehrheitsflügel der zionistischen Bewegung bei der Erschaffung des Staates Israel gegenüber den Palästinensern angewendet wurde. Diese Kritik wird auch von linken zionistischen Kreisen geteilt.

Israel ist eine historische Notwendigkeit für das jüdische Volk, aber die seit den fünfziger Jahren durch die Gruppe um Ben-Gurion durchgesetzte „aktivistische“ Politik war primär nicht auf die Sicherung des Staates Israel ausgerichtet. Sie wollte Israel als regionale Hegemonialmacht etablieren, die den Nachbarn die Bedingungen zu diktieren vermag. Wir dokumentieren diese Entwicklung anhand der Auseinandersetzung zwischen dem frühen israelischen Außenminister Moshe Sharett und David Ben-Gurion. Sharett wollte eine andere Entwicklung für Israel; er wollte, dass Israel sich in die Region integriert und - nach 1948 - einen Ausgleich mit den arabischen Nachbarn sucht und mit ihnen Frieden schließt.

Wichtig war uns auch zu versuchen, auf die vielen strittigen Fragen und Polemiken innerhalb der deutschen Linken, die die Begriffe der politisch-ökonomischen Analyse des Imperialismus und den Nahost-Konflikt betreffen, sachliche Antworten zu geben. Wir wollen, dass die Auseinandersetzungen und der Meinungsstreit um das Thema Israel und Palästina von Unterstellungen und Vorurteilen befreit werden, dass Kenntnis und Erkenntnis an die Stelle von Bekenntnissen tritt.

Wolfgang Gehrcke, Jutta von Freyberg, Harri Grünberg