

Eines hat die ganze Diskussion um die Bundespräsidentenwahl gezeigt: Es gibt bei vielen Menschen einen starken Wunsch nach der rot-rot-grünen Alternative, und die Wahl des Bundespräsidenten sollte ein Schritt in diese Richtung sein. Ob dieser Wunsch realistisch war, soll vorerst dahin gestellt bleiben. Die Motive für einen solchen Wunsch sind ganz offensichtlich sehr unterschiedlich. Das reicht vom schnöden Willen, einfach nur wieder die Regierung zu stellen bis zu dem tiefen Wunsch, endlich einen neuen politischen Weg einzuschlagen, der die soziale Spaltung der Gesellschaft überwindet, Gerechtigkeit schafft, die Kriege und Auslandseinsätze beendet, die großen Menschheitsprobleme endlich anpackt und wieder eine lebenswerte Zukunft in Sichtweite bringt.
Die Bandbreite der Motive zeigt uns aber, dass wir von der realen Möglichkeit, mit Rot-Rot-Grün substanziell etwas zu verändern, weit, weit entfernt sind. Die Option, einfach Rot-Grün mit Unterstützung aber ohne Beteiligung der LINKEN neu aufzulegen, die Neuauflage von Rot-Grün 1998 also, das wäre die Realisierung meines Alptraums. Das würde Sigmar Gabriel und Klaus-Walter Steinmeier ganz gut gefallen. Da würden sie vielleicht sogar das wütende Rumhacken in Kauf nehmen, das dann einsetzen würde. Insofern ist NRW ein willkommener Probelauf für die SPD.
Um nach den Vorgaben von SPD und Grünen „koalitionsfähig“ zu werden, müsste die LINKE zuerst all die geforderten Abschwörrituale leisten, den alten Antikommunismus bedienen und „sich von ihrer Vergangenheit lösen“. Dazu wäre die Bundespräsidentenwahl gut geeignet gewesen. Das hätte aber nicht gereicht, sie müsste sich auch politisch anpassen, also kriegs- oder auslandseinsatzfähig werden, bereit den sog. Sparkurs mit zu tragen, die Haushaltskonsolidierung auf Kosten der Einkommensschwachen zu lösen, weiter Sozialstaatsabbau und Ordnungsstaatsaufbau zu betreiben u.v.m. Es ist nicht notwendig, hier vollständig aufzuzählen, wir wissen, was gemeint ist. Politische Anpassung also nur von der Linken, ganz einseitig, das war die Forderung in NRW und bei der Präsidentenwahl. Nie darf die Frage stehen, ob die SPD oder die Grünen sich etwa verändern müssten, also zum Afghanistankrieg eine andere Haltung einnehmen könnten (was ja nicht nur die LINKE sondern die Mehrheit der Menschen in Deutschland wollen), ob sie sich „von der Agenda 2010 lösen“ und eine grundlegend neue Sozial- und Arbeitsmarktpolitik einleiten wollten, die nicht an der sog. Standortsicherung oder der Umverteilung von unten nach oben verpflichtet wäre.
Man wollte die LINKE zum Nulltarif – das wäre aber das Ende von Rot-Grün-Rot noch ehe es überhaupt begonnen hat. Es wäre das Ende der LINKEN. Eine andere Politik, das war der Grund, warum die LINKE überhaupt entstand und warum seitdem tausende Menschen eingetreten sind. Das aufzugeben, hieße sich selbst aufgeben. Selbst ein unabhängiger, gut bezahlter Berater würde der LINKEN das nicht raten, warum tun es in den Medien viele, darunter auch einige ihrer Anhänger?
Gauck wählen, um der schwarz-gelben Regierung eins auszuwischen, ist sicher ein verständlicher, aber keinesfalls ein ausreichender Grund. Nein, es gab offensichtlich bei vielen Anhängern des rot-rot-grünen Projekts (das erst in den Babyschuhen, wenn nicht gar erst in der 12. Schwangerschaftswoche steckt) viele Illusionen. Die erste war schon, dass in der Bundesversammlung eine Mehrheit für Gauck vorhanden gewesen wäre. Das zeigte der dritte Wahlgang, in dem Wulff die erforderliche absolute Mehrheit erhielt. Die zweite Illusion war, dass mit der Nicht-Wahl von Wulff die Regierung stürzen würde und Neuwahlen anstünden, in denen sich dann eine rot-rot-grüne Mehrheit realisieren würde.
Die dritte Illusion ist die schwerwiegendste: es gäbe schon genügend tragfähige Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Grünen einerseits und der LINKEN andererseits. Aber mal ehrlich, hätten die sich nicht spätestens bei den Koalitionsverhandlungen in NRW zeigen müssen?
Das rot-grün-rote Projekt muss als tragfähiges gemeinsames Projekt erst noch entwickelt werden. Daran sind in der LINKEN viele beteiligt und noch mehr daran interessiert. Die Zahl der Unterstützer eines rot-grün-roten Projekts, das wage ich zu behaupten, ist in keiner Partei größer als bei der Linken. Weil wir wirklich soziale und demokratische Veränderung wollen in diesem Land und das braucht ein breites gesellschaftliches Bündnis und nicht nur eine andere Regierung. Es ist ein falsches und mediengemachtes Bild, nur eine kleine Gruppe von Reformlinken suche das Gespräch und die Zusammenarbeit mit der SPD und den Grünen. Diese Bemühungen gibt es überall. Und weil es diese Bemühungen gibt, und weil es den starken Wunsch in der Gesellschaft nach Rot-Grün-Rot gibt, weil die Parteispitzen das wissen, reagieren sie sehr gereizt und versuchen diesen Dialog zu verhindern. Der Antrag zu Gaza ist ein gutes Beispiel. Sowohl die SPD- als auch die Grünen-VertreterInnen wussten, dass mit der LINKEN ein gemeinsamer Antrag möglich war, das Signal dazu war klar. Aber lieber waren ihnen die CDU und die FDP im Boot. Wenn ein starkes Signal für eine andere Regierungsoption gewollt gewesen wäre von den Parteispitzen, dann wäre es hier auf einer politischen Grundlage möglich gewesen. Geklappt hat es aber trotzdem, dank der LINKEN.
Und noch was: Eine rot-grün-rote Option würde bedeuten, dass auch SPD und Grüne aus der Vergangenheit lernen müssten. Aus der jüngsten Vergangenheit. Um davon abzulenken, zetern sie rum, die LINKE müsse aus ihrer Vergangenheit lernen. Wer uns näher kennt, weiß, dass wir darauf großen Wert legen. Aus der Vergangenheit der SED, aber auch aus der Vergangenheit der SPD und deren Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, aus dem NATO-Doppelbeschluss, den die SPD mitgetragen hat, der Zustimmung der Grünen zu den Kriegen etc., aus der Kritik der Feministinnen an den patriarchalen Strukturen in allen Parteien der Arbeiterklasse und in den Gewerkschaften, die Reihe ließe sich lange fortsetzen. Eine entscheidende Erkenntnis ist, dass Menschen, Gruppen, Parteien … Fehler machen. Immer wieder. Fehler zu machen, ist keine Schande. Sich nicht zu bemühen, daraus zu lernen, schon.