Verhandeln! Was denn sonst?!

07.01.2009
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"Merkel und Steinmeier haben Israel verweigert, was dringend nötig ist: die offene Kritik von Freunden. Die Bundesregierung ist ein Ausfall", kritisiert Wolfgang Gehrcke, Mitglied des Parteivorstandes und Obmann der Bundestagsfraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss. André Brie, für die Linksfraktion Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments, wirft der EU Versagen seit dem Wahlsieg der Hamas vor. Brüssel habe, "wie auch die israelische Regierung, auch die Interessen eines sicheren Israels gefährdet".


Kanzlerin Merkel sieht die alleinige Schuld für die derzeitigen Kampfhandlungen im Gazastreifen bei der Hamas. Hat sie mit dieser klaren Positionierung gute Aussichten, erfolgreich bei der Lösung des Konflikts mitzuwirken?

Wolfgang Gehrcke: Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier haben sich mir ihren einseitigen Stellungnahmen, die den Krieg Israels rechtfertigen, als faire Vermittler disqualifiziert. Deutschland hatte immer eine starke Stellung – bei Israel und bei den arabischen Staaten. Das ist zumindest derzeitig verspielt. Das Nahost-Quartett war nicht handlungsfähig und die EU gespalten. Ich habe Respekt vor dem Agieren des französischen Präsidenten. Der ist in die Region gefahren. Der hat Israel öffentlich und solidarisch kritisiert. Merkel und Steinmeier haben Israel verweigert, was dringend nötig ist: die offene Kritik von Freunden. Die Bundesregierung ist ein Ausfall.

Aus der SPD werden die israelischen Militäroperationen mittlerweile als „nicht mehr verhältnismäßig“ kritisiert. Dass sich Außenminister Steinmeier beim Thema Nahostkonflikt als SPD-Kanzlerkandidat emanzipiert, ist doch aber eher unwahrscheinlich, oder?

Wolfgang Gehrcke: Es gibt SPD-Bundestagskollegen, wie der Nahostexperte Rolf Mützenich, die ähnlich wie ich die Bundesregierung kritisieren. Das ist aber nicht die SPD und schon gar nicht Steinmeier. Was ich Steinmeier übelnehme ist, dass er sich nicht den Forderungen des UN-Generalsekretärs und der Europäischen Union nach einem sofortigen Waffenstillstand anschließen will, sondern von einer „baldigen“ Waffenruhe spricht. Das heißt doch am Ende: Waffenruhe, wenn Israel seine militärischen Ziele erreicht hat. Jede Stunde Krieg kostet Menschen das Leben. Steinmeier ist die personifizierte Große Koalition.

Auch die EU zeigt sich zutiefst gespalten. Tschechien betont wie Deutschland auch die Schuld der Hamas. Großbritannien und Frankreich kritisieren die israelische Offensive mit deutlichen Worten. Zwei europäische Delegationen sind jetzt zu Gesprächen in den Nahen Osten aufgebrochen – eine unter Leitung der tschechischen Ratspräsidentschaft, die andere angeführt von Nicolas Sarkozy. Kann die Europäische Union die Rolle als Vermittlerin spielen, die von ihr erhofft wird?

André Brie: Gegenwärtig kann die EU gar nichts, und will es wohl auch nicht. Sie gibt ein jämmerliches Bild der Spaltung ab, an dem vor allem die tschechische Präsidentschaft und die Bundesregierung Schuld sind. Sie hat zudem in der gesamten Entwicklung der jüngsten Zeit seit dem Wahlsieg der Hamas versagt, damit zur humanitären und politischen Katastrophe für Palästinenserinnen und Palästinenser beigetragen und erwies sich als unwillig, Israel zur Einhaltung eingegangener und humanitärer Verpflichtungen zu zwingen. Sie hat damit im übrigen, wie auch die israelische Regierung, auch die Interessen eines sicheren Israels gefährdet. Auch die dringend erforderliche Auseinandersetzung mit dem antiisraelischen Fundamentalismus der Hamas kann eben nicht über eine Blockade geführt werden.

Die EU kann sich derzeit nicht einmal mit der Forderung nach einer Waffenruhe durchsetzen. Was würde einer europäischen Mission zum Erfolg verhelfen?

André Brie: Grundsätzlich wäre die Europäische Union wie kaum ein anderer Akteur zum „ehrlichen Makler“ geeignet, wenn sie geschlossen und unparteiisch aufträte, ihre Politik unterschiedlicher Maßstäbe, immer zu Lasten des palästinensischen Volkes aufgäbe und vor allem auch gegenüber der unverantwortlichen Politik der USA emanzipiert agierte. Die äußerst enge Verflechtung mit Israel und die Rolle als größter humanitärer Helfer in Palästina, ebenfalls mit vielen Kontakten und Beziehungen wären die Grundlage dafür.

Wie beurteilst Du den Vorwurf, Israel hätte seine Offensive bewusst in den letzten Tagen der Bush-Administration noch vor dem Amtsantritt Obamas gestartet?

André Brie: Ich stimme dieser Auffassung zu. Die Bush-Politik hat maßgeblich zur Blockade einer friedlichen Lösung beigetragen. Im Gegenteil, die israelischen Hardliner wissen, dass die USA kein Interesse an einer Entspannung hatten, die auch ihre Irak-, Syrien- und Iranpolitik berühren würde. Es gibt aber einen zweiten Grund für den Zeitpunkt: Hunderte tote, Tausende verletzte, Millionen hungernde und in allen Lebensfragen unterversorgte Palästinenserinnen und Palästinenser sind das „Wahlkampfmaterial“ von Kadima und Arbeitspartei.

Gemessen an den weltweiten Bürgerprotesten gegen das Vorgehen Israels und verglichen zu vorangegangen Krisen scheinen sich arabische Regierungen aktuell zurückzuhalten. Warum?

Wolfgang Gehrcke: Die Mehrheit der arabischen Staaten sind autoritäre Regimes. Ihre Unterstützung für die Palästinenser war immer halbherzig. In wenigen dieser Länder könnte sich die Regierung wirklich demokratischen Wahlen stellen. Trotzdem: Der Friedensplan Saudi-Arabiens ist vernünftig. Solche Widersprüche finden sich in den arabischen Ländern. Ein säkulares, demokratisches Palästina wäre auch ein Beispiel für eine Demokratisierung in dieser Region. Und: Ohne einen eigenständigen, lebensfähigen palästinensischen Staat wird es keinen Frieden in Nahost geben.

Hätte Ägypten nicht schon längst seine Grenzen zu Palästina für humanitäre Hilfe öffnen müssen?

Wolfgang Gehrcke: Vorbehaltlos Ja! Als eine humanitäre Entscheidung. Die Menschen in Gaza sind eingekesselt. Sie können nicht fliehen. Sie werden aus der Luft, vom Meer, von Panzern beschossen. Die Menschen in Gaza fühlen sich von der Welt verlassen. Nur eines darf nicht passieren: Israel würde zu gern Gaza an Ägypten übergeben. Damit wäre ein palästinensischer Staat erledigt. Notwendig sind eine palästinensische Einheitsregierung und eine „Wiedervereinigung“ von Gaza und Westjordanland.

Sarkozy sucht auf seiner Nahost-Reise den Kontakt zur Hamas. Können militante und radikale Organisationen Verhandlungspartner sein?

Wolfgang Gehrcke: Sarkozy hat das gemacht, was ich von der Bundesregierung erwartet hätte. Er hat Mut gezeigt, auch mit der Hamas zu reden. Frieden muss man mit seinen Gegnern schließen und ohne die Hamas in einen Friedensprozess einzubeziehen, wird es keinen Frieden geben. Politisch bin ich ein Gegner der Hamas. Sie hat nichts mit dem zu tun, für das ich streite. Aber Dialog ist etwas anderes. Die Hamas muss in den Friedensprozess einbezogen werden – nicht nur, aber auch, weil ich nicht will, dass aus Gaza israelisches Territorium angegriffen wird. Carter hat mit der Hamas gesprochen, Sarkozy ebenfalls. Warum also nicht jemand aus der deutschen Bundesregierung?

In diesem nun schon 40 Jahre andauernden Konflikt wechselten Kriegs- und Verhandlungszeiten einander regelmäßig ab. Können Palästinenser und Israelis in der jetzigen Situation überhaupt noch miteinander verhandeln?

André Brie: Was denn sonst?! Erstens ist der israelische Krieg, der gewollt oder nicht gewollt, zwangsläufig ein Krieg gegen die Bevölkerung des Gazastreifens ist, absolut nicht zu rechtfertigen. Zweitens mag Israel fähig sein, zu diesem grausamen Preis die gegenwärtigen Strukturen der Hamas zu zerschlagen, aber es befördert damit zugleich ihre rascheste Neuschaffung und die Verbreitung von Fundamentalismus in Palästina und in der islamischen Welt. Der Gaza-Krieg ist ein entsetzliches Menetekel. Wenn die israelischen und palästinensischen Führungen es nicht lesen können oder wollen, muss die internationale Gemeinschaft endlich konsequent werden.