



Louay Hussein, ehemals Mitglied der kommunistischen Partei Syriens und Präsident von „Building the Syrian State“, Mouna Ghanem, Vize-Präsidentin derselben Organisation, Frauenaktivistin und langjährige stellvertretende Leiterin verschiedener Frauenprogramme der UNO in Jordanien und New York
Die beiden syrischen Oppositionellen Louay Hussein, ehemals Mitglied der kommunistischen Partei Syriens und Präsident von „Building the Syrian State“, und Mouna Ghanem, Vize-Präsidentin derselben Organisation, Frauenaktivistin und langjährige stellvertretende Leiterin verschiedener Frauenprogramme der UNO in Jordanien und New York, waren Anfang November auf Einladung der Fraktion DIE LINKE in Deutschland und suchten Unterstützung für ihren demokratischen, gewaltfreien Widerstand. Am 6. November trafen sich Abgeordnete der Fraktion mit ihnen in Berlin, um über die Lage in Syrien zu sprechen. Im Anschluss führten Christel Buchinger und Harri Grünberg mit Ihnen ein Interview. Issam Haddad dolmetschte freundlicherweise.
Frage: Welches sind die Zielsetzungen Ihrer Bewegung?
„Den syrischen Staat aufbauen“, diese Bezeichnung bringt die Zielsetzung unserer Bewegung am Besten zum Ausdruck. Das heißt Teilhabe am Aufbau eines modernen, demokratischen syrischen Staates auf der Grundlage der Bürgerrechte und somit der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung für alle Syrerinnen und Syrer, unabhängig von ethnischen, religiösen oder konfessionellen, sowie kulturellen Unterschieden. Wir wollen einen absolut souveränen Staat des Volkes in unserem Land. Die Beziehungen des Staates zu seinen Bürgerinnen und Bürgern sollen durch die Verfassung geregelt sein, an deren Ausarbeitung und Verabschiedung alle Syrerinnen und Syrer beteiligt werden müssen.
Somit soll verhindert werden, dass eine beliebige Volksgruppe, egal wie groß sie ist, andere Gruppen unterdrückt und tyrannisiert.
Unsere Bewegung beteiligt sich in der derzeitig ausgebrochenen Krise am Kampf zur Beendigung der Tyrannei, aber mit friedlichen Mitteln, die nicht die Strukturen des Staates und den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden oder gar zerstören. Mit anderen Worten: Unsere Bewegung lehnt es kategorisch ab, in dieser politischen Auseinandersetzung zu den Waffen zu greifen. Genauso lehnt sie jede Einmischung von anderen Staaten zugunsten einer der Konfliktparteien gegen die anderen ab und demzufolge lehnt sie jede ausländische militärische Intervention in Syrien ab und wird sich konsequent dagegenstellen. Unser Bewegung verurteilt jede Gewaltanwendung, sei es seitens der heutigen Staatsmacht oder der Opposition. Wir verurteilen und stellen uns gegen die Politik mancher internationaler Kräfte, die verschiedene bewaffnete, am Konflikt Beteiligte mit Geld, Munition und Waffen unterstützen.
Frage: Wie hat sich der Konflikt entwickelt?
Am Beginn dieser offenen politischen Auseinandersetzung stand die Forderung nach politischen Rechten, bzw. die Bürgerrechten im Mittelpunkt. Auf die Straße gingen an der Spitze der oppositionellen Kräfte und Gruppen politische AktivistInnen und forderten die von Seiten der politischen Staatsmacht und der Sicherheitskräfte geraubten und vorenthaltenen FREIHEITEN und RECHTE ein. Diese Phase war allerdings von kurzer Dauer. Die Staatsmacht reagierte mit aufs äußerste gesteigerter Gewaltanwendung, was wiederum Tür und Tor für die Einmischung äusländischer und internationaler Kräfte öffnete. Letztere drängten mehr und mehr den gewaltfreien Kampf in andere Bahnen, nämlich des bewaffneten Widerstands, begleitet von Rachefeldzügen. Die Entartung zu einer offenen bewaffneten Auseinandersetzung wurde vollzogen und damit die Zerstörung der staatlichen Infrastrukturen, der Zerfall des sozialen Gefüges und der Wirtschaft sowie der staatlichen Institutionen, insbesondere der staatlichen Armee, eingeleitet. Mitten im Konflikt steht die heutige syrische Staatsmacht, aber keinesfalls als Hüterin der nationalen Einheit und auch nicht im Dienste der Sicherheit und Unversehrtheit der Bürgerinnen und Bürger und der Souveränität des Staates Syrien. Sie gleitet immer mehr in eine Politik ab, die dafür verantwortlich ist, dass Syrien zu einem Feld für Stellvertreterkriege wird, dass Syrien immer weiter geschwächt wird und es zum Anhängsel anderer Staaten diskreditiert, wirtschaftlich, politisch und kulturell.
Noch gefährlicher für die zukünftige Entwicklung sind einige Widersacher der Staatsmacht, insbesondere die bewaffneten Gruppen und deren Gönner, die entschieden mehr noch als die Staatsmacht selber, der Demokratie, dem Säkularismus und der Gleichberechtigung (besonders der Geschlechter) feindlich gegenüberstehen. Mit anderen Worten: diese Gruppen drohen alle in der Verfassung verankerten zivilen Rechte zu zerstören und bedrohen alle auch während der Herrschaft der Baath-Partei erzielten Fortschritte. Damit sind Syriens Gegenwart und Zukunft bedroht und mit ihnen die Stabilität der Nachbarländer sowie des ganzen Nahen Ostens. Eine solche Entwicklung birgt eine Horrorvision für die Weltkultur und –zivilisation.
Frage: Welche Rolle spielen die ethnischen und religiösen Konflikte?
Die syrische Gesellschaft setzt sich aus verschiedenen ethnischen und konfessionellen Komponenten zusammen, diese bekommen immer mehr Einfluss auf die politische Entwicklung und die derzeitige Auseinandersetzung. Der politische Antrieb ist immer mehr geprägt von primitivem Fanatismus und resultiert nicht aus dem Wirken von ausgeprägten sozialpolitischen klaren Strukturen mit wegweisenden Führungsstrukturen zu erklären. Die Entwicklung zeigt eine gewisse Neigung und Tendenz in diese Richtung: es formieren sich immer mehr Gruppen und es schließen sich Kräfte auf religiöser, konfessioneller oder ethnischer Grundlage zusammen. Begünstigt wird diese Entwicklung durch jene politischen Analysen, die verbal die heutige regierende Staatsmacht als Vertreterin der Alawiten bezeichnen und anprangern und damit dieser Religionsgemeinschaft die Verantwortung für die ganze Auseinandersetzung unterstellt oder auferlegt. Die daraus resultierende verbalen Drohungen, begleitet von Vergeltungsanschlägen, werden nicht nur von Alawiten alleine, sondern auch von anderen Minderheiten als wachsende Existenzbedrohungen angesehen, auch wenn nicht alle Bedrohungen als reell zu betrachten sind.
Frage: Wie sind die oppositionellen Kräfte einzuschätzen?
Das Spektrum der oppositionellen Kräfte und Persönlichkeiten ist so breit gestreut, dass es nicht immer möglich ist, deren Orientierung und Zielsetzung oder auch die Zugehörigkeit zu erkennen. Das trifft besonders auf jene zu, die vom Ausland aus agieren und von nicht-syrischen Kräften gefördert werden. Aber auch der Teil der Opposition, der aus Syrien stammt, dessen Ursprung und Geschichte bekannt ist, hat heute Ziele, die nicht leicht definierbar sind. Es häufen sich Auftritte und Erklärungen, die auf konfessionelle Vergeltung hinauslaufen.
Im Großen und Ganzen sind aber die Kräfte, die auf syrischem Boden agieren, demokratisch gesinnt und wohlbekannt als ehemals oder noch sozialistische, liberale oder kommunistische Kräfte. Gleichzeitig formieren sich immer mehr bewaffnete Milizen auf sektiererischem, konfessionellem oder salafistischem Boden, sog. Djihadisten und Terroristen. Die auf nicht-syrischem Boden agierenden demokratischen Formationen weisen bis jetzt keine klaren Strukturen und Orientierungen auf. Sie unterliegen meistens der Intervention und Einflussnahme von internationalen Kräften auf ihr Handeln und ihre politische Ausrichtung. Zu alledem kommt hinzu, dass sich auf syrischem Boden kleine Organisationen und Initiativen bilden oder wachsen, die sich gegen Waffengewalt wenden und von ausgeprägter demokratischer Gesinnung und Orientierung zeugen, die das klare Ziel haben, die nationale Einheit und den Frieden zu bewahren bzw, wiederherzustellen.
Zusätzlich zu all diesen Kräften, Parteien und Gruppen sind die kurdischen Parteien und Kräfte zu nennen, die in ihrer Mehrheit an dem „Kurdischen Nationalen Rat“ teilnehmen. Primär unter den meisten von ihnen ist die kurdische Frage und danach erst rangieren die pan-syrischen Ambitionen.
Frage: Welche Rolle spielen die Frauen in der syrischen Protestbewegung?
Zu Beginn der Protestbewegung fiel die aktive Beteiligung der syrischen Frauen sowohl an den Demonstrationen als auch an den begleitenden Aktivitäten auf. Die Ausbreitung der bewaffneten Konfrontationen verdrängte die syrischen Frauen immer mehr von der Bühne der offenen politischen Protestbewegung. Zu dieser Entwicklung trug besonders die Haltung und die Gesinnung der Anführer der militärischen Opposition im Lande sowie der Herren und Anführer der Opposition auf nicht-syrischem Boden gegenüber der Gleichberechtigung der Geschlechter bei. Das führte dazu, dass die syrischen Frauen immer mehr verdrängt und schließlich häufig ferngehalten wurden.
Die syrischen Aktivistinnen, insbesondere jene mit libertärer, antisalafistischer Haltung setzen gerade deshalb ihren Kampf zur Verteidigung der Frauenrechte jetzt und in Zukunft fort, insbesondere für das Recht, am politischen Leben teilzunehmen. In diesem sehr schwierigen Kampf finden die Aktivistinnen auch keinen effektiven Beistand seitens der verschiedenen syrischen politischen Strömungen, ebensowenig wie vonseiten sowohl einheimischer als auch internationaler Organisationen, die angeben, sich für Frauenrechte als Menschenrechte einzusetzen. Meistens werden die Verletzungen der Frauenrechte als Musterbeispiel für die Verletzungen der Menschenrechte aufgeführt, sei es seitens der Staatsmacht oder der oppositionellen Kräfte.
Frage: Wie ist die humanitäre Situation?
In der Realität ist die humanitäre Situation viel schlimmer als deren Reflektion in den Medien. Das rührt von de Schwierigkeiten her, reale Bilder direkt zu vermitteln. Dazu kommt noch, dass man sich absichtlich darauf beschränkt, die Ergebnisse der militärischen Einsätze der Staatsmacht anzuprangern und mit Absicht die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien seitens vieler europäischer Länder und der USA sowie mancher arabischer Staaten auf das Überleben sowie die soziale und psychische Verfassung der Syrerinnen und Syrer vernachlässigt.
Frage: Wie groß ist die Gefahr einer ausländischen militärischen Intervention?
Ich bin davon überzeugt, dass zurzeit keine Möglichkeit für eine Intervention in Syrien besteht. Für diese Einschätzung spricht, die klare und entschiedene Haltung sowohl Russlands als auch Chinas gegen jegliche Form von militärischer Einmischung in Syrien. Dazu kommt die sehr sensible geopolitische Lage Syriens, wo jede militärische Operation zu einem Flächenbrand entarten kann und zur Intervention anderer regionaler Mächte wie Hizbollah und Iran führen kann. Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, dass die Mehrheit der Syrerinnen und Syrer sich gegen jegliche Aggression von außen und gegen die Existenz von fremden Truppen auf syrischem Boden stellen werden.
Ich bin auch davon überzeugt, dass eine militärische Intervention in Syrien von der jeweiligen Interessenlage von Israel abhängt. Denn Israel wird keine Intervention dulden, wenn sie nicht seinen Interessen dient oder sie zumindest berücksichtigt. Und nach meiner aktuellen Einschätzung der Lage und der Interessen Israels kann dieses auch nicht einen offenen Krieg ohne genaue Zieldefinition brauchen oder ihm zustimmen. Denn so ein Krieg mit offenem Horizont entzieht sowohl die Region als auch die vom Krieg betroffenen Kräften einer totalen Kontrolle durch irgendeine internationale Macht.
Frage: Wie kann die Linke die demokratischen Kräfte in Syrien unterstützen?
Ich finde die Haltung der Partei die Linke sowie der linken und demokratischen Organisationen, deren Bekanntschaft ich gemacht habe, als sehr positiv in der syrischen Krise. Diese Haltung zeugt nicht nur vom aufrichtigen Beistand an der Seite der Syrerinnen und Syrer in ihrem Kampf um ihre Rechte und für die Überwindung der gegenwärtigen Krise, sondern auch vom neuen, konsequenten solidarischen Internationalismus in der Konfrontation mit jenen Staaten und Kräften, die stets nach Hegemonie über die Völker und deren Naturschätze streben.
Die Haltung gegenüber der syrischen Krise aus dem Blickwinkel der Menschenrechte und der Menschenwürde und die Unterstützung des Strebens nach demokratischen Verhältnissen erhellt das real existierende Bild der politischen Auseinandersetzung und begünstigt so das Entwickeln einer klaren positiven Haltung. Hierfür ist die erwähnte Haltung der Partei die Linke das beste politische Beispiel, sie ist ein wahrer Ausdruck der tiefen Verantwortung und Solidarität mit den gerechten Kämpfen der Völker gegen ihre Peiniger.
Wir sind überzeugt, dass die linken Kräfte ihr Bestmöglichstes tun werden, um ihre Front zu erweitern mit dem Ziel, höchstmöglichen Druck auf jene europäischen Machthaber auszuüben, die einerseits in Syrien ständig zugunsten der bewaffneten antidemokratischen Kräfte intervenieren und andererseits in der Frage der humanitären Hilfe und der Leistungen an die bedrängten Syrerinnen und Syrer eine erpresserische Politik betreiben.