Antikommunismus und Rassismus – Brüder im Geiste reaktionärer Politik

18.01.2013
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Beitrag zur Antikommunismuskonferenz der Europäischen Linken in Charleroi am 18. Januar 2013

Erschreckende Meldungen und Bilder führen uns immer wieder vor Augen, dass Bertolt Brecht mit seiner Warnung vor einem neuen Faschismus „der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch“ Recht gehabt hat. In Deutschland mordet eine Bande von Neofaschisten zehn Menschen. Unbemerkt vom deutschen Inlandsgeheimdienst oder mit dessen Kenntnis und Steuerung, das wird noch aufzuklären sein. In Ungarn jagen faschistische Pfeilkreuzler Sinti und Roma und der ehemalige französische Staatspräsident Sarkozy schämte sich nicht, Sinti und Roma aus Frankreich vertreiben zu wollen. In Moskau marschieren Schwarzhemden mit zum Hitlergruß erhobenen Armen durch die Innenstadt und in Griechenland gewinnen Nazis, die „Kinder der Obristen“ einen hohen Anteil der Wählerstimmen.

Diese Reihe der Schrecklichkeiten lässt sich fast ohne Begrenzung fortsetzen. Kein europäisches Land, in dem der Neofaschismus und Rassismus sich nicht erneut erhoben hat und seine menschenverachtende Fratze zeigt.

Gegenwehr der Demokraten gibt es in vielen Ländern. Sie ist wichtig und unverzichtbar, aber sie reicht bei weitem nicht mehr aus. Der Neofaschismus ist nicht auf die Ränder der Gesellschaft beschränkt, seine Stichwortgeber sitzen inmitten der Gesellschaft. Es gibt Rechtspopulisten und Nazis in schwarzen Stiefeln, aber auch in Nadelstreifenanzügen. Das eine ist nicht besser als das andere.

Antikommunismus ist schon längst nicht mehr die Antwort auf Kommunismus. Prophetisch und ironisch noch schrieben Marx und Engels 1848 im Manifest der Kommunistischen Partei vom „Gespenst des Kommunismus“, das in Europa umginge und dass „alle Mächte des alten Europa (…) sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet“ haben, „der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“ Was Marx und Engels nicht voraussehen konnten, war, dass sich der Antikommunismus und der Rassismus zur Basis einer gewaltsamen Melange, einer Ideologie der Vernichtung verdichten würden. Die Naziideologie, die Anfang des 20. Jahrhunderts ganz Europa überflutete und in Deutschland ihren Kern hatte, war rassistisch und antikommunistisch. Sie war auf die Unterdrückung und Vernichtung anderer Völker und Rassen gerichtet und gipfelte im industriellen Massenmord an den Jüdinnen und Juden Europas und an den Sinti und Roma. Ziel des deutschen Faschismus war die Vernichtung und Ausrottung des Marxismus. Ihr Ergebnis waren Millionen in Krieg und Konzentrationslagern ermordete Menschen.

Nach der Niederlage des Hitlerfaschismus und der Befreiung der europäischen Länder herrschte überall in Europa das Versprechen „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ Dieses Versprechen war Staatsdoktrin und ethische Grundlage in Europa nach dem faschistischen Weltkrieg. Faschistische Organisationen wurden verboten – allerdings nicht überall – und umfangreich über eine demokratische Neuordnung Europas nachgedacht. Zahlreiche europäische Verfassungen, darunter das deutsche Grundgesetz, widerspiegeln den antifaschistischen Geist der damaligen Zeit und sind von ihm geprägt.

Die Welle des Kalten Krieges schlug allerdings schon rasch über dem Engagement für ein neues, demokratisches Europa zusammen. Die Spaltung Europas in West und Ost, in Warschauer Pakt und NATO entwickelte einen Zwang zur Zuordnung. Der Antikommunismus wurde zur Ordnung des Kalten Krieges. Selbst die Warnung von Thomas Mann, dass der Antikommunismus die Grundtorheit des 20. Jahrhunderts sei, geriet in Vergessenheit. Im Kalten Krieg dominierte Aufrüstung und Militarisierung, Entdemokratisierung und Spitzelwesen. Diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Es bewahrheitet sich wieder, dass beide Systeme Züge des jeweils anderen, der bekämpft werden sollte, annahmen. Mehrfach bestand die Gefahr, dass der Kalte Krieg in einen heißen umschlagen könnte. Und trotzdem: die Existenz eines politischen Lagers, das sich „realsozialistisch“ bezeichnete, zwang den Kapitalismus Züge anzunehmen, die ihm im Kern wesensfremd, das heißt systemfremd, sind. Um im Kalten Krieg zu siegen, musste der Kapitalismus sich ein Stück weit demokratischer, sozialer gerieren, als es seine eigentlichen Grundlagen sind.

Der Kalte Krieg führte schnell zur Rehabilitierung alter Nazis, und das auch besonders in Deutschland West. Schwer belastete Nazis wurden mit dem Argument, dass sie unverzichtbar wären für einen demokratischen Neubeginn, in hohe Funktionen in Ministerien, Justiz, Verwaltung und andere Behörden geholt. Es ist unverzeihlich und unvorstellbar, dass der Nazi-Schlächter von Lyon, Klaus Barbie, zusammen mit anderen hohen Nazichargen im neuen deutschen Geheimdienst beschäftigt wurde, dass die neu aufgestellte west-deutsche Armee, die Bundeswehr, von Nazigenerälen kommandiert wurde, dass für Deutschland ehemalige Nazidiplomaten über die Aussöhnung mit Israel verhandelten und dass der Leiter des Kanzleramtes, Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassegesetze war. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern standen hochbelastete Personen willfährig für das Neue zur Verfügung. Die Angst vor dem Kommunismus ließ NATO-Putschpläne real aus dem Boden schießen. So in Griechenland, in Italien, in Portugal, Frankreich und vielen anderen Ländern. Gegen den Kommunismus war also eben zwar nicht alle, aber viele Mittel gerechtfertigt. In Deutschland West wurde die kommunistische Partei verboten und tausende Kommunistinnen und Kommunisten mit Gerichtsverfahren überzogen. Der Nazismus, der Neofaschismus war begrenzt in Europa, aber immer noch lebendig.

Wir, die Linken, müssen ebenfalls über unsere Fehler nachdenken. Zu oft haben Linke, Sozialistinnen und Sozialisten, Kommunistinnen und Kommunisten, Kritik am Kommunismus mit Antikommunismus gleich gesetzt. Dass sich Entscheidungen von Kommunistinnen und Kommunisten auf der Ebene der staatlichen Gewalt, aber auch auf der nichtstaatlichen Ebene, in Parteien und Bewegungen, als falsch herausstellten und dennoch „gegen den Antikommunismus“ verteidigt wurden, entsprach eben diesem von mir angesprochenen Zwang der Zuordnung. Wie oft sprachen wir davon, dass die Barrikade eben nur zwei Seiten hat. Heute müssen wir verstehen, dass die Gegenpole nicht Kommunismus und Antikommunismus sind oder Kommunismus und Kritik am Kommunismus, sondern Demokratie und Nationalismus, Demokratie und Neofaschismus und Rassismus. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Martin Niemöller, Pastor und Ratsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland, hatte mit Blick auf die Nazi-Zeit formuliert: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, denn ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter verschleppten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Der Sicherheitswahn des Kalten Krieges hat im Westen und bedauerlicherweise auch im Osten ein umfangreiches System der „staatlichen Sicherheit“ und in diesem Zusammenhang ein umfassendes Spitzelwesen hervorgerufen, dass demokratischen Geist einengte und unterbinden sollte. Ich will Ihnen das kurz am eigenen Beispiel demonstrieren: Ich gehöre zu den Abgeordneten im Deutschen Bundestag, die vom Inlandsgeheimdienst überwacht werden. Meine Akte reicht dabei bis ins Jahr 1961 zurück und umfasst mittlerweile mehr als 10.000 Blatt. Einsehen darf ich diese Akten allerdings nicht. Mein ganzes politisches und persönliches Leben wird zwischen Aktendeckel eingeklemmt und von einer Spitzelbehörde verwaltet.

Antikommunismus, Rassismus und Antisemitismus waren unter den Bedingungen der Blockgespaltenheit begrenzt und eingeengt. Im Westen konnten sie sich nicht so frei entfalten, wie wir das heute wahrnehmen müssen, und im Osten stand ihnen zumindest eine Systemgrenze im Weg. Oftmals wird mir vorgehalten, dass der Antifaschismus im Osten ein „verordneter“ gewesen sei. Bitte sehr, besser aber ein verordneter Antifaschismus als ein zügelloser Antikommunismus.

Um Europa antikommunistisch zu fundieren, sollte die Geschichte umgeschrieben werden entlang der Totalitarismusdoktrin. So heißt es beispielsweise im § 269/C des neuen ungarischen Strafgesetzbuches: „Wer vom kommunistischen System begangenen Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, in Zweifel zieht oder in ihrer Bedeutung herabmindert, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren belegt.“ Ähnliche Paragraphen finden sich in Gesetzen in Polen, Litauen und Tschechien. Auch das Europäische Parlament verlangt eine umfassende Neubewertung der europäischen Geschichte. Anders als die erwähnten nationalen Gesetze ist diese Neubewertung nicht mit der Androhung von Strafen verbunden, obwohl dies ursprünglich von sechs Staaten so gewollt war.

Die besondere Gefährlichkeit heutiger neofaschistischer, rassistischer und zum Teil antisemitischer Organisationen und des entsprechenden Gedankengutes beruht darin, dass verschiedene Momente zusammentreffen. Die Krise des Kapitalismus produziert in hohem Maße Ängste und solche Ängste führen zu Gewaltvorstellungen. Fast alle rechten, rechtspopulistischen Bewegungen sind in einem hohen Maße gewaltbereit. Neofaschistische und rechtspopulistische Parteien und Bewegungen verfügen über beides: über einen gewaltbereiten Teil und ihre Stichwortgeber aus der Mitte der Gesellschaft. Die Verhaltensweisen sind männlich dominiert, aber schon längst bilden Männer nicht mehr die Mehrheit dieser Bewegungen und Parteien. Viele dieser Bewegungen und Parteien operieren heute auch mit Losungen, die man bei oberflächlicher Betrachtung eigentlich mehr den Linken zuschreiben würde. Hier muss Trennschärfe an den Tag gelegt werden. Ich denke auch, dass die Linke eine Programmatik und eine politische Praxis braucht, welche die sozialen Interessen und kulturellen Verhaltensweisen sowohl des ausgegrenzten Teils der Gesellschaft anspricht, als auch die Bereitschaft, Mittelschichten in den Kampf um gesellschaftliche Veränderungen einzubeziehen. Die geschichtlich begründete Warnung Ernst Blochs „Kampflos, Genossen, habt ihr das Kleinbürgertum den Faschisten überlassen!“ darf sich nicht wiederholen. Im Kampf gegen Faschismus und Rassismus muss es die Bereitschaft geben, mit weiten Teilen der Gesellschaft zusammenzuarbeiten. Die Losung „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ war nicht eine Losung pro Sozialismus, sondern eine Aufforderung, demokratisches Gedankengut in großer Breite in den Gesellschaften zu verteidigen. Ich denke, es ist auch heute notwendig, in den Parlamenten und außerhalb, Antikommunismus zu widersprechen und Rassismus zu bekämpfen.

Charleroi, 18. Januar 2013